Der Hamburger Biometriespezialist mit Sitz am Mittelweg soll für 50 Millionen Dollar Bankgeschäfte durch Fingerabdrucksystem sicherer machen. Geschäftsführer Mull freut sich über bislang größten Auftrag.

Hamburg. Das dürfte auch für vergessliche Deutsche verlockend klingen: Geld abheben ohne PIN-Nummer und Kontokarte. Doch während diese Szenerie für die Bürger hierzulande noch ferne Zukunftsmusik ist, wird sie für Nigerianer demnächst Realität. Ein Finger auf den Scanner legen, und kurz darauf liegen die Scheine in der Hand. Die Technik dafür liefert ein Hamburger Unternehmen. Dermalog hat sich in dem afrikanischen Staat einen lukrativen Auftrag gesichert. Für 50 Millionen Dollar (36,4 Millionen Euro) soll der Biometriespezialist mit Sitz am Mittelweg ein landesweites System zur Identifikation aller Bankkunden per Fingerabdruck einführen. „Das ist der größte Auftrag unserer Firmengeschichte“, sagt Geschäftsführer Günther Mull.

Am Valentinstag startete in Lagos die Pilotphase. Der Gouverneur der Nigerianischen Zentralbank, Sanusi Lamido Sanusi, legte die Hand auf den Scanner und testete den Probebetrieb. Alle Bankkunden des Landes sollen künftig per Fingerabdruck am Bankautomaten Geld abheben oder an der Ladenkasse den Einkauf bezahlen können. „Innerhalb der nächsten anderthalb Jahre werden wir das Projekt landesweit umsetzen“, sagte Sanusi. „Dann wird Nigeria dank modernster Fingerabdruck-Biometrie eines der komfortabelsten und sichersten Finanzsysteme der Welt besitzen.“ Menschen mit niedrigem Bildungsgrad soll der Zugang zum elektronischen Zahlungsverkehr ermöglicht und vor allem Betrug durch Diebstahl oder Fälschung einer Identität sowie Geldwäsche vorgebeugt werden. An den Zielen ändert sich nichts, auch wenn Staatspräsident Goodluck Jonathan den international anerkannten Sanusi am vergangenen Donnerstag wegen Kritik an seinem Politikstil entließ und Sanusi vorerst durch seinen Stellvertreter ersetzt wird. „Der Wechsel schadet unserem Auftrag nicht. Betrug ist eine der größten Herausforderungen im nigerianischen Bankwesen“, sagt Mull: „Es gibt viele Länder, in denen die Einwohner mehrere Identitäten haben.“

Dermalog lieferte für deutsche Ämter gut 20.000 Fingerabdruckscanner

Mull kennt dafür viele Beispiele. So kaufen Brasilianer gern auf Pump. Sie nehmen Kredite unter einem falschen Namen auf und zahlen sie nicht zurück. Das Kreditinstitut HSBC mit 1300 Filialen in dem Land wollte dieser Praxis einen Riegel vorschieben und kaufte 2012 das Automatisierte Fingerabdruckidentifizierungssystem (Afis) von Dermalog. Im Bundesstaat Rio de Janeiro werden jedes Jahr eine Million Personalausweise ausgestellt. 15.000 Personen fallen jedes Jahr durch eine doppelte Identität (ID) auf. Im Jemen tauchte die Vermutung auf, dass viele Beamte doppelt Gehalt kassierten. Finanziert von der Weltbank gewannen die Hamburger die Ausschreibung für ein Afis. Heraus kam: 35.000 Beamte hatten eine doppelte Identität, 9000 sogar mehr als zwei Identitäten. Mull: „Die Bevölkerung war schon sauer, weil Hochschulabsolventen, die in den Staatsdienst wollten, keine Chance hatten.“ Die Posten wurden unter den Beamten vergeben.

Die Kunden von Dermalog sind meist Behörden. Die Technik wird bei Grenzkontrollen, Pass-, Ausländer- und Einwohnermeldebehörden eingesetzt. Im vergangenen Jahr lieferten die Hamburger zum Beispiel ein komplettes Einwohnermeldesystem nach Kambodscha. Vor Ausstellung des Passes wird der Fingerabdruck gescannt. Gibt es den schon, ploppt ein Hinweis auf.

