Weil Steuerrückerstattungen aus der Ukraine nicht flossen, half das Hamburger Traditionsunternehmen mit Geld nach. Auf eine Selbstanzeige folgte ein hohes Bußgeld

Hamburg. Die Korruptionsexperten der Hamburger Staatsanwaltschaft staunten nicht schlecht. Denn die Liste der Vergehen war lang und die Beträge hoch: Schmiergeldzahlungen an Firmen mit Sitz auf Inseln im Pazifik, ein teures Armband als Geschenk an Geschäftspartner, ein „Cashpool“ über gut drei Millionen Euro für korrupte ukrainische Staatsbeamte.Verantwortliche der illegalen Praktiken waren Mitarbeiter der Alfred C. Toepfer International, die ACTI. Ein traditionsreiches Hamburger Unternehmen, begründet auf den Grundsätzen des Ehrbaren Kaufmanns, das schon seit 1919 mit Getreide, Ölsaaten und Futtermitteln handelt. Das Stammhaus in Hamburg hat heute 36 Niederlassungen in aller Welt, 2000 Mitarbeiter gehören zu der Firma. Doch nun hat die Justizbehörde ein Bußgeld von 900.000 Euro gegen die ACTI verhängt, nur knapp unter der Höchststrafe von einer Million Euro.

Der schwere Fall internationaler Korruption begann mit einer Selbstanzeige des namhaften Hamburger Unternehmens. 2009 standen Anwälte der ACTI vor der Tür der Staatsanwaltschaft. In ihren Koffern trugen sie Geschäftsunterlagen. Vier Jahre lang arbeiteten die Staatsanwälte gemeinsam mit dem Landeskriminalamt die Vorfälle auf. Sie mussten Tausende E-Mails und mehrere Kartons Akten auswerten, ausländische Konten ermitteln, zahlreiche Zeugen befragen und nahmen einzelne Mitarbeiter von Alfred C. Toepfer ins Visier. Ein Teil der Taten reicht bis in die ersten Jahre des vergangenen Jahrzehnts zurück. Das geht aus dem 19 Seiten langen Bußgeldbescheid der Hamburger Justizbehörde sowie einem internen Vermerk der Behörde über das Bußgeld hervor. Beides liegt dem Abendblatt vor.

Auch die amerikanische Justiz und das FBI, die Kriminalbeamten der USA, ermittelten in dem Fall. Denn heute gehört die Toepfer International zu 80 Prozent zur Archer Daniels Midland Company (ADM), einem amerikanischen Agrarriesen. Der US-Konzern zahlte für die illegalen Geschäfte seiner Tochterfirma 36 Millionen Dollar Strafe. Auch das ukrainische Schwesterunternehmen der Toepfer-Gruppe, die ACTI Ukr, musste in den USA 17,8 Millionen Dollar an die amerikanischen Behörden überweisen.

Der Hamburger Kaufmann Alfred Carl Toepfer war bis zum Verkauf an andere Firmen Ende der 1970er-Jahre dessen Chef. Zudem rief er die gemeinnützigen Alfred Toepfer Stiftung F.V.S. und – benannt nach seinem Vater – die Carl-Toepfer-Stiftung ins Leben. Alfred C. Toepfer initiierte den Wiederaufbau der Hamburger Staatsoper nach dem Krieg, schuf Naturparks und war Ehrenbürger der Hansestadt. Die beiden Toepfer-Stiftungen stehen mit den heutigen Eigentümern aus den USA in gutem Kontakt. Dem Wunsch des Stifters entsprechend ist der Vorstandsvorsitzende von ACTI Mitglied im Stiftungsrat der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.

Doch was die Firmenanwälte den Ermittlern vor vier Jahren unterbreiteten, hatte mit ethischen Grundsätzen wenig zu tun. Für den Ein- und Verkauf der Agrarrohstoffe war in der Ukraine eine Schwestergesellschaft des Toepfer-Unternehmens, die ACTI Ukr, zuständig. Für den Ankauf des Getreides hatte die ACTI sehr viele Vorsteuern entrichtet, die beim Export vom ukrainischen Finanzamt eigentlich erstattet werden müssten. Weil der ukrainische Fiskus aber seine Landwirte stützen wollte und ihnen einen Teil der Umsatzsteuer erließ, kam es ab 2001 zu Engpässen bei den Vorsteuererstattungen. Diese fielen ganz oder teilweise aus oder wurden nur mit erheblicher Verzögerung ausgezahlt – der ukrainische Staat hielt Toepfer International Geld zurück.

