Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins überraschend auf 0,25 Prozent gesenkt. Experten rechnen nun mit noch schlechteren Konditionen für Sparer und zweifeln am Sinn der Maßnahme.

Hamburg. Nach der überraschenden Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) wird es für Sparer noch schwieriger, ihr Kapital zu zu mehren. Auch Banken und Versicherungen sehen in der Entscheidung eher ein fatales Signal. Doch diese Sorgen hatte EZB-Präsident Mario Draghi nicht im Blick, als er den Leitzins auf 0,25 Prozent senkte – ein historisches Tief. Vielmehr bereitet ihm die Preisentwicklung in der Euro-Zone Sorgen. Die Teuerung in den 17 Ländern war im Oktober auf 0,7 Prozent gesunken und lag damit unter der EZB-Zielmarke von knapp zwei Prozent. Es sei eine längere Phase niedriger Inflation zu erwarten, sagte Draghi. Die Zinssenkung soll zu einer Belebung der Konjunktur in den südlichen Problemländern beitragen und eine Deflation, eine Phase stetig fallender Preise, verhindern.

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur jüngsten Zinsentscheidung:

Warum ist eine Deflation so gefährlich?

Deflation fürchten Notenbanken noch mehr als Inflation. Denn bei fallenden Preisen halten sich Unternehmen mit Investitionen zurück, und Verbraucher schieben ihre Einkäufe auf, weil beide auf immer niedrigere Preise setzen. Japan hatte jahrelang mit einer solchen Entwicklung zu kämpfen. Die Wirtschaft wächst dann nicht mehr. „Die sinkenden Preise in Griechenland und Spanien sind notwendig, damit diese Länder ihre Wettbewerbsposition verbessern können“, sagt dagegen Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut. „Eine solche Entwicklung halte ich nicht für so gefährlich, aber die EZB hat das offenbar anders gesehen.“

Was sagen die Experten?

Der Schritt ist nicht unumstritten. „Der EZB bleibt kaum noch weiterer Handlungsspielraum“, sagt Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank. „Aber die Notenbank macht sich offenbar große Sorgen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Südeuropa.“ Doch der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken bezweifelt, dass die angeschlagenen Volkswirtschaften von der Zinssenkung profitieren können. Mit einer nennenswerten Belebung der Kreditvergabe in den Krisenländern sei nicht zu rechnen, sagt auch Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der privaten Banken. Die Geldinstitute in Deutschland leiden unter den niedrigen Zinsen, weil die Kunden weniger Geldanlagen nachfragen. „Für Banken, die über keine Reserven verfügen und sich nicht frühzeitig durch Kostenanpassungen auf diese Entwicklung eingestellt haben, wird es schwierig“, sagt Brüggestrat. Die Lebensversicherer kritisieren die Zinssenkung als fatales Signal. Eine Abkehr von der Politik des billigen Geldes sei überfällig.

Was kommt jetzt auf Sparer zu?

Sie müssen sich auf weiter sinkende Zinsen einstellen. „Allerdings wird es den Banken nicht möglich sein, die volle Zinssenkung an die Sparer weiterzugeben“, sagt Max Herbst von der FMH-Finanzberatung. Denn viele Banken könnten dann die Sparguthaben überhaupt nicht mehr verzinsen. „Ich gehe davon aus, dass die Konditionen beim Tagesgeld um 0,10 bis 0,15 Prozentpunkte sinken“, sagt Herbst. Im Schnitt werden noch 0,75 Prozent Zinsen gezahlt, viele Banken liegen allerdings bei weniger als einem halben Prozent. „Diese Entwicklung macht mir besondere Sorgen, weil es für die Deutschen kaum noch Möglichkeiten gibt, für das Alter sicher vorzusorgen. Dagegen kann der Aktienmarkt von den niedrigen Zinsen profitieren. Der DAX erreichte am Donnerstag ein neues Rekordhoch.

Werden Kredite jetzt günstiger?

Die Überziehung des Kontos dürfte teuer bleiben, da nur wenige Banken wie Deutsche Bank oder ING DiBa ihren Dispozins an den Leitzins gekoppelt haben und jetzt entsprechend senken müssen. Die meisten Geldinstitute verwenden andere Zinssätze als Referenzzins. Sie sind inzwischen so tief gefallen, dass sie kaum noch auf die Entwicklung der Leitzinsen reagieren. „Raten- und Baukredite werden von der Zinssenkung nicht beeinflusst, aber günstig bleiben“, sagt Herbst.

Profitiert die deutsche Wirtschaft?

„Die Bedingungen für eine Erholung der deutschen Konjunktur im nächsten Jahr haben sich verbessert“, sagt Bräuninger. Der Experte rechnet mit einem Wachstum von 1,7 Prozent nach 0,5 Prozent in diesem Jahr. Auch die Erholung in den südlichen Ländern sollte vorankommen, so Bräuninger. Der Euro ist gegenüber dem Dollar nach der Zinssenkung um bis zu 1,6 Prozent eingebrochen. „Da der Euro sehr stark war, verbessern sich jetzt wieder die Chancen der Exportbetriebe“, sagt Bräuninger. Davon sollte auch der Hamburger Hafen profitieren.