Continental aus Hannover hat eine Vision. Der Konzern will tropische Gummibäume als Rohstofflieferant für Kautschuk ersetzen. Auch der Umwelt zuliebe.

Hannover. Ausgerechnet mit der Pusteblume planen die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und die Continental AG aus Hannover in der Reifenproduktion den großen Clou. Europas größter Einrichtung für angewandte Forschung ist es gelungen, eine extrem kautschukhaltige Löwenzahnpflanze zu züchten, die tropische Gummibäume im großen Stil als Rohstoffquelle für die Reifenfertigung ersetzen kann. Das vereinfacht die Logistik und macht unabhängig von Preisschwankungen auf den traditionellen Kautschuk-Märkten. Seit wenigen Tagen arbeitet in Münster bereits eine Pilotanlage, die Löwenzahn-Kautschuk im Tonnenmaßstab produzieren kann. Erste Reifen will Conti daraus 2014 herstellen und auf öffentlichen Straßen erproben.

Direkt an den Continental-Werken soll es große Löwenzahnfelder geben

Conti-Manager schwärmen vom Potenzial einer Kautschukproduktion vor der eigenen Haustür. „Kautschuk-Gewinnung aus der Pusteblumenwurzel ist deutlich wetterunabhängiger möglich als die vom Gummibaum“, sagt Reifen-Vorstand Nikolai Setzer. Löwenzahn gilt als anspruchsloses Unkraut, das fast überall wächst und jährlich geerntet werden kann. Bei einem tropischen Gummibaum dauert es dagegen bis zu sieben Jahre, bis erster Kautschuksaft fließt. Kautschuk aus Löwenzahn eröffne neue Potenziale insbesondere für Brachflächen, es gebe also keinen Tank-Teller-Konflikt wie bei Biosprit, betont der Conti-Vorstand.

Die Vision der Hannoveraner geht noch weiter. Wenn die industrielle Fertigung von Löwenzahn-Kautschuk wie geplant anläuft, sollen in der Nähe der global 22 Conti-Reifenwerke große Löwenzahnfelder angelegt werden. „Das würde in nennenswertem Umfang sowohl die Umweltbelastung als auch den Logistikaufwand senken“, sagt Setzer. Kautschuk aus den Tropen muss dagegen weite Wege bis zu einem Reifenwerk in Europa zurücklegen. Wenn der weltgrößte Reifenhersteller die Produktion dieses wichtigen Rohstoffs selbst in der Hand hat, kann er auch mit stabilen Preisen kalkulieren. Denn in den vergangenen Jahren haben Angebotsmenge und Preis für Kautschuk aus Gummibäumen stark geschwankt. Als Ziel gilt bei den Hannoveranern intern, mindestens fünf bis zehn Prozent des Gummibaum-Kautschuks durch die Alternative aus Löwenzahn zu ersetzen.

An der technischen Machbarkeit lässt das Duo keinen Zweifel. „Es funktioniert“, ist man sich in Hannover und München sicher. Ziel der Münsteraner Pilotanlage sei es, den genauen Flächenbedarf für Löwenzahn zu ermitteln, der bei einer großindustriellen Fertigung benötigt wird und sich dann diese Anbauflächen werksnah zu sichern.

Treibende Kraft seitens der FhG ist Dirk Prüfer vom Aachener Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie. Auch er sieht den entscheidenden Durchbruch zur industriellen Fertigung von Kautschuk aus Löwenzahn als geschafft und damit den Weg frei zur die Kautschukproduktion in Europa. „Wir haben in den letzten Jahren ein großes Know-how in Sachen Löwenzahnzüchtung aufgebaut“, sagt der Forscher. Der darin enthaltene Kautschuk habe mindestens die gleiche Qualität wie der vom Gummibaum. Er könne zudem günstiger und ertragreicher geerntet sowie besser gezüchtet werden und vor allem auch in Deutschland als nachwachsender Rohstoff für Furore sorgen. Um die Pilotanlage in Münster zu füttern, werden vor Ort mehrere Hektar der besonders kautschukhaltigen Löwenzahnsorte angebaut.

„Mit der neuen Technologie können wir einen nachhaltigen Vorsprung für die deutsche Autoindustrie erreichen“, ist sich FhG-Präsident Reimund Neugebauer sicher. Auf diese Weise werde die heimische Wirtschaft auch ein Stück unabhängiger von Rohstoffimporten. Conti und FhG sind nach eigener Einschätzung allen Konkurrenten voraus. „Niemand ist so weit wie wir“, sagen die Hannoveraner. Und teurer würden Autoreifen durch den Löwenzahn-Kautschuk keinesfalls.