Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt feiert Jubiläum. Unternehmen behauptet sich gegen wachsenden internationalen Konkurrenzdruck.

Hamburg. Die Hansestadt war der führende Werftstandort weltweit, als Werften und Reeder die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt (HSVA) gründeten. Das geschah im Jahr 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Ihre ersten Anlagen nahm die HSVA im April 1915 in Betrieb, da tobte der Krieg bereits ein Dreivierteljahr lang. In der kommenden Woche feiert das Unternehmen sein 100-jähriges Bestehen. Vom Schiffbau in Hamburg blieben, nach etlichen Krisen in den vergangenen Jahrzehnten, nur Blohm+Voss und Deutschlands älteste Werft Sietas, die ums Überleben kämpft. Die HSVA aber agiert international so erfolgreich wie wohl nie zuvor in ihrer Geschichte. „Wir schreiben seit zehn Jahren Gewinne. Das war früher oft nicht und vor allem nicht so konstant der Fall“, sagt Direktor Jürgen Friesch, 63, der das Unternehmen seit 2004 führt.

Friesch geht durch die weitläufigen Hallen an der Bramfelder Straße in Barmbek Nord. Nicht weit entfernt vom heutigen Standort, am Schlicksweg, war die HSVA einst gegründet worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die britische Besatzungsregierung in Hamburg die Anlagen demontieren. Im Jahr 1952 begann der Wiederaufbau einige Hundert Meter entfernt. Seither entwickelte sich die HSVA zu einem der renommiertesten Dienstleister des internationalen Schiffbaus. „Unsere Anlagen machen uns zu einer der führenden Einrichtungen dieser Art weltweit, neben den Schlepptanks sind das vor allem die Eistanks und der Kavitationstunnel HYKAT“, sagt Friesch. Düster ist es in der Halle, die das 300 Meter lange und 18 Meter breite Bassin des großen Schlepptanks überdeckt. Techniker bereiten die nächste Testreihe vor. Ein großer Zugschlitten, der auf Schienen über dem Becken läuft, bewegt die metergroßen Modelle von Schiffsrümpfen durch das Wasser. Die Techniker fahren auf der Messbühne auch mit, wenn die Modelle mit Elektromotoren in Eigenantrieb durch das Becken gleiten.

Die Optimierung von Rümpfen und von Schiffspropellern ist die zentrale Aufgabe der HSVA. Wie lässt sich der Verbrauch von Brennstoff senken, die Laufruhe neuer Schiffe verbessern? Wie kann die Abnutzung der teuren Propeller durch Kavitation – Blasenbildung im Wasser – minimiert werden, wie erhöht man die Widerstandsfähigkeit von Rumpf und Antrieb in der Eisfahrt? Die bestmöglichen Antworten darauf sind bei Werften und Reedereien weltweit gefragt. Die HSVA liefert sie mit modernsten Anlagen, rund 90 erfahrenen Mitarbeitern und mit präzise gefertigten Schiffsmodellen. Auch die Flugzeugindustrie nutzt die Dienste des Unternehmens, etwa für hydrodynamische Versuche über Notwasserungen von Verkehrsmaschinen.

Längst hat sich die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt von der Branche in der Hansestadt und in Deutschland entkoppelt, obwohl 20 Unternehmen aus der deutschen maritimen Industrie nach wie vor den Gesellschafterkreis der HSVA bilden. Der deutsche Schiffbau ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter geschrumpft, eine Werft nach der anderen musste aufgeben, auch in Hamburg. Die deutsche Handelsflotte aber wuchs in jüngerer Zeit zur drittgrößten der Welt heran. In der Containerschifffahrt steht Deutschland, gemessen an der Nationalität der Reedereien, international mit großem Abstand auf Rang eins. Bauen aber lassen die deutschen Reeder, die ihre Containerfrachter, Massengutschiffe und Tanker zumeist verchartern, vor allem in Südkorea und in China. Die HSVA ist dieser Globalisierung des Geschäftes gefolgt. Ihre Auftraggeber sind heutzutage deutsche Reeder ebenso wie asiatische Werften. „Wir sind weder werft- noch reedereiabhängig, sondern arbeiten unabhängig“, sagt Friesch, Schiffbauingenieur und Kapitänleutnant der Reserve.

