Experten kritisieren schleppende Umstellung auf IBAN. Bei Verbrauchern könnten Gehaltskonten leer bleiben. Die wichtigsten Fragen und Antworten

Hamburg. Für die Geldinstitute wie die Hamburger Volksbank oder die HypoVereinsbank hat der Countdown zur Einführung eines neuen Zahlungssystems längst begonnen. Auf ihren Internetseiten zeigen sie ihren Kunden mit einem Zählwerk, wie die Zeit bis zur Einführung am 1. Februar 2014 unaufhaltsam verrinnt. Spätestens dann müssen Firmen und Vereine ihre Buchhaltung auf ein neues Kontonummernformat mit 22 Stellen umgestellt haben. Außerdem wird das in Deutschland sehr verbreitete Lastschriftverfahren auf völlig neue Grundlagen gestellt. Gelingt das nicht, sind die Unternehmen im nächsten Jahr vom Geldfluss ihrer Kunden abgeschnitten. „Es besteht die Gefahr, dass solche Unternehmen schnell illiquide oder gar insolvent werden“, sagt Bereichsvorstand Philipp Reimnitz von der HypoVereinsbank. Auch die Hamburger Volksbank fürchtet: „Liquiditätsengpässe aufgrund einer verspäteten Umstellung können die Existenz kosten“, warnt eine Banksprecherin.

Doch nicht nur die Geschäftswelt ist betroffen. Ab Februar könnte das Gehaltskonto leer bleiben. Verbraucherschützer befürchten, dass zu viele Unternehmern die neuen Kontonummern für die Gehaltsüberweisung erst auf den letzten Drücker abfragen oder selbst umstellen. Nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC wird ein Drittel der Unternehmen die rechtzeitige Umstellung nicht mehr schaffen.

Anders als zur Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen oder dem Start des Euro gibt es keine große Kampagne, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die Realisierung eines einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (englisch: Single Euro Payments Area, SEPA) „wird bisher als reines Bankenthema gesehen“, sagt Hubertus von Poser, Experte für Zahlungsverkehr beim Beratungshaus PPI AG. „Viele Firmen sehen auch keinen Nutzen in dem neuen Zahlungsverfahren, weil ihre Kunden überwiegend im Inland sitzen.“ Das spüren auch Handwerkskammer und Handelskammer. „Es gibt bisher kaum Anfragen zu dem Thema“, sagt Ute Kretschmann, Sprecherin der Handwerkskammer.

Doch Warnungen schrecken viele kleinere Firmen und Vereine nicht auf. Bundesbank und Bundesfinanzministerium kommen zu der Einschätzung, dass viele mittlere und kleinere Unternehmen sowie Vereine noch nicht mit den Vorbereitungen begonnen haben und eine rechtzeitige Umstellung daher unwahrscheinlich ist. „Es drohen Liquiditätsengpässe und Kosten durch fehlerhafte Zahlungsabwicklung“, sagt Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele. Erst 0,14 Prozent der Lastschriften werden auf SEPA-Basis eingezogen und 8,7 Prozent aller Überweisungen mit dem neuen Format abgewickelt. In gut fünf Monaten müssen es in beiden Bereichen 100 Prozent sein. Zum Vergleich: Länder wie Griechenland oder Zypern haben bei den SEPA-Überweisungen bereits einen Anteil von mehr als 60 Prozent (siehe Grafik).

Wie träge die Umstellung vorangeht, zeigt sich an der schleppenden Nachfrage nach der Gläubiger-Identifikationsnummer (ID). Firmen benötigen diese Nummer, um überhaupt das Lastschriftverfahren noch nutzen zu können. „Erst zehn Prozent haben ihre ID bei der Bundesbank beantragt“, sagt SEPA-Experte Stefan Sander von der Hamburger Sparkasse. „Es besteht die Gefahr, dass es früher oder später bei der Bundesbank zu einer Überlastung kommt, wenn alle gleichzeitig ihre ID beantragen wollen.“ Erst danach kann mit der eigentlichen Vorbereitung begonnen werden, die von der Umstellung der Buchhaltung bis zu neuen Rechnungsformularen, Briefbögen und Überweisungsträgern reicht.

Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen zur SEPA-Einführung.

Warum werden die Kontonummern umgestellt?

Grund ist ein einheitlicher Zahlungsverkehrsraum, der 33 europäische Länder umfasst und neue Standards für Überweisungen und Lastschriften in der Währung Euro setzt. Deshalb wird aus der alten Kontonummer eine neue internationale Kontonummer mit 22 Stellen, die International Bank Account Number, IBAN. Aus der Bankleitzahl wird ein BIC (Bank Identifier Code).

Was bringt das?

Grenzüberschreitende Zahlungen werden schneller und billiger. Auslandstransfers in Euro sind kostenlos, wenn die Überweisung auch im Inland nichts kosten würde. Die Zahlungen sollen innerhalb eines Arbeitstages ausgeführt werden. Nach Berechnungen der EU-Kommission sparen Unternehmen, Banken und Haushalte mit der Umstellung innerhalb von sechs Jahren mehr als 120 Milliarden Euro. „Wer etwa eine Ferienwohnung in Spanien hat, kann die Rechnung des Stromanbieters direkt vom deutschen Konto einziehen lassen“, sagt Sabine Münster, Leiterin Banking bei der Comdirect Bank. Das war bisher nicht möglich.

Bekomme ich eine neue Kontonummer?

Nein. Die neue IBAN setzt sich im Wesentlichen aus der bisherigen Kontonummer und der Bankleitzahl zusammen. Am Anfang steht das Länderkennzeichen DE, danach folgt eine zweistellige Prüfziffer. Dann kommt die Bankleitzahl mit acht Stellen und danach die Kontonummer mit zehn Stellen. Wenn die Kontonummer bisher noch keine zehn Stellen hat, wird sie entsprechend ergänzt, meist um eine Null an erster Stelle. Die neue Kontonummer steht seit vielen Jahren schon auf den Kontoauszügen.

