Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie sieht Offshore-Branche auf gutem Weg, hält die Prognosen der Regierung aber für zu optimistisch

Hamburg. Kaum jemand kennt die junge Industrie der Offshore-Windkraft in Deutschland so genau wie Nico Nolte, 44. Der promovierte Jurist leitet seit August das Referat Ordnung des Meeres beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg, dessen stellvertretender Chef er zuvor war. Seit Beginn der 2000er-Jahre beaufsichtigt er bei der Behörde, die dem Bundesverkehrsministerium untersteht, den Aufbau von Windparks in der deutschen Nordsee und Ostsee. Das BSH bearbeitet und genehmigt die Bauanträge, überwacht die Einhaltung der Auflagen und sammelt zahlreiche Daten zur Meeresumwelt. Rund 150 Anlagen wurden vor den deutschen Küsten bislang errichtet, etwa 120 speisen bereits Strom ins Netz ein.

Hamburger Abendblatt:

Herr Nolte, fehlende Landanschlüsse, teure Technik, schlechte Abstimmung auf allen Ebenen: Die Offshore-Windkraft ist in Misskredit geraten, noch bevor sie in Deutschland überhaupt nennenswert Strom liefert. Teilen Sie die Kritik?

Nico Nolte:

In der deutschen Nordsee werden derzeit acht Windparks gebaut, in der Ostsee einer. Nach Jahren der Verzögerungen und steilen Lernkurven sehen wir jetzt die technologische Expertise, um Offshore-Windparks auch unter den schwierigen Bedingungen unserer Meeresregion zu errichten. Mittlerweile kümmern sich speziell große Unternehmen um den Bau von Offshore-Windparks. Da sehen wir eine hohe Professionalität. Zugegeben: Dieses Niveau hätten wir gern früher gehabt. Aber es wurde eben zu Beginn der deutschen Offshore-Windindustrie oft unterschätzt, wie groß die technologischen Herausforderungen sind und wie schwierig es ist, diese Projekte zu finanzieren. Es bleibt eine Herausforderung, aber sie kann gemeistert werden. Jetzt muss es in die zweite Runde gehen. Dafür brauchen die Beteiligten unbedingt stabile Rahmenbedingungen.

Die Kritik an den deutschen Offshore-Projekten wurde im zurückliegenden Jahr deutlich lauter, obwohl es gerade in diesem Zeitraum sichtbare Fortschritte beim Bau von Windparks vor den Küsten gab. Warum war das so?

Nolte:

Es hat uns überrascht, dass die Entwicklung so negativ kommentiert wurde. Gerade die norddeutschen Küstenländer betonen, dass sie ein großes Interesse am Ausbau der Offshore-Windkraft haben, an der Ansiedlung neuer Industrien und Unternehmen, am Ausbau von Basishäfen für die Branche, an der Neuausrichtung von Werften. Die Offshore-Windkraft ist in die Diskussion um steigende Umlagen und hohe Kosten für die erneuerbaren Energien hineingeraten. Diese hohen Kosten für die Stromverbraucher wurden aber in den vergangenen Jahren nicht von Windparks auf dem Meer verursacht. Die Offshore-Windkraft ist teurer als die Erzeugung von Strom aus Windparks an Land, sie kann aber durch ihre hohen und stetigen Stromerträge einen ganz wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten.

Woher rührt der Druck?

Nolte:

Es geht vor allem um die Frage, wie die Stromverbraucher in den kommenden Jahren durch die Energiewende finanziell belastet werden. Bei anderen Formen erneuerbarer Energien hat man diese Entwicklung unterschätzt. Das hat die Skepsis gegenüber der Energiewende insgesamt verstärkt, auch gegenüber der Offshore-Windkraft. Kritisiert wurde hier vor allem das sogenannte Stauchungsmodell, bei dem die Betreiber von Offshore-Windparks in den ersten acht Jahren besonders hohe Vergütungen bekommen, in den folgenden zwölf Jahren entsprechend geringere. Dieses Modell kommt den Unternehmen allerdings unter den schwierigen Bedingungen der Finanzmärkte entgegen, weil es vor allem in den ersten Jahren hohe Sicherheiten für Kredite schafft und weil die Offshore-Windenergie bei uns die jüngste unter den erneuerbaren Energien darstellt.

Werden Offshore-Windparks vor den deutschen Küsten überhaupt gebraucht?

Nolte:

Offshore-Windparks liefern einen zuverlässigen und stetigen Stromertrag, der wesentlich größer ist als bei Windparks mit einer vergleichbaren Zahl von Anlagen an Land. Gute Standorte an Land ermöglichen im Jahr etwa 2500 Betriebsstunden unter Volllast. Bei Offshore-Windparks in der deutschen Nordsee, das hat das Testfeld „Alpha Ventus“ seit 2009 gezeigt, sind es mehr als 4000 Volllaststunden. Viele Experten sind der Meinung, dass die Offshore-Windkraft damit grundlastfähig und auch schnell wirtschaftlich konkurrenzfähig ist, so wie konventionelle Großkraftwerke.

Neben Deutschland baut vor allem Großbritannien Offshore-Windparks in der Nordsee, auch Dänemark, die Niederlande und Belgien. Kann daraus eine neue, grenzüberschreitende Stromversorgung in Nordeuropa entstehen?

