EU-Gericht: Passagiere haben bei höherer Gewalt Anspruch auf Entschädigung. 50 Prozent bei mehr als zwei Stunden

Luxemburg. Egal ob Unwetter oder Streik: Bahnkunden bekommen grundsätzlich bei Verspätung Geld zurück. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am Donnerstag, dass auch höhere Gewalt Bahnunternehmen nicht vor Entschädigung bewahrt. Laut EU-Recht haben Reisende bei Verspätungen von ein bis zwei Stunden Anspruch auf Erstattung von mindestens einem Viertel des Fahrpreises. Ab zwei Stunden muss das Bahnunternehmen sogar mindestens die Hälfte des Preises zurückzahlen. Diese Regelung gelte auch bei Verspätungen wegen höherer Gewalt, urteilten die Luxemburger Richter.

Im konkreten Fall hatte der österreichische Verwaltungsgerichtshof den EuGH um Hilfe bei der Auslegung des aktuellen EU-Rechts gebeten. Die österreichischen Bundesbahnen ÖBB hatten gegen eine Vorgabe der nationalen Bahnaufsicht geklagt. Darin war die Bahngesellschaft aufgefordert worden, eine Klausel zu streichen, nach der bei höherer Gewalt jegliche Entschädigung ausgeschlossen ist. Die Bahngesellschaft hielt dagegen und berief sich auf Regelungen im internationalen Recht. Diese schließen eine Haftung des Unternehmens aus, falls es die Verspätung trotz aller Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Diese Regelungen stünden nicht im Widerspruch zu EU-Recht, urteilten die Richter. Denn die einheitlichen Rechtsvorschriften sollen dafür sorgen, dass dem Kunden im Einzelfall der entstandene Schaden erstattet wird – das Gesetz nennt zum Beispiel die Kosten für eine Übernachtung. Im Gegensatz dazu regelten die EU-Vorschriften eine teilweise Rückerstattung des Fahrpreises. Denn der Kunde habe schließlich nicht die Leistung erhalten, für die er bezahlt habe.

Beide Haftungsregelungen unterschieden sich grundlegend voneinander, so die Richter. Das Urteil regelt nur die Erstattung des Fahrpreises bei Verspätungen. Fahrgäste könnten aber über die pauschale Entschädigung der Fahrtkosten hinaus auch eine Klage auf individuellen Schadenersatz nach den Rechtsvorschriften erheben.

Die Deutsche Bahn erklärte, mit dem Urteil sei „Rechtssicherheit in einer für die Verbraucher und für die Eisenbahnen wichtigen Rechtsfrage geschaffen worden“. Das Unternehmen werde die Entscheidung unverzüglich in die Tat umsetzen. Der Fahrgastverband Pro Bahn stellte fest, das Urteil habe sämtlichen Überlegungen, wo höhere Gewalt anfängt oder aufhört, die Grundlage entzogen: „Für den Fahrgast zählt die Verspätung, nicht der Versuch des Beförderers, sich eventuell von seiner gesetzlichen Entschädigungspflicht zu befreien.“ Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) zeigte sich ebenfalls erfreut, fürchtet aber, dass die Deutsche Bahn nun die Preise anhebt, um die Mehrkosten aufzufangen. Zudem kritisierte der VCD, dass die Richter zwischen der Bahn und anderen Verkehrsmitteln unterscheiden.

Ein Vergleich mit den Rechten von Passagieren im Flug-, Schiffs- oder Busverkehr sei nicht angebracht, so der EuGH. Diese Verkehrsformen seien unterschiedlich zu beurteilen. In einem ähnlichen Fall hatte der Bundesgerichtshof erst am Dienstag entschieden, dass Fluggäste Verspätungen wegen Vogelschlags ohne Entschädigung hinnehmen müssen. Wenn Vögel das Triebwerk ihrer Maschine beschädigen, haben die Passagiere kein Anrecht auf eine Ausgleichszahlung.