Für die Firma summierten sich die Zahlungsausfälle auf rund 41 Millionen Euro und waren somit für Toepfer eine erhebliche finanzielle Belastung. Ukrainische Steuerbeamte nutzten den Engpass bei der Vorsteuererstattung zum eigenen Vorteil, indem sie anfingen, unrechtmäßige Gegenleistungen für die fristgerechte Auszahlung der Erstattungen zu verlangen. Um Schmiergeldzahlungen zu verschleiern, baute die ACTI im April 2002 dazu einen „Cashpool“ auf. Zwischenhändler für die Getreidelieferungen war ein Unternehmen namens Yurol in London. Yurol kaufte das Getreide von ACTI Ukr zu einem bestimmten Preis, lieferte es aber zu einem höheren Preis an Deutschland weiter. Die Differenz ging in den „Cashpool“ – allein bis zum September 2004 sollen durch die überhöhten Zahlungen mehr als drei Millionen Euro in diesen Topf geflossen sein. Wie viel von dem Geld tatsächlich an korrupte ukrainische Beamte ging, konnte nicht nachgewiesen werden.

Später nutzte Toepfer International ein britisches Konto von Yurol für ungerechtfertigte Vorauszahlungen: Dabei floss von ACTI in Hamburg Geld für bevorstehende Warenlieferungen, die später mit überhöhten Rechnungen für tatsächliche Lieferungen verrechnet wurden. Wie die Ermittler jedoch herausfanden, erfolgten diese Vorauszahlungen in der Regel einen Tag nach Erstattung der Vorsteuer durch den Fiskus der Ukraine. Das war kein Zufall, da die Summe jeweils genau 18 Prozent des erstatteten Vorsteuerbetrags entsprach. Die Ermittler schlossen daraus, dass die Zahlungen an Yurol nicht mit tatsächlichen Warenlieferungen zusammenhingen, sondern dem Zweck dienten, mittels Provisionszahlungen an ukrainische Finanzbeamte die Vorsteuererstattung zu beschleunigen.

Korruptionsexperten sprechen in diesem Fall von Vorteilsgewährung, nicht von Bestechung. Ein Hamburger Fachanwalt hält das Vorgehen der ACTI für keinen Einzelfall. „Das ist eher der Klassiker.“ Gerade im Außenhandel mit Osteuropa, aber auch Asien und Afrika, seien Zahlungen an Staatsbeamte oftmals notwenig, um Geschäfte ohne große Hürden zu machen. Für die Organisation Transparency International ist die Ukraine das Land in Europa, in dem die Korruption am stärksten verbreitet ist. Weltweit liegt die Ukraine auf Rang 144 des anerkannten Korruptionsindizes – zwischen Kamerun, Nigeria, Iran und der Republik Papua Neu Guinea.

Das Schwesterunternehmen der ACTI in der Ukraine ließen sich auf das Geschäft mit der Korruption ein. Konzernrechnungsprüfern der ACTI waren die Unregelmäßigkeiten als Erstes aufgefallen. Diese führten zu einer umfangreichen internen Untersuchung, und schließlich zur Information des Mutterkonzerns ADM in Illinois. Von dort kam die Anweisung, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Und die Aufarbeitung begann.

Eine Sysiphusarbeit. Die Ermittler der Hamburger Staatsanwaltschaftmussten die Vorfälle, die vor allem im Ausland stattfanden, anhand alter Lieferabrechnungen nachweisen. Wie hoch der Schaden insgesamt war, ist bis heute nicht klar. Aber allein die Strafzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe in den USA machen deutlich, dass es um riesige Summen ging. Hauptverantwortliche waren nicht mehr greifbar, weil sie ACTI längst verlassen hatten, oder bei den ausländischen Partnerunternehmen nicht mehr aktiv waren. Selbst in enger Zusammenarbeit mit dem FBI konnten die Ermittler Straftateneinzelner Mitarbeiter oder der Geschäftsführer der ACTI nicht nachweisen – wohl aber ein kompliziertes Geflecht an Vorteilsgewährungen, bei dem Schmiergelder über London geflossen sind.