Jeder nach Malaysia Einreisende legt seine Hand auf einen Scanner der Hamburger Firma. Der Fingerabdruck wird dann mit der Datenbank abgeglichen. „Innerhalb von drei Sekunden kommt das Ergebnis. Wir haben das weltweit schnellste Fingermatching“, sagt Mull. Das System sei sicherer als Passwort gesicherte Daten und schütze vor Betrügern. Dafür sorgt die Technik, die das Unternehmen zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin von Professor Klaus Püschel entwickelte. So erkenne das Gerät, ob ein Finger künstlich oder bereits abgestorben sei. Die Software stellt fest, ob die Haut beim Auflegen des Fingers weiß und das Blut herausgedrückt wird. Zudem wird der Sauerstoffgehalt des Blutes analysiert. Die Konkurrenten auf dem Weltmarkt sind durchweg Konzerne. Safran aus Frankreich, NEC aus Japan und 3M aus den USA buhlen um die Kunden. Der Vorteil von Dermalog liege in den kurzen Entscheidungsstrukturen. Mull, der jede zweite Woche im Ausland ist, um Aufträge zu holen, sagt: „Das sind Tanker, wir sind ein Speedboot.“

Asien ist für das 1995 gegründete Unternehmen zum wichtigsten Markt geworden. 55 Prozent des Umsatzes stammen vom größten Kontinent. In Malaysia unterhält Dermalog ein eigenes Büro mit 15 Mitarbeitern, die sich vorrangig um Service und Wartung kümmern. Aufträge aus Afrika steuern 24 Prozent bei, Lateinamerika rund 15 Prozent. Im vergangenen Jahr erlösten die Hamburger 27 Millionen Euro. „Unser Umsatz ist in den vergangenen zwölf Jahren jedes Jahr um 15 bis 30 Prozent gestiegen. Dieser Trend soll sich auch dieses Jahr fortsetzen“, sagt Mull. Der Auftrag aus Nigeria erstreckt sich über mehrere Jahre. Seit 2001 arbeite man profitabel. Das Personal wurde seitdem kräftig aufgestockt. Von damals 25 Beschäftigten stieg die Zahl auf weltweit 130, davon 110 in der Hansestadt. Um sich für weiteres Wachstum zu wappnen, würden Informatiker und Ingenieure gesucht, sagt Mull, der zusammen mit seiner Frau 77,5 Prozent der Firma besitzt, der Rest gehört der Bundesdruckerei. Am Mittelweg werden die Geräte entwickelt, Partnerfirmen machen die Optik und die Gehäuse. In Norderstedt unterhält Dermalog ein Lager und baut Geräte zusammen. In Deutschland lieferte die Firma seit 2007 mehr als 20.000 Fingerabdruckscanner für die Einwohnermeldeämter und für die Ausländerbehörden. Damit werden die Hautkonturen für die neuen Pässe, Ausweise und Aufenthaltstitel gespeichert. Am Hamburger Flughafen hinterlassen Passagiere ihre Fingerabdrücke auf Technik von Dermalog. Mit den Datenschützern treffe man sich übrigens mehrmals im Jahr, um über neue Produkte zu sprechen. Probleme habe man mit ihnen nicht, sagt Mull.

Dennoch ist die Heimat kein großer Markt. 2013 machten sie in der Bundesrepublik nur zwei Prozent ihres Umsatzes. „Deutschland ist kein Biometrieparadies“, sagt Mull. Erst einmal eingefroren ist ein Projekt, das Dermalog zusammen mit der Handelskette Rewe vor vier Jahren startete. In Köln-Hürth konnten die Einkäufe per Fingerscan bezahlt werden. In vier Sekunden ist das Geld vom Konto abgebucht, deutlich schneller als bei Barzahlung, per PIN oder Lastschrift. „Technisch lief das Programm einwandfrei“, sagt Vertriebsleiter Oliver von Treuenfels. Es habe nicht eine Fehlbuchung gegeben. „Vor allem zwei Kundenkreise haben das Angebot angenommen: die Jüngeren, Technikaffinen. Und die Älteren, die sonst nach jedem Cent im Portemonnaie suchen“, sagt von Treuenfels. Doch im Zuge der SEPA-Einführung hätte die Software neu programmiert werden müssen. Zudem hätten viele Bürger eine Grundaversion gegenüber neuen Technologien. Von den in Deutschland gesammelten Erfahrungen mit der Rewe-Kasse profitiere nun das Ausland – zum Beispiel Nigeria.