Was passiert, wenn ich mich bei der Eingabe der Kontonummer vertippe?

Jeder Kontoverbindung wird eine zweistellige Prüfziffer zugeordnet. Sie dient dazu, Falscheingaben beim Online-Banking oder am SB-Terminal sofort zu signalisieren. Das soll vor Vertippen und Zahlendrehern schützen. Bei der Abgabe der Überweisungen am Schalter fällt ein Fehler erst bei der bankinternen Weiterverarbeitung auf. Fehlüberweisungen werden dennoch nicht völlig ausgeschlossen. Dass kann aber auch mit der alten Kontonummer passieren.

Gibt es nicht eine lange Übergangsfrist für Privatkunden?

Sie können noch zwei Jahre lang die gewohnte Bankleitzahl und Kontonummer verwenden, die dann von der Bank auf das neue Format umgerechnet wird. Müssen Rechnungen an Firmen überwiesen werden, so werden auch die Privatkunden spätestens ab Februar 2014 mit den neuen Kontonummern der Zahlungsempfänger konfrontiert. Beim Online-Banking ist vor 2016 mit einer Umstellung auf SEPA zu rechnen. Daueraufträge der Kunden werden von der Bank automatisch umgestellt.

Was ändert sich beim Lastschriftverfahren?

Für Firmen und Vereine ist das die größte Herausforderung, denn hier gibt es die meisten Veränderungen. „Die Unternehmen müssen früher als bisher ihre Lastschriften bei den Banken einreichen und sich gegenüber den Kunden auch festlegen, an welchem Tag die Abbuchung erfolgen soll“, sagt Hubertus von Poser. „Viele Firmen unterschätzen die Dimension und die Komplexität des Verfahrens.“ Die bisherigen Kontonummern der Kunden müssen in eine IBAN umgewandelt werden, wenn man sie nicht einzeln von den Kunden abfragen will. Für die automatische Umwandlung bietet die Kreditwirtschaft Programme an. Die bisherige Einzugsgenehmigung, die schriftlich vorliegen muss, wird in ein SEPA-Mandat umgewandelt. Außerdem muss noch eine Mandatsreferenznummer für den Einzug vergeben werden. Die Kunden müssen 14 Tage vorher über den Tag des Einzugs und den Betrag informiert werden. „Wer nur zwei bis 20 Lastschriften im Monat hat, sollte überlegen, ob er auf ein alternatives Zahlverfahren umsteigt, denn für diese Größenordnung ist der Aufwand für die Umstellung zu kostenintensiv und groß“, sagt Sander.

Was bedeutet das für die Verbraucher?

Sie erhalten in den nächsten Monaten sehr viel Post von Unternehmen, die von ihrem Konto abbuchen. So bekommen die Mieter der Saga entsprechende Mitteilungen im September, wie ein Unternehmenssprecher sagt. Kern der Botschaft ist stets: Die bisherige Einzugsermächtigung heißt jetzt SEPA-Mandat. Der Verbraucher sollte die bürokratisch und technisch formulierten Schreiben nicht achtlos zur Seite legen, sondern zumindest überprüfen, ob das Unternehmen überhaupt zur Abbuchung berichtigt ist, der Betrag und die IBAN korrekt sind. Denn bei der automatischen Umstellung der Kontonummern sind Fehler nicht völlig ausgeschlossen. Eine weitere Gefahr: „Solche Umstellungen bergen immer das Risiko, dass Kriminelle die Unsicherheit der Menschen ausnutzen, um sie für ihre Betrügereien zu missbrauchen“, sagt Frank-Christian Pauli vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

Sind auch Vereine von den Umstellungen betroffen?

Sie müssen sich ebenso umstellen wie Firmen, denn häufig werden die Mitgliedsbeiträge im Lastschriftverfahren eingezogen. „Wir haben bereits im April begonnen, die Vereine zu informieren und eine kostengünstige Möglichkeit gefunden, um die Kontonummern der Mitglieder umzustellen“, sagt Thomas Michael vom Hamburger Sportbund. Er sieht die 800 Vereine gut gerüstet. Auch für die lästige Pflicht, vor der Abbuchung die Mitglieder extra zu informieren, hat er eine pragmatische Lösung gefunden: „Das wird auf den Internetseiten der Vereine erfolgen.“ Doch Banken sehen großen Nachholbedarf im Vereinswesen. „Wenn sie ab Februar 2014 keine Beiträge mehr einziehen können, wird das eine durchschlagende Wirkung auf ihre Finanzen haben“, sagt Sander.

Wie lange können Lastschriften künftig zurückgegeben werden?

„Eine Lastschrift kann bis zu acht Wochen zurückgegeben werden“, sagt Sander. Bisher sind es sechs Wochen. „Wenn kein SEPA-Mandat vorlag, beträgt die Frist 13 Monate“, so Sander. Außerdem erhalten Verbraucher weitere Rechte. Der Kunde kann eine weiße Liste anlegen: Nur darauf enthaltene Firmen dürfen Lastschriften ziehen. Möglich ist auch eine schwarze Liste: Alle Firmen darauf sind als Zahlungsempfänger ausgeschlossen. „Ich gehe davon aus, dass sich nur die schwarze Liste durchsetzt“, sagt Sabine Münster von der Comdirect Bank. Bei der anderen Variante kann der Kunde die Kartenzahlung per Lastschrift im Einzelhandel nicht mehr nutzen, wenn er nicht vorher den Händler in seine weiße Liste eingetragen hat. Foto: dpa