Und an eine Firma mit Sitz auf den Marschallinseln im Pazifik. Davon erzählt der zweite Fall der Akte „ACTI“. Auch mit den Saudis hatte das Hamburger Unternehmen seit den 1980er-Jahren Handel betrieben. Doch seit 2010 darf nur noch ein Unternehmen Futtergerste nach Saudi-Arabien liefern. Und Toepfer International war aus dem Geschäft. Vorerst. Neue Vorverträge mussten ausgehandelt werden. Und so half die ACTI mit „Overpricing“ nach. Für die Futterlieferungen wurde ein höherer Preis gezahlt, als in den Verträgen vereinbart. Und das überschüssige Geld ging direkt an die saudische Partnerfirma, eine Art Bonus. Später zahlte ACTI den Sonderposten dann sogar direkt auf das Firmenkonto eines Abdul Waheed G. – der Vermittler der ACTI-Geschäfte in Saudi-Arabien. Die Firma des Herrn G. hatte ihren Sitz auf den Marschallinseln – ein ozeanischer Inselstaat im Westpazifik. Insgesamt flossen 1,2 Millionen Dollar Schmiergeld aus Hamburg zu den Partnern in Saudi-Arabien.

Auch teure Geschenke waren Teil der Geschäftspraktiken bei Toepfer. Am 18. Juli 2008 wird eine Mail innerhalb des Unternehmens verschickt. Der Inhalt ist eine Warnung: Man möge doch künftig „Schriftliches vermeiden“. Offenbar sind sich Adressat und Empfänger im Klaren darüber, dass ihre Aktion brisant ist. Ein paar Monate zuvor hatte ein ranghoher Mitarbeiter in der Hamburger ACTI-Zentrale ein Treffen organisiert: Zu Besuch in der Hansestadt war ein Kontaktmann der Firma, der in Bangladesch die Geschäfte für ACTI vermittelt. Der Mann möge sich doch für die Fortführung der Exportgeschäfte zwischen ACTI und einem großen Düngehersteller in Asien einsetzen. Und dafür schenkte ein Töpfer-Mitarbeiter dem Mann aus Bangladesch ein Armband. Der Wert: 6500 Dollar. Eine großzügige Aufmerksamkeit – die zudem gegen die Regeln des Unternehmens für Geschenke deutlich verstieß. Das Geschäft aber, so habe der Kontaktmann 2009 versichert, würde weiterlaufen. Trotz Widerstand der Regierungsvertreter aus Bangladesch und dem Einspruch anderer Firmen.

Die heutigen Verantwortlichen bei der ACTI in Hamburg verweisen auf die Pressemitteilung des Mutterkonzerns ADM in den USA. Fragen zu den Schmiergeldvorfällen wollen sie nicht beantworten. In der Pressemitteilung schreibt das amerikanische Unternehmen, dass die Firma „rechtzeitig, freiwillig und umfangreich Auskunft“ über die illegalen Zahlungen gegeben habe. Zudem habe man die Anti-Korruptionsregeln von ADM und die Tochterfirmen „frühzeitig und umfangreich“ verbessert. Die Vorsitzende des US-Konzerns sagte, dass ihr Unternehmen eine externe Anwaltskanzlei mit der Aufklärung beauftragt hätte, als ADM von den „fragwürdigen Zahlungen“ von ACTI Wind bekam. Für die Staatsanwaltschaft Hamburg ist es ein großer Coup. Aus der Justizbehörde gab es Lob für die geleistete Arbeit. „Wenn wir gegen Wirtschaftskriminalität vorgehen, schützen wir nicht zuletzt diejenigen, die sich im Geschäftsverkehr redlich verhalten“, sagte Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD). „Wir stärken damit auch die internen Kontrollsysteme der Unternehmen.“

Zugleich ist sie unzufrieden darüber, dass Korruption von Unternehmen in Deutschland nur als eine Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Schiedek spricht sich für ein Unternehmensstrafrecht aus. „Die geltenden Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind unzureichend und wenig effektiv. Es entsteht der Eindruck, dass es sich um Kleinigkeiten handelt“, sagte sie dem Abendblatt.

Für Toepfer ist der Fall jedenfalls teuer geworden. Neben den Kosten des Verfahrens musste das Unternehmen auch einen hohen Betrag an Steuern nachzahlen: Weil die zur Schmiergeldzahlung angelegten Summen nicht als Kosten, sondern als Überschüsse deklariert wurden, musste ACTI mehr als 2,5 Millionen Euro für das Jahr 2007 und 3,6 Millionen Euro für das Jahr 2008 an die Finanzbehörden überweisen.