Verbraucherschützer weisen auf Fehler in Widerrufsbelehrung hin. Schon 7000 Hamburger lassen sich beraten. Krisentreffen mit Banken in Hamburg

Hamburg. Das Treffen zwischen Verbraucherschützern, Anwälten und Banken in Hamburg soll diskret ablaufen. Die Presse ist ausgeschlossen, obwohl es sich offiziell lediglich um ein „Immobilienfachgespräch“ handelt. Im Hotel Radisson Blu wurden Räumlichkeiten für bis zu 130 Teilnehmer von der Verbraucherzentrale Hamburg gebucht. Das Thema, das Verbraucherschützer und Banker am 2. April ungestört diskutieren wollen, ist sehr brisant. Denn viele alte Kreditverträge zu Baufinanzierungen mit noch hohen Zinssätzen sind fehlerhaft und können auch noch Jahre später widerrufen werden. Die Kunden können dann neue Verträge mit den aktuellen Minizinsen abschließen. Die Verbraucherzentrale Hamburg bestätigt gegenüber dieser Zeitung das Treffen in Hamburg. „Aber es wird dazu keine Verlautbarungen geben“, sagt Christian Schmid-Burgk, Baufinanzierungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.

Die Banken stehen vor einem neuen Milliardenproblem: Wenn alle betroffenen Kunden ihre Forderungen durchsetzen können, käme es zu einer neuen Bankenkrise. Ohnehin verdienen die Institute bei der Baufinanzierung wegen des starken Wettbewerbs und der niedrigen Zinsen nur noch schmale Margen. Betroffen sind Kreditverträge für Baufinanzierungen ab September 2002. Jeder Vertrag enthält eine Widerrufsbelehrung, wonach Kunden innerhalb einer Frist von 14 Tagen den Vertrag widerrufen können. Auf den ersten Blick eine Formalie. Doch findige Juristen haben entdeckt, dass die Kreditnehmer damit häufig eine Art Widerrufs-Joker in der Hand haben. Denn der Gesetzgeber hat strenge Anforderungen an diese Widerrufsbelehrung gestellt. Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale Hamburg sind mehr als zwei Drittel der Belehrungen in den Darlehensverträgen fehlerhaft. „Damit ist der Vertrag zu jeder Zeit ohne Entschädigungszahlungen kündbar“, sagt Stephan Scharfenorth, Geschäftsführer des Baufinanzierungsportals Baufi24. Denn die Logik der Juristen geht so: Mit einer falschen Widerrufsbelehrung beginnt auch die zweiwöchige Frist nicht zu laufen, und der Kreditvertrag kann jederzeit widerrufen werden, also auch noch viele Jahre später. Allerdings muss der Kunde dann einen neuen Kreditgeber haben, wenn er die Restschuld nicht begleichen kann.

Ein neuer Vertrag kann die monatliche Belastung halbieren. Im Februar 2008 kostete ein zehnjähriges Baudarlehen 5,20 Prozent Zinsen. 300.000 Euro Kredit führen zu einer monatlichen Belastung von 1550 Euro. Kann dieser Vertrag jetzt widerrufen werden und wird eine neue Baufinanzierung abgeschlossen, sinkt die monatliche Belastung auf 850 Euro. Die Restschuld von 283.000 Euro wird mit einem Zins von 2,60 Prozent finanziert. Ohne den Widerrufs-Joker käme ein Ausstieg vor Ablauf der Zinsbindungsfrist teuer. Die an die Banken zu zahlende Vorfälligkeitsentschädigung kostet den Kunden in diesem Fall 46.000 Euro. Damit lassen sich die Banken für die ihnen entgangenen Zinseinnahmen entschädigen. Außerdem muss das Kreditinstitut dem vorzeitigen Ausstieg zustimmen. Als Faustregel gilt: Ein vorzeitiger Ausstieg kostet Verbraucher bis zu 20 Prozent der Restschuld.

