Trotz der Absatzkrise in Europa investieren Hersteller, Händler, Zulieferer und Entwickler 150 Millionen Euro. Auch die Stadt gibt Geld

Hamburg. Elektroantrieb, Hybridfahrzeuge, Roboterautos – die deutschen Hersteller rücken auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) die Zukunft des Fahrens ins Rampenlicht. Doch was die Branche wirklich umtreibt, ist die gegenwärtige Absatzkrise in Europa. Nur die Verkaufserfolge in Übersee retten die Bilanzen von Volkswagen, BMW und Daimler. BMW-Chef Norbert Reithofer glaubt nicht an eine rasche Trendwende: „Momentan ist das Sorgenkind Europa. In diesem Jahr sehe ich noch kein Licht am Ende des Tunnels“, sagte er auf der weltgrößten Automesse in Frankfurt. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn rechnet vor, dass der Neuwagen-Markt in Westeuropa seit 2007 um drei Millionen Autos geschrumpft sei. Es könne frühestens im zweiten Halbjahr 2014 wieder nach oben gehen. Daimler-Chef Dieter Zetsche sieht die Talsohle in Europa zwar erreicht. Doch der Markt werde sich nur langsam erholen. „Das wird eine längere Reise“, sagte Zetsche.

In Deutschland rechnet BMW mit einem Rückgang der Neuzulassungen um drei Prozent. Volkswagen meldete für die ersten sieben Monate bisher einen Rückgang von mehr als vier Prozent. Mercedes verbuchte in den ersten acht Monaten hingen ein leichtes Plus im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum. Insgesamt sieht es bei den deutschen Herstellern im Heimatmarkt derzeit nicht nach einem Wachstumsjahr aus. Der Chef des deutschen Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann, geht von einem Absatz auf dem Niveau des Vorjahres aus. Drei Millionen Neuzulassungen seien 2013 möglich, sagte Wissmann. 2012 waren es 3,1 Millionen.

So gedämpft die Stimmung im deutschen Automarkt derzeit ist, in Hamburg investieren etliche Firmen der Branche kräftig in ihre Zukunft. Ob Zulieferer wie Contitech, Autofabriken wie Daimler in Harburg oder Händler an den Automeilen wie dem Friedrich-Ebert-Damm, zusammen fließen nach einer Umfrage dieser Zeitung in diesem Jahr mehr als 150 Millionen Euro in die Hamburger Automobilbranche.

Die Stadt fördert das Zukunftsthema Elektromobilität

Die Automobilunternehmen investieren in den nächsten Jahren durchschnittlich etwa ein Drittel ihrer Forschungsausgaben in die Entwicklung der Elektromobilität. Nach einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung Kienbaum wird sich diese Antriebsart durchsetzen, fraglich ist nur, wann.

Hamburg nimmt schon heute eine wichtige Rolle in der Erprobung der Zukunftstechnologie ein. Bei der Elektromobilität bleibt die Hansestadt weiterhin ein von der Bundesregierung geförderter Standort. Im Haushalt der Stadt ist 2013/2014 für den Ausbau der Elektromobilität eine Summe in Höhe von 2,96 Millionen Euro vorgesehen. Mit dem Geld soll unter anderem die Zahl der batterieelektrischen und mit Brennstoffzellen betriebenen Fahrzeuge in den Fuhrparks der Behörden, der Polizei und der Feuerwehr erhöht werden. Zudem sollen Besitzer von E-Fahrzeugen künftig mehr Ladeplätze an öffentlichen Gebäuden ansteuern können. Bisher sind gut 560 E-Fahrzeuge auf Hamburgs Straßen unterwegs.

Allein der mittelständische Hamburger Autohändler Karabag hat in den Jahren 2011 bis 2013 mehrere Hundert Stromer vornehmlich des Modells Fiat 500 in die Metropolregion gebracht (deutschlandweit etwa 800). Seit Beginn 2013 tüftelt Hamburgs Elektroauto-Pionier auch an einem Konzept, E-Autos endlich kostenneutral zu einem Benziner anbieten zu können. Schließlich kostet der 500E derzeit noch rund 30.000 Euro. Andere Hersteller, die elektrisch auf Hamburgs Straßen unterwegs sind, sind vornehmlich Renault, Peugeot, Nissan oder Smart.

