Für die Kleinen nur das Beste. Individuell, fair und umweltbewusst produziert. Modemarken aus der Hansestadt finden immer mehr Kunden

Wenn Tine Nehl nicht gerade vorne in ihrem Laden Lütt & Lütt steht und einen Kunden berät, sitzt sie hinten im angeschlossenen Atelier und näht neue Baby- und Kindermode. Kindermode, die „gemütlich und praktisch ist, mitwächst und Freude macht“, wie sie es nennt. Jacken mit Zipfelmützen, Pumphosen mit weichen Bündchen, Röcke, Mützen, T-Shirts und Pullover. Alles ist von ihr selbst genäht, jedes Stück ein Unikat. „Handmade Kindermode“, steht auf ihrer Visitenkarte. Das ist ihr Motto, das ist ihr Erfolgsrezept. Obwohl ihre Produkte teurer sind als im Kaufhaus oder bei einer Kleidungskette, läuft das Geschäft gut. Rund 80 Produkte werden monatlich im Laden verkauft, weitere 100 sind es im Internet auf der Online-Plattform DaWanda.

„Viele Eltern kaufen lieber ein teures, aber gutes Teil, als viele billige“, sagt Tine Nehl, 40. Vor noch nicht einmal zwei Jahren hat sie ihr Geschäft in der Bernstorffstraße 172 eröffnet. Ihr Motto: Praktisch soll’s sein! Schön soll’s sein! Bunt soll’s sein! „Kinder sollen auch aussehen wie Kinder – und nicht wie kleine Erwachsene“, findet Tine Nehl, die selbst zwei Kinder hat, und ursprünglich als Geologin gearbeitet hat. Bis zu dem Tag, als ihre Abteilung geschlossen wurde – und sie das leere Ladengeschäft in der Bernstorffstraße 172 entdeckte. „Sehr viel Laufkundschaft gibt es hier zwar nicht, aber dafür etliche Kunden, die durch Mundpropaganda kommen – und auch was kaufen“, sagt Tine Nehl. Rund 5000 Euro Umsatz macht Lütt & Lütt monatlich, Tendenz steigend.

Das Geschäft mit Kindermode und -asseccoires aus Hamburg läuft gut, die Nachfrage ist groß. Obwohl die Waren aus der Hansestadt meistens um ein Vielfaches teurer sind als von Branchengrößen wie H&M, besinnen sich immer mehr Kunden auf die Produkte made in Hamburg. „Die Menschen legen immer größeren Wert auf die Herkunft der Waren, vor allem die Eltern und Großeltern“, sagt Heiner Schote, Einzelhandelsexperte der Handelskammer Hamburg. „Sie wollen ein gutes Gewissen haben und sind daher auch bereit, teurere, dafür aber umweltbewusst und fair hergestellte Waren zu kaufen“, so Schote. Da viele Menschen zudem später und weniger Kinder bekämen, verfügten sie häufig über die finanziellen Mittel, um mehr Geld für Kindermode auszugeben als vorherige Generationen. Das heißt: Es steht insgesamt mehr Geld für weniger Kinder zur Verfügung. Und das merkt auch der Einzelhandel. Laut Handelskammer gibt es in der Branche Einzelhandel mit Bekleidung/Einzelhandel mit Kinder- und Säuglingsbekleidung und Bekleidungszubehör derzeit 115 Läden. Bei der Handwerkskammer sind zudem 245 Maßschneider registriert, die auch Kindermode herstellen.

Die Waren werden oft im gleichen Geschäft genäht und verkauft

Eine Tendenz geht aus der Statistik nicht hervor, wird aber von vielen Kinderlabels selbst beobachtet. „Als wir angefangen haben, individuelle Kinder- und Baby-Accessoires herzustellen, gab es nur wenig Anbieter in dem Bereich. Inzwischen ist die Konkurrenz groß“, sagt Sandra Trillhaas. Zusammen mit ihrer Freundin Nancy Bockelmann hat sie vor zehn Jahren das Unternehmen Djou-Djou gegründet, das auf handgemachte und personalisierbare Utensilien für Eltern und Kinder spezialisiert ist. 50.000 Produkte haben sie seitdem verkauft. Zuerst vom Dachboden ihres Hauses über das Internet, dann auf Weihnachtsmärkten sowie Messen, und schließlich im Geschäft. In 100 Läden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind Produkte wie die Tussi-Tasche, die Klöterkiste oder Kulturella inzwischen erhältlich – unter anderem in ihrem eigenen Shop in der Erikastraße. „Ursprünglich wollten wir hier nur unsere Sachen lagern, doch dann kamen immer mehr Kunden vorbei und wollten die Waren direkt kaufen“, so Sandra Trillhaas. Das Besondere an ihrem Geschäft: Die Kunden können im Laden Stoffmuster sowie Nähgarn auswählen und dann in der angeschlossenen Näherei zuschauen, wie ihre Tasche oder Decke für sie persönlich zugeschnitten, genäht und bestickt werden. Zehn Mitarbeiter hat Djou-Djou inzwischen und macht eine halbe Millionen Euro Umsatz. Doch obwohl das Unternehmen auf Erfolgskurs ist, wollen die beiden Firmengründerinnen sich nicht mehr alleine auf das Geschäft mit Kindersachen verlassen. Zu groß ist die Konkurrenz. Aus diesem Grund hat das Label sein Sortiment um Utensilien für den Hausgebrauch und bestickte Yogamatten erweitert.

