Immer mehr Handwerker und Selbstständige holen sich Geld im Leihhaus. Sie benötigen kurzfristige Kredite, die sie bei Banken nicht bekommen

Hamburg. Das Lager von Grüne’s Leihhäuser am Steindamm erinnert an einen Gemischtwarenladen. Auf 220 Quadratmetern im zweiten Obergeschoss werden 8500 Gegenstände verwahrt. In den Regalen liegen iPhones, Laptops, Spielekonsolen, Gitarren, Eisenbahnen, Bohrmaschinen und Motorsägen. Zwei Industriestaubsauger stehen im Gang. An der Wand hängen eine gute Handvoll Fahrräder. Im Tresor stecken hochwertiger Schmuck und teure Armbanduhren. In der Not machen die Menschen fast alles zu Geld. Unter den Kreditnehmern seien zuletzt auch viele Neukunden, sagt Filialleiterin Christa Wachter: „In jüngerer Zeit kommen immer mehr Kleinunternehmer und Selbstständige, die von der Bank keine kurzfristigen Kredite bekommen.“ Sie sitzen auf unbezahlten Rechnungen ihrer Kunden, müssen aber für den Kauf von Materialien in Vorkasse treten oder die Löhne der Mitarbeiter zahlen. Auf die Zusage der Banken können sie nicht warten. Wachter: „Bei uns bekommen sie sofort ihr Geld.“

Was Wachter für ihre Filiale in St.Georg beobachtet hat, ist als Trend in der ganzen Bundesrepublik auffällig. Deutschlands Pfandkreditbetriebe registrieren einen wachsenden Anteil von Kreditkunden aus Kleingewerbe, Handwerk und Mittelstand. Auslöser seien die immer schärferen Kreditbestimmungen für die Finanzbranche. „Bereits das Bankenregulierungsabkommen Basel II und künftig erst recht Basel III zwingt die Kreditinstitute zu einer immer restriktiveren Kreditvergabe“, sagt Joachim Struck, Vorsitzender des Zentralverbands des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZdP). Ziel der Reform ist eine Stärkung des Eigenkapitals der Banken, damit das Finanzsystem krisenfester wird. Das kann aber dazu führen, dass Banken keine Kredite mehr vergeben, weil sie das Geld zur Stärkung ihres Eigenkapitals brauchen. Unter dieser Entwicklung litten vor allem Kleinunternehmer, sagt Struck: „Viele Selbstständige und Handwerker wählen deshalb bereits heute die unkomplizierte Alternative: den Kredit aus dem Pfandleihhaus.“ Besonders kritisch sei die Situation in „Problembranchen“. Mit fast fünf Prozent Ausfallrisiko werde zum Beispiel das Gastgewerbe besonders kritisch betrachtet.

„Pfandleihe ist sicherlich ein Thema für Kleinstunternehmen, die gerade schlecht bei Kasse sind“, sagt Professor Martin Faust von der Frankfurt School of Finance and Management. Grundsätzlich gäben die Banken zwar sehr viele Kredite für Mittelständler und auch zu guten Konditionen. Aber bei höheren Risiken neigen die Banken dazu, die Kreditvergabe hinauszuzögern oder keine Kredite mehr zu vergeben. Die Entscheidungsprozesse seien nach der Finanzkrise sehr formell geworden. Auch bei langjährigen Kundenbeziehungen wolle kein Mitarbeiter mehr die Verantwortung übernehmen, an den klaren Vorgaben vorbei zu handeln und die Kreditlinie kurzfristig zu erhöhen. Faust: „Entscheidungen aus dem Bauch heraus gibt es nicht mehr.“ Generell von einer guten Fremdfinanzierungslage für die Unternehmen spricht auch die Handelskammer Hamburg. Als Ergänzung zum Bankkredit und für die kurzfristige Liquiditätssicherung sei der Pfandkredit aber durchaus eine mögliche Alternative, sagt Jörn Le Cerf, Leiter der Abteilung Börse: „Das kann für kleine Unternehmen durchaus eine schnelle, unbürokratische Hilfe sein.“

Mit offiziellen Zahlen lässt sich der vom ZdP formulierte Trend nicht untermauern. Denn wer im Pfandhaus Gegenstände zur Beleihung abgibt, muss lediglich seinen Personalausweis vorlegen. Über die Gründe für die Kreditaufnahme schweigt er meist. Und auch seinen Beruf muss der Kunde nicht angeben. „Es sind viele Momentaufnahmen aus dem Feedback unserer Läden, die unserer Meinung nach diesen gewissen Trend anzeigen“, sagt Thomas Struck, Vorsitzender des Pfandkreditverbands Nord in Hamburg. Gerade bei Unternehmern sei die Scheu hoch, ihre Stellung preiszugeben. Denn ein Gang ins Leihhaus gilt häufig als der letzte Ausweg und ist – wenn er rauskommt – verheerend fürs Image.

Der Hamburger Professor Udo Reifner vom Institut für Finanzdienstleistungen hält vom Gang der Unternehmer zum Pfandleiher nichts. Er hält auch die Aussagen der Pfandleiher für ein Rühren der Werbetrommel, um das eigene Geschäft anzukurbeln. Vielmehr rät er: Existenzgründer sollten einen vernünftigen Businessplan schreiben, Kleinunternehmer ihr Geschäftsmodell überprüfen, die Kreditlinie nutzen und dann mit den Banken verhandeln, die auch eine Beratungsfunktion wahrnähmen, und versuchen, den Zinssatz zu drücken. „Kredit ist nicht knapp, er ist nur teuer.“

Für viele Unternehmer sind die Zinsen offenbar aber zu hoch. Mittlerweile kämen die Geschäftsleute regelmäßig in die Filiale am Steindamm und informierten sich über Kredite, sagt Wachter: „Sie sagen: ,Ich brauche so und so viel Geld. Was muss ich Ihnen dafür bringen?‘“ Die meisten der Neukunden seien Handwerker. Verpfändet werde über die Rolex bis zum Schmuck der Ehefrau, Baumaschinen und Werkzeug eigentlich alles. Mehr als die Hälfte seien übrigens Stammkunden. Und die meisten holen ihr Eigentum wieder ab. „92 Prozent der Kunden lösen ihr Pfand wieder aus“, sagt Joachim Struck. „Sie zahlen den aufgenommenen Kredit also wieder zurück.“