Nolte:

So etwas kann entstehen. Wir beim BSH begleiten diesen Prozess der europäischen Nordsee-Netzinitiative und leiten eine eigene Arbeitsgruppe zu den administrativen Umsetzungen. Je mehr Offshore-Windkraftwerke miteinander vernetzt werden, desto stabiler arbeitet das Stromnetz. Man kann auch Wasserkraftwerke etwa in Norwegen mit solch einem Verbund kombinieren. Je mehr Länder sich beteiligen, desto mehr Möglichkeiten gibt es, den Strom bedarfsgerecht zu nutzen.

Der Ausbau in Deutschland liegt hinter den ursprünglichen Plänen. Was ist für die kommenden Jahre zu erwarten?

Nolte:

Bislang sind vom BSH in der deutschen Nordsee und Ostsee 2250 Windturbinen in 33 Windparks genehmigt, davon 30 Windparks mit 2010 Anlagen in der Nordsee. Wenn alle diese Projekte realisiert werden, entspräche dies einer installierten Leistung von mehr als 11.000 Megawatt. Bis zum Jahr 2015 können aus den bereits fertigen und den derzeit laufenden Projekten etwa 3000 Megawatt installierter Leistung ans Netz gebracht werden. Das ist etwa das Sechsfache des gegenwärtigen Standes. Nach einigen Verzögerungen werden jetzt auch die nötigen Konverterplattfomen errichtet, an die jeweils mehrere Windparks für die Netzanbindung angeschlossen werden können.

Die politische Rahmenplanung sah ursprünglich 10.000 Megawatt installierte Offshore-Leistung in Deutschland bis 2020 vor. Ist das noch realistisch?

Nolte:

Wenn die zweite Welle von Offshore-Projekten 2015 in Gang kommt, sind 7000 bis 8000 Megawatt bis zum Jahr 2020 realistisch. Das setzt die Bereitschaft der Unternehmen, Geld zu investieren und verlässliche Rahmenbedingungen zur Förderung der Offshore-Windkraft voraus. Die Voraussetzungen sind da, um die zweite Runde von Nordsee-Windparks zu starten, die von 2015 bis 2017 gebaut werden könnten. Wir gehen zunächst von sechs bis sieben weiteren Projekten aus.

Das wären rund 1500 Windturbinen bis 2020. Wahrgenommen wurden die deutschen Offshore-Projekte zuletzt vor allem, weil fertig errichtete Windparks nicht an das Landnetz angeschlossen werden können, etwa „Borkum Riffgat“. Müssen die Netzanschlüsse in staatliche Hand gelegt werden, damit das klappt?

Nolte:

Die Planung der Landanschlüsse wurde erheblich verbessert. Ursprünglich waren dafür die Windparkbetreiber selbst zuständig. Dann wurde zu ihrer Entlastung die Verantwortung auf den Netzbetreiber übertragen, in Nordwestdeutschland ist das Tennet. Die Synchronisierung beim Bau von Windparks, Landanschlüssen und Umspannwerken erwies sich als großes Problem. Allein beim Bau der Konverterplattformen gab es jahrelange Verzögerungen.

Wie soll das künftig vermieden werden?

Nolte:

Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz ist nun die Bundesnetzagentur dafür zuständig, die Netzanbindung zeitlich zu koordinieren. Sie legt Termine fest und verpflichtet den Übertragungsnetzbetreiber dann mit dem zeitgerechten Bau eines Landanschlusses. Der Netzbetreiber schreibt die nötigen Leistungen wie etwa Kabel und Konverterplattformen europaweit aus. Damit herrscht Planungssicherheit für die Unternehmen, die Windparks auf See errichten wollen. Es gibt klare zeitliche Vorgaben, wann der Bau des Windparks beginnen muss. Das ist ein neues System, um alle Beteiligten zu synchronisieren.

Welche Rolle spielt die Ostsee bei den deutschen Offshore-Plänen?

Nolte:

Die ausschließliche Wirtschaftszone in der deutschen Ostsee ist deutlich kleiner als die in der Nordsee. Die Möglichkeiten, dort Windparks zu bauen, sind dort daher begrenzter. Das liegt auch an Faktoren wie den Baugrundverhältnissen, dem intensiven Schiffsverkehr etwa auf den zahlreichen Fährverbindungen, aber auch am intensiven Vogelzug in der Ostsee.

Das BSH hat mit der Genehmigung von Offshore-Projekten 2001 bei null angefangen. Wo stehen Sie heute?

Nolte:

Wir konnten in den vergangenen Jahren ein enormes Wissen aufbauen, von den Baugrundverhältnissen auf See bis hin zu stark verbesserten Kenntnissen über Meeressäuger wie etwa der Schweinswale. Dieses Wissen stellen wir der Wirtschaft zur Verfügung, damit die Unternehmen ihre Anträge weiter verbessern können. Vor zehn Jahren wussten wir deutlich weniger über die Auswirkung von Offshore-Windparks auf die Meeresumwelt, in der heute Offshore-Windparks gebaut werden. Auch die Erkenntnisse des vom Bund geförderten Offshore-Testfeldes „Alpha Ventus“ haben uns dabei sehr geholfen.

Welches Gesamtpotenzial hat Deutschland bei der Offshore-Industrie?

Nolte:

Bislang wurden insgesamt 95 Windparkprojekte beantragt, 78 davon in der Nordsee. Das wäre rein rechnerisch ein Potenzial von 38.000 Megawatt, heißt aber längst nicht, dass dieser Ausbau auch realisiert wird.