Von Djou-Djou in Eppendorf zu petit garage an der Marktstraße sind es nur knapp sechs Kilometer, trotzdem trennen die beiden Kinderlabels Welten. Zumindest, was die Zahlen angeht. Denn Nicolette Bleeker und ihr Laden stehen noch relativ am Anfang, wenn es nach der Einschätzung von Branchenexperten geht. Demnach dauert es rund fünf Jahre, bis sich ein neues Label auf dem Markt etabliert. Nicolette Bleeker hat das Geschäft an der Marktstraße 100 vor rund drei Jahren übernommen – nachdem sie zuvor jahrelang privat Kuscheltiere und Kindersachen genäht hatte. Zuerst nur für ihre eigenen Kinder, dann für die Kinder von Freunden oder Fremden, die sie auf dem Spielplatz angesprochen haben. Ihr Markenzeichen: „Fair. Regional. Ökologisch“, sagt die 47-Jährige, die weitgehend auf Plastik und synthetische Stoffe verzichtet und stattdessen auf organische Wolle, Seide und Baumwolle sowie Holzspielzeug setzt. Aus Überzeugung. Neben ihren eigenen Produkten wie Kleidern aus Wollfilz, Plunderhosen, Wendemänteln oder Kuscheltieren und Kissen verkauft Nicolette Bleeker auch Waren von verschiedenen anderen Kinderlabels. Die meisten von ihnen kommen aus Hamburg und stellen auch ihre Waren hier in eigener Werkstatt her, so wie kinder+raum, my lamp oder Wollleibchen. „Wer bei uns kauft, legt Wert auf die Herkunft der Waren“, sagt Nicolette Bleeker. Ein Schürzenkleidchen von ihr kostet ab 35 Euro, eine Hose zwischen 29 und 39 Euro. Rund 5000 Euro Umsatz macht ihr Laden petit garage monatlich, ein Viertel der dort verkauften Waren stammt von Nicolette Bleeker selbst. „Ich könnte noch mehr verkaufen, habe aber leider keine Zeit, die Sachen selbst zu nähen“, sagt sie. Auslagern kommt für sie nicht infrage. „Ich produziere meine Waren selbst. Das ist mein Markenzeichen!“

Genauso hat auch einmal das bekannte Hamburger Kinderlabel Hansekind angefangen: Als Manufaktur, in der Gründerin Constanze Samson die Produkte selbst entworfen, genäht und verkauft hat. Bis sie gemerkt hat, dass sie die stetig steigende Nachfrage nicht mehr alleine erfüllen kann – und sie die Produktion auslagern musste. Zuerst in einen Betrieb nach Ostdeutschland sowie eine Jugendwerkstatt in Lübeck – dann schließlich ins Ausland. „Alles andere war nicht mehr finanzierbar“, sagt sie. Ihre Erfahrung: „In dem Moment, wo man seine Waren nicht mehr ausschließlich selbst an den Endkunden verkauft, sondern Händler dazwischenkommen, die ebenfalls verdienen wollen, rechnet sich die Produktion in Deutschland nicht mehr.“ Sonst würden die Produkte so teuer, dass sie sich niemand mehr leisten könne. „Und das wollte ich nicht“, sagt Constanze Samson, die jährlich ein Umsatzwachstum von 25 Prozent macht und inzwischen mit 150 Händlern in Deutschland zusammenarbeitet – darunter auch Branchengrößen wie Dodenhof, Babywalz und Karstadt Premium Häuser.

Fast alle großen Unternehmen lassen ihre Textilien im Ausland fertigen

Der Weg von Hansekind steht symbolisch für eine ganze Branche. Obwohl die Textilindustrie einst zu den wichtigsten Arbeitgebern in Deutschland gehörte, lassen inzwischen fast alle großen Unternehmen wegen der geringen Lohnkosten und niedrigen Umweltstandards im Ausland fertigen. Allein zwischen 1955 bis 1980 verschwanden in der Bundesrepublik 400.000 Arbeitsplätze in der Branche. Experten gehen davon aus, dass nur noch rund fünf Prozent der in Deutschland verkauften Textilien auch hierzulande hergestellt werden. Etwas anders ist die Situation in ausgewählten Marktnischen wie etwa technische Textilien, hochwertige Outdoor-Bekleidung, biologische Bekleidung – oder auch Kinderkleidung.

Das beweist auch die Hamburger Mützenmanufaktur Pickapooh von Kerstin Tollmien, 48. Weil die gelernte Krankenschwester vor mehr als 20 Jahren keine passenden Mützen für ihre eigenen Kinder fand, entwarf sie kurzerhand selbst welche. Aus dem kleinen Start-up ist ein erfolgreiches Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von 900.000 Euro geworden. Rund 120.000 ökologische Kindermützen, Schals und Handschuhe produziert Pickapooh jedes Jahr – und das immer noch ganz bewusst in Hamburg. „Ich kann unseren Qualitätsstandard nur halten, wenn ich selbst lückenlos vor Ort bin“, so Kerstin Tollmien. Ihre Beobachtung: In den vergangenen Jahren habe ein Umdenken stattgefunden. „Die Menschen wollen nicht nur Biolebensmittel essen, sondern auch schadstoffarme Textilien made in Germany tragen“, sagt Sabine Tollmien, die noch mehr Produkte verkaufen könnte – wenn sie die Kapazitäten hätte. „Wir finden aber keine qualifizierten Mitarbeiter“, sagt sie. Das Problem: Es gibt zu wenig Näherinnen – und zu wenig Betriebe, die Näherinnen ausbilden. Auch Pickapooh selbst kann nicht ausbilden, weil das Sortiment zu einseitig für ein umfassendes Ausbildungsprogramm ist. Und ihre eigenen Töchter? Die sind zwar inzwischen erwachsen, wollen aber im Moment nicht in das Unternehmen einsteigen. Aber dann gibt es da ja auch noch eine Enkeltochter. Vielleicht wird sie irgendwann das Unternehmen übernehmen. Und die Tradition von Kinderlabels „made in Hamburg“ fortsetzen.