Händler expandieren trotz der aktuellen Rabattschlacht

Auch wenn die Margen bei den Autohäusern immer geringer werden, weil der Preisdruck in der Branche angesichts der Kaufzurückhaltung der Deutschen zunimmt – sie investieren weiter in ihre Zukunft. Der Großteil des Autohandels in der Stadt liegt inzwischen in der Hand der großen Hersteller wie Mercedes und BMW, die über eigene Niederlassungen ihre Fahrzeuge in der Hansestadt verkaufen. Vor einigen Monaten eröffnete BMW an der Rahlstedter Straße in Barsbüttel – direkt an der A 1 – sein neues Gebrauchtwagenzentrum. Dort präsentiert der bayerische Hersteller die nach eigener Aussage größte Auswahl Norddeutschlands an gebrauchten Automobilen.

Mercedes schließt im laufenden Jahr Umbaumaßnahmen ab, die insgesamt 40 Millionen Euro gekostet haben. Der Stuttgarter Konzern hat die Standorte an der Kollaustraße und am Friedrich-Ebert-Damm komplett modernisiert. Aber auch selbstständige Händler, meist als Familienunternehmen organisiert, sind in der Branche an Alster und Elbe aktiv. Die Hamburger Dello-Unternehmensgruppe, der weltweit größte Opel-Einzelhändler, ist inzwischen an mehr als 30 Standorten in Norddeutschland vertreten und wächst weiter. Der VW-Händler Tiedtke mit 300 Mitarbeitern und fünf Standorten in der Region hat kürzlich ein neues Audi-Zentrum am Friedrich-Ebert-Damm eröffnet. Die Firma hat hier allein in die Autoausstellung vier Millionen Euro investiert.

Autofirmen stärken den Industrie-Standort Hamburg

Daimler wächst nicht nur im Vertrieb. Der Konzern stärkt mit seinem Werk im Hamburger Süden, das unter anderem Achsen und Lenksäulen herstellt, auch die Industrie in der Region: Nach Investitionen im vergangenen Jahr in Höhe von 100 Millionen Euro in die Fabrik in Hausbruch will der Hersteller 2013 noch einmal die gleiche Summe investieren. „Wir haben unsere Kompetenz im Leichtbau über Jahre konsequent auf- und ausgebaut und decken die gesamte Prozesskette ab. In der Kombination dieser Leichtbau-Technologien sind wir als Mercedes-Benz Werk Hamburg weltweit führend,“ sagte Werksleiter Werner Schalow dieser Zeitung. Seit 2011 werden in einer 10.000 Quadratmeter großen Halle Leichtbaustrukturteile für praktisch alle Mercedes-Benz -Pkw hergestellt. Die dabei angewandte Technologie stellt eine Weltneuheit dar, wurde in Hamburg entwickelt und ist seither einzigartig auf der Erde.

Neben Daimler, die in der Fabrik 2600 Mitarbeiter beschäftigen, ist die Continental AG hier mit einem Werk vertreten. Von den 750 Conti-Mitarbeitern in Hamburg sind rund 140 in der Automobilbranche zu Hause, also rund 20 Prozent. In der Harburger Seehafenstraße, bei der ehemaligen Phoenix, liegt das weltweite Kompetenzzentrum des Segments Heizung und Kühlung, in dem Kühlwasserschläuche und Kühlwasserleitungen hergestellt werden. Künftig will Conti die Forschung und Entwicklung für diese Produkte dort ausbauen. Dazu wurden in den letzten Monaten bereits neue Ingenieure eingestellt. Der Konzern plant zudem den Umzug des gesamten Bereichs inklusive des Prototypenbaus in das Hauptwerk an der Hannoverschen Straße. Dies sei ein klares Zeichen für die weitere Stärkung des Standortes Hamburg, sagte ein Unternehmenssprecher dieser Zeitung. Im Augenblick suche Conti mit der Stadt und einem Investor eine Regelung zum alten Verwaltungsgebäude. Dies sei die Voraussetzung für den Umzug von der Seehafenstraße an die Hannoversche Straße.