Ein Spitzenkoch hat das ungewöhnliche Produkt erfunden. Die Herstellung auf Sylt hat gerade begonnen. Der Verkauf der Gläser in Hamburg startet

List/Sylt. Alexandro Pape hat sich kurz die Hände desinfiziert, dann greift er beherzt in das Salz aus den weißen Plastikbottichen und lässt es durch die Finger rieseln. Feine Kristalle, größere Bröckchen, einzelne Platten so groß wie Kuchenstücke, alle möglichen Fantasieformen bildet das transparente Mineral. „Wir haben hier letztens sogar ein Herz aus Salz gefunden“, freut sich Pape, der in T-Shirt, Schürze und Arbeitsschuhen in seiner Produktion steht und seinen Stolz kaum verbergen kann: Er hält das erste deutsche Meersalz in den Händen.

Der mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Küchenchef vom Fährhaus Munkmarsch, das sich an der Wattseite von Sylt in die Dünen kuschelt, kämpfte unglaubliche sieben Jahre lang, bis sein Traum vom Meersalz aus dem Norden endlich wahr wurde. Bis hierher war es eine lange Reise, es blieb wenig Zeit für die Familie mit zwei Töchtern. Der Traum brachte viele Rückschläge, erforderte Investitionen von einer halben Million Euro. Doch nun kann der Spitzenkoch seine Kreationen endlich mit Salz aus dem Meer vor seiner Haustür würzen. Er ist nicht länger „nur“ Küchenchef, sondern auch Geschäftsführer und Haupteigentümer der Firma Sylter Meersalz.

Dabei hätte es das neue Gewürz in den Augen von Zweiflern eigentlich nie geben dürfen. Salz aus der Camargue, aus Ibiza, Mallorca, alles kein Problem, denn dort brennt die Sonne auf die Meersalzbecken, bis sich das Mineral absetzt und nur noch in großen Haufen zusammengeschaufelt werden muss. Aber auf Sylt, in List, am nördlichsten Punkt Deutschlands, wo sich das Sommerwetter nicht wirklich zuverlässig zeigt? „Ich komme aus dem Rheinland“, sagt Pape, Sohn eines Italieners, und da sagen wir „jibbet nich, jibbet nich“.

Gesagt, getan. Pape fand nach ersten vergeblichen Entsalzungsversuchen in selbst angelegten Becken auf Sylt einen Mitstreiter: Nicolas Heyn, Chef des Kieler Unternehmens Terrawater, hörte ihm zu, spürte die Begeisterung des ehrgeizigen 40-Jährigen und ließ sich auf das Experiment ein.

Terrawater baut in südlichen Erdteilen Entsalzungsanlagen, um die Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. „Wir haben uns mehr als zwei Jahre jeden Montag an meinem freien Tag getroffen, um weiterzuarbeiten“, sagt Pape über das Duo aus einem Koch und einem Wasserexperten. Zu dem Team stießen dann noch Studenten der FH in Flensburg, Wissenschaftler aus Kiel und Osnabrück. Pape kam mit fünf Stunden Schlaf aus, es entstanden Doktorarbeiten zum ersten deutschen Meersalz, und heute steht sie da: die weltweit einzigartige Produktion von Meersalz in List, ein paar Schritte entfernt vom Hafen, wo die Nordseewellen an die Mole drängen.

400 Meter weit draußen im Meer beginnt die Geburt des Gewürzes. Hier endet die Pipeline der Austern Compagnie in der Nachbarschaft von Papes Salzfabrik, hier pumpt der Produzent der Sylter Royal das Meerwasser in seine Anlagen, um die Austern zu spülen und zu lagern. Pape bekommt nun wöchentlich 20.000 Liter aus der Leitung. Positiver Nebeneffekt für seine Firma: „Das Wasser ist gratis, weil Meerwasser niemandem gehört.“

Papes Indoor-Saline mit ihren mannshohen Wasserbehältern, einem Gewirr von Schläuchen und einem blauen Container mit einer mobilen Entsalzungsanlage imitiert sozusagen die Meersalzgewinnung der Salzbauern in südlichen Ländern, bei der das Produkt in einem langwierigen Prozess von Sonne und Wind getrocknet wird. Auf Sylt setzen sich in mehreren Tagen Lagerzeit zunächst Schwebeteilchen wie Sand ab, in einem transparenten Filter ist zudem eine kleine grüne Alge zu sehen, die hier aussortiert wird. So gereinigt fließt das Nordseewasser anschließend in das Herz der Anlage: Die Temperaturen erreichen hier maximal 78 Grad, sodass dem entstehenden Salz keinerlei Inhaltsstoffe wie Calcium und Magnesium entzogen werden. Dennoch bilden sich verschieden große Kristalle, sodass Pape sein Ziel erreicht, feines und grobes Salz zu gewinnen, und das ganz ohne künstliche Hilfsmittel.

Die Kristalle schmecken zwar nicht anders als jedes andere Salz. „Aber es kommt eben besonders auf die Konsistenz an“, sagt Pape, als er das Salz zwischen den Fingern hindurchrieseln lässt. „Warum mögen wir Erdnüsse oder Bratkartoffeln?“, fragt der Gourmet und gibt selbst die Antwort: „Wegen der Konsistenz, weil sie knackig sind.“ Das Grobsalz hat beim Probieren tatsächlich eine knusprig-crunchige Textur, die Nordsee indes ist nicht zu schmecken.

Zunächst wird die Tagesproduktion in der Lister Manufaktur bei rund 50 Kilogramm liegen, möglich sind 112 Kilo bei Volllast. In Hamburg ist das Salz ab sofort in einigen Edeka-Märkten, beim Mutterland und im Alsterhaus zu kaufen, ein Glas kostet 12,90 Euro. Trotz des stolzen Preises ist der Andrang auf das norddeutsche Produkt riesig, große Abnehmer wie der Feinkostanbieter Rungis und weitere Handelskonzerne haben ebenfalls bei Pape angefragt. Im nächsten Jahr will der Koch sein Angebot dann auch auf Restaurants ausweiten.

Beflügelt von seinem Erfolg mit dem Salz hat Pape nun Geschmack am Nordseewasser gefunden: Demnächst will er das Wasser, „reines H2O“, das bei der Salzgewinnung übrig bleibt, zu Bier brauen. Zum Durstlöschen nach einer Portion Sylter Meersalz wird es dann bald auch Sylter Bier geben.