Claus Eggers aus Neuengamme ist in Hamburg Marktführer für die Pflanze, die vor Weihnachten Konjunktur hat

Hamburg. Im Gewächshaus in Neuengamme rotiert die Lüftung. Auf acht Grad Celsius erwärmt die Anlage die Luft, deren Temperatur draußen nur leicht über dem Gefrierpunkt liegt. Hassim Arslan kniet mit dem rechten Bein auf der Erde. Der 50-Jährige trägt grüne, gut gepolsterte Knieschützer. Mit der rechten Hand durchstreift er das Beet. Christrosen mit geschlossenen Knospen lässt er weiterwachsen, leicht geöffnete Blüten schneidet er ab. Gut vier Stunden lang bewegt er sich vormittags im Zentimetertempo vorwärts, abwechselnd in kniender, hockender oder gebückter Haltung. „Das ist schon anstrengend“, sagt der Bergedorfer, der teilweise bis zu drei Pullover trägt, um sich für die Kälte zu wappnen.

Arslan ist einer von drei Vollzeitmitarbeitern, die Claus Eggers auf seinem Hof in den Vierlanden beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe derzeit: Christrosen pflücken. Die Saison für die Blumen dauert vom Totensonntag bis zu Weihnachten. „Wir sind bei Christrosen Marktführer in Hamburg“, sagt Eggers, der vor drei Jahren den mehr als 130 Jahre alten Familienbetrieb von seinen Eltern übernahm. In guten Jahren bringt er 200.000 Christrosen in den Verkauf, in diesem Jahr werden es wohl rund 120.000 Stück sein. Der Oktober und der November waren zu warm, viele Pflanzen sind schon vor Saisonstart verblüht. „Wir haben auf den Erntezeitpunkt keinen Einfluss“, sagt der 48-Jährige. Das unterscheide die Christrose von den anderen zur Adventszeit stark gefragten Pflanzen. „Weihnachtssterne und Amaryllis blühen dann, wenn der Gärtner es will“, sagt der Gartenbauingenieur. Die Blüten der vom Wissenschaftler Helleborus niger genannten Christrose hingegen öffnen sich naturgemäß bereits kurz vor Weihnachten – und das zunehmend auch in deutschen Wohnzimmern.

In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage nach Christrosen in der Adventszeit stark angestiegen, heißt es auf Anfrage von der Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) in Bonn. War das Gewächs früher nur als Gartenzierpflanze interessant, erobert es jetzt immer häufiger die Fenstersimse. „Seit acht Jahren werden Christrosen präsenter“, sagt Eggers. Ein Züchter aus Münster feierte einen Durchbruch bei der Massenteilung im Labor. Seitdem haben vor allem die Topfpflanzen eine breite Schicht erschlossen. Für Eggers passen die Blumen perfekt in die Saison „als kleines, zartes Gewächs in der dunklen Zeit mit einer traditionellen Symbolik“. Wegen der Reinheit der zu Weihnachten aufgehenden Blüten wurde sie als heilig angesehen und ihr besondere Kräfte wie die Vertreibung von bösen Geistern oder der Pest zugeschrieben. Den Floristen bescheren sie im Zusammenspiel mit Weihnachtssternen und -kakteen, Amaryllis und Tannengrün eine Sonderkonjunktur vor dem Fest. „Dank der saisonalen Produkte findet eine deutliche Belebung des Geschäfts statt“, so das AMI. Im Durchschnitt gibt jeder Deutsche pro Jahr knapp 106 Euro für Blumen aus. Insgesamt waren es in der Bundesrepublik im vergangenen Jahr 8,7 Milliarden Euro, rund drei Milliarden Euro davon wurden für Schnittblumen ausgegeben.

Eggers bewirtschaftet auf 2000 Quadratmetern rund 12.000 Christrosenpflanzen – ausschließlich als Schnittblumen. Die gepflückten Blumen sortiert meist seine Mutter Uschi der Länge nach, bindet zehn Stück zusammen und packt sie in Plastikbecher, die sie in Paletten stellt. Von zwei Uhr morgens an vertreibt Eggers sie auf dem Hamburger Großmarkt. Wie viel er pro Stück bekommt, möchte er nicht sagen. Im Geschäft müssen die Kunden einen bis 2,50 Euro pro Stück zahlen, sagt er. Weil die Ernte auch bei vielen Konkurrenten in diesem Jahr geringer ausfällt, sind die Preise angestiegen und gleichen das Absatzminus etwas aus. Eggers macht mit seinen Schnittblumen rund eine halbe Million Euro Umsatz pro Jahr. Sein Unternehmen stützt sich auf zwei weitere Säulen. Im Frühjahr schlägt er rund 600.000 Freesien los, im Sommer etwa 1,2 Millionen Rosen in allen Farben und Formen. „Die klassische Rose aus dem Gewächshaus kommt wegen der steigenden Energiepreise aber immer mehr unter Druck“, sagt Eggers.

Ein weiterer Vorteil, der für die Christrose spricht. Denn das Gewächshaus muss verhältnismäßig gering erwärmt werden. Selbst leichten Frost können die Pflanzen vertragen. Der Grund: Der Stängel enthält Glycoside (Alkohol-Zucker-Verbindung), die wie ein Frostschutzmittel wirken. Fallen die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, wird aus den Blüten Wasser abgezogen, sie liegen dann schlapp auf dem Boden. Wird es wärmer, stehen die Blumen wieder auf. Weil die Pflanzen aber auch aggressive Giftstoffe enthalten, die die Haut angreifen, trägt Arslan bei der Arbeit Handschuhe. Es ist eine Eigenkreation seines Chefs. Über dem Zeigefinger der rechten Hand ist eine Art Fingerhut gestülpt, an dem eine kleine Klinge befestigt ist. So können die Pflücker die Christrosen besonders kurz über dem Boden abschneiden. Für Eggers bedeutet das bares Geld, denn auf die Länge kommt es auf dem Markt an. Die Christrose wird bis zu 30 Zentimeter lang, und drei Zentimeter Stängellänge machen für ihn rund zehn Cent aus.