Banken werfen Verbraucherzentrale vor, Ausstieg aus Altverträgen zu forcieren

Zunächst diente die Panne mit der Widerrufsbelehrung den Verbraucherschützern dazu, bei der Vorfälligkeitsentschädigung Druck auf die Banken auszuüben. Zwar gibt es klare Regeln für die Berechnung, doch die Verbraucherschützer halten die Zahlungen noch immer für zu hoch. Ein Ausstieg aus dem Kreditvertrag vor Ende der Zinsbindungsfrist ist aber nur in bestimmten Fällen möglich, etwa wenn die Immobilie verkauft wird. Der Streit um die Vorfälligkeitsentschädigung ist also kein Massenproblem. Doch inzwischen hat die Sache eine neue Dynamik bekommen. Immer mehr Verbraucher wollen einfach raus aus ihren alten Kreditverträgen mit noch hohen Zinsen.

Einige Banken machen dafür die Hamburger Verbraucherschützer verantwortlich, die täglich 40 bis 50 neue Fälle zur Prüfung erhalten. Schon jetzt sind es 7000 Kreditverträge, die bearbeitet werden müssen. Damit hat sich ihre Zahl in knapp einem halben Jahr verdoppelt. Die Gebühr der Verbraucherzentrale Hamburg für die Prüfung eines Falls stieg um 17 Prozent auf 70 Euro. Banken werfen ihr vor, den Ausstieg aus den teuren Altverträgen zu forcieren. „Wir haben den Kunden doch keine unredlichen Verträge angedreht“, sagt ein Banker. Dass die Zinsen immer weiter gesunken seien, könne man nicht den Banken anlasten. Auf der Internetseite der Verbraucherzentrale Hamburg heißt es, erfreulich sei die Lage auch für Kunden „die angesichts der niedrigen Zinsen gern in einen günstigeren Kredit umschulden möchten“. Einige Verbraucherschützer aus anderen Bundesländern sagen hinter vorgehaltener Hand, die Hamburger drehen ein ziemlich großes Rad.

„Wir klären lediglich über die Rechtslage auf, und die wird nicht von den Verbraucherschützern gemacht“, sagt Schmid-Burgk. „Die Banken sind wenig zimperlich, wenn es darum geht, ihre Rechte durchzusetzen. Wenn sich dann einmal Vorteile für die Verbraucher ergeben, können wir das nicht unterschlagen.“ Da die Hamburger den Ansturm der Verbraucher nicht mehr bewältigen können, sind jetzt auch die Verbraucherschützer in Bremen, Sachsen und Hessen in die Beratung eingestiegen. Die Verbraucherzentrale Hamburg gibt eine Einschätzung ab, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist oder nicht. Was der Verbraucher dann unternimmt, bleibt ihm überlassen.

Institute haben Widerrufsbelehrung mit eigenen Zusätzen versehen

Ohne anwaltliche Hilfe kommen die Verbraucher meist nicht zum Ziel. „Die Banken sträuben sich zunächst, die Konsequenzen aus fehlerhaften Widerrufsbelehrungen zu tragen“, sagt Maik Winneke, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht in Pinneberg. Doch er hat auch schon erfolgreiche Urteile erstritten, etwa gegen die DKB Bank. Oft gebe es auch Vergleiche. Nach seiner Einschätzung wird der Druck auf die Banken noch zunehmen. „Sie haben vielfältige Fehler bei den Widerrufsbelehrungen gemacht, und das sehen auch die meisten Gerichte so“, sagt Winneke. Ein Indiz für eine fehlerhafte Variante sei die Formulierung „Die Widerrufsfrist beginnt frühestens…“ Das ist nicht präzise genug. Ohnehin war es nicht einfach, den Kunden eine gültige Widerrufsbelehrung zu überreichen. Der Gesetzgeber hat den Mustertext seit 2002 siebenmal verändert. Damit nicht genug: „Vielfach wurde das gültige Muster von den Bankjuristen, mit Zusätzen, vermeintlichen Klarstellungen oder gestalterischen Elementen verändert“, sagt Schmid-Burgk.

Ob das Treffen in Hamburg die Lage entspannt, ist unsicher. „Ich erwarte keine überraschende Lösung“, sagt ein Banker. „Die Fronten sind sehr verhärtet.“ Die Geldinstitute müssen sich darauf einstellen, dass eine fehlerhafte Formalie sie noch sehr viel Geld kosten kann. Das haben vorher schon die Vermieter erfahren. Auch sie verwendeten fehlerhafte Renovierungsklauseln, erkannte der Bundesgerichtshof. Die Folge: Die Mieter müssen bei einem Auszug nicht mehr renovieren, und die Vermieter bleiben auf den Kosten sitzen.