Verbraucherzentrale Hamburg spürt Mogelpackungen auf

Hamburg. Sein Büro gleicht einem Kiosk. Vom Waschmittel über Schokolade bis zu Tütensuppen hat Armin Valet alles in Kisten gehortet. Doch der Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg will kein Geschäft eröffnen. Er sammelt die Verpackungen, um den Mogelpackungen auf die Spur zu kommen. Die Hersteller reduzieren die Füllmenge, der Handel lässt den Verkaufspreis unverändert. Mit dieser Strategie werden den Verbrauchern Woche für Woche Preiserhöhungen untergeschoben, oft im zweistelligen Prozentbereich.

„Wir erhalten pro Monat bis zu 100 Beschwerden von Verbrauchern zu solchen Mogelpackungen“, sagt Valet. „Die Hersteller nutzen dieses Instrument systematisch, weil der Verbraucher bestenfalls den Preis im Kopf hat, nicht aber die Menge.“ Nur wenige Packungsgrößen sind den Kunden vertraut: Ein Kilogramm Mehl oder Zucker, 250 Gramm Butter, ein Liter Milch. „Bei diesen Grundnahrungsmitteln will kein Hersteller den Ärger der Verbraucher riskieren, indem er die gesetzten Mengen verringert“, sagt Valet. Folglich werden die Preise von Butter oder Milch häufiger angehoben oder gesenkt.

Doch bei vielen Produkten läuft es anders. Valet holt zwei Flaschen mit dem Flüssigwaschmittel Persil aus dem Regal. Auf der einen Flasche ist das Etikett etwas aufgefrischt, doch sonst kein Unterschied. Valet dreht die beiden Flaschen, sodass sie seitlich nebeneinanderstehen. Erst jetzt wird der Unterschied sichtbar. Die neuere Flasche ist schlanker, denn in ihr sind nur noch 1,168 Liter Persil. In der dickeren Flasche aus dem Jahr 2010 sind noch 1,5 Liter. Innerhalb von zwei Jahren hat Hersteller Henkel die Füllmenge um 22Prozent reduziert. Aus einst 20 Waschladungen wurden nur noch 16. „Als Persil Sensitive von 18 auf 16 Waschladungen reduziert wurde, blieb der Preis mit 5,45 Euro unverändert, was einer Preissteigerung von 12,5 Prozent entspricht“, sagt Valet. Diese Strategie verfolge Henkel auch bei anderen Produkten. „Beim Geschirrspülmittel Somat sind statt 100 Tabs inzwischen nur noch 72 in der Packung. Rechnet man die drei Füllmengenreduzierungen zusammen, entspricht das einer Preissteigerung von rund 32 Prozent“, sagt Valet.

Einmal in der Woche durchstreift er die Supermärkte, um Beschwerden der Verbraucher zu überprüfen oder neue Mogelpackungen zu entdecken. Mitunter geht es nur um wenige Gramm wie bei den Milka-Schokoladenherzen. Jedes der 20 Pralines schrumpfte von 6,25 Gramm auf 5,50 Gramm. Statt 125 Gramm sind in der neuen Packung nur 110 Gramm – bei unverändertem Preis. Damit wird die Nascherei auf einen Schlag um 14 Prozent teurer. „2009 waren sogar 150 Gramm in der Packung und kosteten 1,99 Euro“, sagt Valet. „Das entspricht einer Preissteigerung von über 50 Prozent innerhalb von vier Jahren.“

Auch Procter & Gamble und Mars packen immer weniger ein. „Bei den Pampers Windeln (Größe 4) sank die Stückzahl in sechs Jahren von 47 auf 34“, sagt Valet. Immer leichter werden die Tüten mit den Minis von Mars. Statt 250 Gramm (2009) wiegen sie jetzt nur noch 200 Gramm. Zuletzt wurde die Füllmenge von 221 auf 200 Gramm reduziert. Bahlsen macht seine Fertigkuchen 50 Gramm leichter, und bei Knorr von Unilever reicht die Tütensuppe jetzt nur noch für drei statt vier Teller.

Die meisten Hersteller verweisen wie Procter & Gamble auf stetig steigende Rohstoffpreise und andere Kosten, die sich erhöhen. Außerdem sei für die Preisgestaltung der Einzelhandel verantwortlich. „Doch ohne die Mitwirkung des Handels wäre eine solche Strategie nicht denkbar“, sagt Thomas Roeb, Handelsexperte der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Denn der Handel habe auch ein hohes Interesse daran, dass bestimmte Schwellenpreise nicht überschritten würden. „Durch Marktforschungen wissen wir, dass es für Verbraucher beim Kauf gewisser Packungsgrößen Preisschwellen gibt, die sie nicht überschreiten möchten“, sagt Bettina Klinken von Henkel.

