EU-Kommission verhängt im Libor-Skandal gegen sechs europäische Geldinstitute insgesamt 1,7 Milliarden Euro Bußen wegen Absprachen

Brüssel. Im Skandal um Zinsmanipulationen muss die Deutsche Bank die höchste Geldstrafe ihrer Geschichte zahlen. EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia verhängte gestern gegen sechs Großbanken Rekord-Bußen von insgesamt 1,71 Milliarden Euro. Der deutsche Branchenprimus, der auch in einige andere Skandale verwickelt ist, bekam im Rahmen des Vergleichs 725 Millionen Euro aufgebrummt. Almunia nannte die Manipulationen „schockierend“. Die Untersuchungen anderer Vorwürfe, etwa zu Absprachen am Devisenmarkt, liefen weiter. „Das ist noch nicht das Ende der Geschichte.“

Die Deutsche Bank war – wie auch die britische RBS – Teil von gleich zwei Händlerringen, die sich zum Vorteil ihrer Institute bei der Ermittlung von Referenzsätzen abgesprochen haben sollen. Die Schweizer UBS hatte über die Manipulationen beim Euribor und Yen-Libor ausgepackt und ersparte sich damit nach Angaben der Kommission eine Strafe von 2,5 Milliarden Euro.

Die Deutsche Bank hat eine Buße in der Höhe in etwa schon erwartet und dafür Geld zur Seite gelegt: „Die Vergleichssumme ist bereits weitestgehend in den Rückstellungen der Bank für Rechtsstreitigkeiten berücksichtigt.“ Die Bank hatte schon Ende Oktober mehr Geld für Prozesse und juristische Streitfälle reserviert – insgesamt liegen diese Rückstellungen inzwischen bei 4,1 Milliarden Euro. Das hatte den Gewinn im dritten Quartal pulverisiert. Die Rekord-Strafe sei Ergebnis des hohen Marktanteils, den die Bank bei den betroffenen Zins-Geschäften habe. Im Euribor-Fall zahlt die Deutsche Bank mit 466 Millionen Euro den höchsten Betrag, beim Yen-Libor-Fall rangiert sie mit 259 Millionen knapp hinter der RBS. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin hat keine Verstrickung ehemaliger oder aktueller Vorstände der Deutschen Bank in den Skandal festgestellt.

Mit der Kartellstrafe aus Brüssel – der höchsten, die die Kommission je verhängt hat – ist der Ärger für die Deutsche Bank wegen der Manipulationen aber noch längst nicht vorbei. Im nächsten Jahr wird eine Einigung mit den US-Behörden erwartet. Aufsichtsbehörden haben weltweit bisher fast vier Milliarden Dollar an Strafen gegen UBS, Royal Bank of Scotland (RBS), Barclays und die niederländische Rabobank verhängt. Zinssätze wie der Libor werden einmal am Tag in London ermittelt. Sie beruhen auf Angaben der Banken zu ihren Refinanzierungskosten und sind Basis für Finanzgeschäfte im Volumen von mehr als 500 Billionen Dollar. Als Konsequenz aus den Skandalen soll die Ermittlung der Zinssätze nach dem Willen der EU-Kommission künftig stärker kontrolliert werden.

In dem Brüsseler Verfahren hatte sich auch Barclays als Kronzeuge zur Verfügung gestellt – damit ersparten sich die Briten weitere 690 Millionen Euro Strafe. Auch die übrigen betroffenen Banken hätten mit den Ermittlern kooperiert, teilte die Kommission mit. Sie bekamen dafür deutliche Strafnachlässe. Bestraft wurden auch die französische Société Générale, die US-Banken Citigroup und JPMorgan Chase sowie der Broker RP Martin. Die Verfahren gegen Crédit Agricole und HSBC laufen noch. Beide halten sich – wie JPMorgan im Euribor-Fall – für unschuldig und ließen sich auf keinen Vergleich ein.

Almunia hatte sich bei der Untersuchung auf die Absprachen zwischen den Händlern konzentriert: „Was beim Libor- und beim Euribor-Skandal so schockierend war, ist nicht nur die Manipulation der Referenzzinssätze (...), sondern auch das abgestimmte Verhalten zwischen Banken, die eigentlich miteinander im Wettbewerb stehen sollten“, sagte der Kommissar. „Der heutige Beschluss ist ein deutliches Signal, dass die Kommission fest entschlossen ist, Kartelle im Finanzsektor zu bekämpfen und zu sanktionieren.“ Das Euribor-Kartell war laut Kommission von 2005 bis 2008 aktiv, beim Yen-Libor fand die EU Anhaltspunkte für Absprachen von 2007 bis 2010.

Deutsche Bank sieht Strafe als Schritt, sich von Altlasten zu bereinigen

Die Deutsche-Bank-Chefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain haben angesichts der Serie von Skandalen einen „Kulturwandel“ in der Bank ausgerufen, den Kritiker aber für unrealistisch halten: „Der heutige Vergleich ist ein wichtiger Schritt in unseren Bemühungen, Altlasten zu bereinigen“, erklärten die beiden Top-Manager. „Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass sich diese Art von Fehlverhalten nicht wiederholt.“ Der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick hält die Strafen für zu gering, um die Banken wirklich abzuschrecken: „Die Strafen müssen abschreckende Wirkung haben, damit die Institute alles tun, um für die Zukunft derlei Manipulationen durch Mitarbeiter in ihren Häusern effektiv zu unterbinden.“

Auch Manipulationen anderer Indizes und Referenzkurse haben die Bankenaufseher auf den Plan gerufen – etwa bei Derivaten, vor allem aber auf dem Devisenmarkt, in dem die Deutsche Bank zusammen mit der Citi weltweit führend ist. Die Kommission schaue sich gerade „sehr, sehr genau“ Informationen an, die ihr in Bezug auf Währungen, Devisenmärkte und -indizes zugespielt worden seien, sagte Almunia.