Die Einsparung von Brennstoff, die Senkung von Schadstoffen und Treibhausgasen sind heutzutage beherrschende Trends. Preise von derzeit mehr als 600 Dollar je Tonne Schweröl zwingen die Reedereien, ihre Schiffe langsamer fahren zu lassen. Vor allem auf den Container-Liniendiensten mit festen Fahrplänen schafft das Probleme. Wer langsamer fährt, braucht mehr Schiffe, um regelmäßige Abfahrtszeiten garantieren zu können. Zudem ist jedes Schiff auf eine bestimmte Geschwindigkeit hin optimiert. Weniger Tempo kann zwar den Brennstoffverbrauch senken, dafür steigt der Verschleiß an der Maschine und an anderen Antriebsteilen, die dafür nicht ausgelegt sind. Neue Schiffstypen müssen her, die weniger Energie verbrauchen. „Es spielt uns sehr in die Hände, dass wir propulsionsoptimierte Schiffe mitentwickeln und testen“, sagt Friesch. „Früher hätte sich eine Reederei für eine Einsparung von, sagen wir, drei Prozent Brennstoff bei einem Neubau kaum interessiert. Heutzutage springt man in der Branche auf solche Effizienzgewinne sofort an.“

Trotz ihres Renommees und der engen Kooperation mit der Technischen Universität Hamburg-Harburg steht die HSVA unter wachsendem Konkurrenzdruck. In Europa arbeiten staatlich geförderte Wettbewerber wie Marin in den Niederlanden oder Marintek in Norwegen. Auch Großwerften in Südkorea und China haben mittlerweile eigene Testzentren aufgebaut. „In China oder in Südkorea verlassen jährlich Tausende Schiffbauingenieure die Hochschulen“, sagt Friesch. „Da genügt es schon, wenn nur ein kleiner Prozentsatz Spitzenniveau hat, um den Konkurrenzdruck hier weiter zu erhöhen. Wir dürfen uns nicht abkoppeln lassen.“

Die fortlaufende Modernisierung der Anlagen ist unverzichtbar. 2011 nahm die HSVA im großen Schlepptank den weltweit ersten seitlichen Wellenerzeuger in Betrieb, um noch realitätsnäher testen zu können. „Wir würden unseren seitlichen Wellenerzeuger im großen Schlepptank gern von 40 auf 120 Meter Fahrstrecke ausbauen. Das kostet allerdings sechs bis acht Millionen Euro – eine so große Summe kann eine Forschungsanstalt wie die HSVA nicht aus eigener Kraft erwirtschaften“, sagt Friesch. 2012 verbuchte die HSVA einen Umsatz von 12,2 Millionen Euro. 2008, bevor die Finanzmarktkrise Wirkung entfaltete, waren es 10,2 Millionen Euro: „Bis in die 1990er-Jahre hinein war die HSVA gemeinnützig“, sagt Friesch. „Der Anteil der Industrieaufträge durfte damals höchstens 50 Prozent betragen. Heutzutage haben wir einen Anteil von 80 Prozent an Industrieaufträgen und von 20 Prozent öffentlich teilgeförderten Forschungsvorhaben.“

Hinter der Halle des großen Schlepptanks liegt das Lager für die Modelle, ein faszinierendes Sammelsurium von roten und gelben Schiffsrümpfen. Rot sind die Rümpfe für eisgängige Schiffe. Hoch spezialisierte Tischler fertigen, mit Unterstützung computergesteuerter Schleif- und Fräsmaschinen, 80 bis 90 Modelle im Jahr. Sie wiegen mehrere Tonnen und bestehen aus ghanaischem Wawa-Holz, das besonders trocken und widerstandsfähig ist. Der Maßstab der Modelle – zwischen 1:6 und 1 : 40, hängt vom Größenverhältnis der Rümpfe zu den Propellern ab. Die werden von der HSVA ebenfalls selbst gefertigt und haben einen Durchmesser von 20 bis 25 Zentimetern.

Mit seinen Modellen ist das Unternehmen Neueinführungen in der Branche meist um Jahre voraus. Die neuen Triple-E-Schiffe von Mærsk, die mit ihren 18.000 Containereinheiten (TEU) in diesen Wochen an den Markt kommen, wurden als Modell 2011 und 2012 in Barmbek getestet. Sie sind derzeit die größten Containerschiffe der Welt. Längst aber hat die HSVA zu Testzwecken Miniaturen noch viel größerer Frachter mit bis zu 22.000 TEU zu Wasser gelassen. „Unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Skaleneffekte gibt es bei den Containerschiffen sicher noch lange keine Größengrenze“, sagt Friesch zwischen den Regalen, auf denen die Modelle lagern. „Aber es fragt sich natürlich: Wie weit kann die Infrastruktur in den Häfen für Schiffe mit 16.000 und mehr Containern weiter mitentwickelt werden? Und was bedeuten diese riesigen Ladungsmengen aus dem Blickwinkel der Versicherungen?“

Am Montag tauft das Unternehmen, aus Anlass der Jubiläumsfeier, sein 5000. Modell. Es ist der Rumpf für die „Titanic 2“. Der australische Millionär Clive Palmer will einen Nachbau des legendären und 1912 gesunkenen Atlantikliners aufs Meer bringen. An der Bramfelder Straße in Barmbek wird man wohl schon sehr früh einen Eindruck davon gewinnen, ob dieser exzentrische Plan je verwirklicht wird.