Deshalb setzen Hersteller immer mehr auf reduzierte Füllmengen. „Prinzipiell ist es möglich, Preiserhöhungen entweder durch eine Erhöhung des Händlerabgabepreises oder eine Verringerung des Packungsinhalts vorzunehmen“, sagt Aline Boike von Procter & Gamble. So argumentieren auch Bahlsen, Henkel und Mars. Unilever begründet die Reduzierung bei der Tütensuppe mit einer verbesserten Rezeptur. Geschmacksverstärkende Zusatzstoffe wurden durch teurere Gewürzkomponenten ausgetauscht. „Um unseren Verbrauchern eine bessere Qualität bieten und das Preisniveau halten zu können, haben wir uns entschieden, die Suppenmenge von vier auf drei Teller zu senken“, sagt Unternehmenssprecher Konstantin Bark. Die unverbindliche Preisempfehlung für den Handel sei auch gesenkt worden. Die Verbraucherzentrale registrierte dennoch eine Preiserhöhung von mehr als 20 Prozent.

Bei Rama von Unilever wurde Fett durch Wasser ersetzt

Für Valet sind neue Rezepturen und aufgefrischte Verpackungen immer ein Warnsignal. „Häufig wird das auch dazu genutzt, die Füllmengen zu reduzieren.“ Mitunter verändert sich dann aber auch die Zusammensetzung der Produkte. „Für viele Verbraucher ist Rama von Unilever noch eine Margarine“, sagt Valet. „Doch das ist sie längst nicht mehr, nachdem der Fettanteil auf 70 Prozent reduziert und durch Wasser ersetzt wurde, was das Produkt bezogen auf den Fettanteil um elf Prozent teurer machte.“ Rama, das einstige Synonym für Margarine, sei heute nur noch ein Streichfett. Unilever verweist dagegen auf eine deutliche Produktverbesserung, weil es bei weniger Fett eine unveränderte Qualität gebe.

Abgespeckt haben auch die Cappuccino-Pads von Senseo. Waren bisher 5,5 Gramm Kaffee in einem Pad, sind es jetzt nur noch 1,1 Gramm. „Dafür wurde der Zucker- und Fettanteil erhöht“, sagt Valet. „Für uns ist das eine klare Produktverschlechterung.“ Doch Senseo verweist auf den Wunsch der Verbraucher, die einen cremigeren und süßeren Kaffee wollten. Röstkaffee wurde durch löslichen Bohnenkaffee ersetzt. „Dieser ist um ein Vielfaches ergiebiger als handelsüblicher Röstkaffee und ergibt so einen intensiveren und volleren Kaffeegeschmack. Damit konnte der Anteil der Zutaten erhöht werden, die für eine bessere Cremigkeit im Kaffee sorgen“, sagt Thorsten Bross, Marketing Direktor bei Douwe Egberts Retail Germany. Von der Firma werden die Pads vertrieben. Die Verbraucher wurden mit dem Hinweis „Neue Rezeptur“ auf die Veränderung hingewiesen, womit eines von Valets Warnsignalen bestätigt ist.

Verbraucher haben das Ausmaß der Täuschungen noch längst nicht erkannt

Doch der Verbraucher hat wenig Chancen, die vielen Mogeleien im täglichen Einkauf zu entdecken. Er müsste sich die Grundpreise merken, die am Regal im Supermarkt notiert sind, oder die jeweiligen Füllmengen. „Das ist unmöglich“, sagt Valet. „Ein Großteil der Verbraucher wird diese Taktik und das Ausmaß noch gar nicht bemerkt haben. Deshalb können die großen Markenartikelhersteller davon Gebrauch machen, ohne negative Auswirkungen für die Marke oder den Absatz befürchten zu müssen“, sagt Handelsexperte Roeb. Das sieh auch Verbraucherschützer Valet ähnlich. „Pampers kann die Mengenreduzierung offenbar mit einem Qualitätszuwachs kompensieren. Die Windeln haben einen hohen Marktanteil.“ Dennoch wird er weiter die Supermärkte durchstreifen und die Hinweise aufmerksamer Verbraucher auswerten. „Denn was da im großen Stil bei den Füllmengen abläuft, ist eine Täuschung des Verbrauchers.“