Weltmarktführer will Kosten für Offshore-Strom um 40 Prozent senken. Deutschland, China und USA sind die wichtigsten Märkte

Hamburg. Der Ausbau der Offshore-Windkraft vor Großbritannien läuft auf vollen Touren. Das Land ist bei der Errichtung von Meereswindparks weiter als alle anderen in Europa. Anfang Juli weihten die Unternehmen E.on, Dong und Masdar den weltgrößten Offshore-Windpark London Array mit 175 Siemens-Turbinen und 630 Megawatt installierter Leistung ein. Rund 3300 Megawatt Nennleistung aus Offshore-Turbinen sind in britischen Gewässern mittlerweile ans Netz angeschlossen. In Deutschland laufen derzeit gerade mal 320 Megawatt Nennleistung aus einer Handvoll Windparks in der Nordsee und der Ostsee.

Vor der Bundestagswahl wird über Sinn und Unsinn von Meereswindparks in Deutschland debattiert. Die beteiligten Unternehmen und Investoren wollen Planungssicherheit. Von den ersten Entwürfen bis zum fertig gebauten Windpark vergehen fünf bis sechs Jahre. Für solche Zeiträume gibt es derzeit keine klar definierten Förderbedingungen im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Dafür wächst die Kritik an den hohen Kosten und technologischen Hürden für den Aufbau von Windkraftwerken in der deutschen Nordsee. In Großbritannien nutzen die Energieunternehmen ideale Bedingungen: windreiche Regionen in nur 20 Meter tiefem Wasser wenige Kilometer vor den Küsten. In Deutschland stehen die Windparks aus verschiedenen Gründen bis zu 100 Kilometer vor den Küsten in teils mehr als 50 Meter tiefem Wasser.

Siemens ist der führende Hersteller von Offshore-Windturbinen. Gut 10.000 Menschen arbeiten für die Siemens-Windkraft-Sparte, davon rund 600 in der Zentrale in Hamburg. Der Konzern baut das Geschäft aus – auch in Deutschland: „Der Markt für die Offshore-Windkraft weltweit wächst jährlich um 20 Prozent. Deutschland spielt dabei neben Großbritannien, China und den USA eine herausragende Rolle“, sagte der Däne Michael Hannibal, Regionalchef der Siemens-Offshore-Sparte, dem Abendblatt.

Am deutschen Offshore-Markt spielt Siemens eine Schlüsselrolle. Zwar hat der Konzern hierzulande bislang deutlich weniger Windturbinen installiert als etwa in Großbritannien. Aber die Anschlüsse für die weit vorgelagerten deutschen Nordsee-Windparks laufen über Umspannwerke. Insgesamt vier davon liefert Siemens an den Netzbetreiber Tennet. Drei davon – BorWin2, HelWin1 und SylWin1 – werden 2013 und 2014 mit jeweils einem Jahr Verzögerung installiert, weil sich die Projekte als ungemein komplex erwiesen haben. Mit rund 140 Mitarbeitern steuert Siemens das Geschäft der Offshore-Netzanbindung ebenfalls von Hamburg aus. Siemens-Chef Peter Löscher hatte erst kürzlich noch einmal Probleme mit den Umspannwerken eingeräumt: „Statt vier Projekten, die für uns absolutes Neuland waren, hätten wir erst mal eines umsetzen sollen“, sagte er dem „Handelsblatt“. „Wir haben alle unsere Lernkurve gemacht: der Regulator, der Kunde, die Hersteller. Das waren echte Pionierprojekte. Doch nur wer keine Innovationen wagt, macht keine Fehler.“

Der Chef der Siemens-Sparte Stromübertragung, Tim Dawidowsky, sieht in den Verzögerungen keinen Grund dafür, die Offshore-Windkraft in Deutschland nicht weiter auszubauen: „Bei allen Beteiligten ist jetzt ein Bewusstsein eingetreten, da Geschwindigkeit aufzunehmen“, sagte er. „Diese Projekte sind für Deutschland eine Riesenchance, für alle Beteiligten. Natürlich gilt das auch auch für die Werften und damit für eine über die Jahrzehnte gebeutelte Industrie.“

Das bisherige Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 vor den deutschen Küsten 10.000 Megawatt Nennleistung zu installieren, gilt wegen hoher Kosten und technischer Verzögerungen in der Branche längst als überholt. Rund die Hälfte dieser Größe erscheint noch realisierbar, obwohl die Regierung ihr altes Ziel bislang offiziell nicht aufgegeben hat.

Siemens-Manager Hannibal sieht das Geschäft in längeren Zyklen. In Deutschland hat Siemens bislang nur 21 Offshore-Windturbinen installiert gegenüber 657 in Großbritannien. Im Auftragsbestand für Deutschland stehen bei dem Unternehmen derzeit allerdings 608 Anlagen gegenüber 405 für Großbritannien. Insgesamt hat Siemens aktuell Aufträge für 1300 Offshore-Windturbinen.

„Wir wollen die Kosten für eine Kilowattstunde Strom aus Offshore-Windparks bis 2020 um 40 Prozent auf 10 Eurocent je Kilowattstunden senken und bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts weiter auf das Niveau, zu dem Kohlekraftwerke arbeiten, also je nach Standort auf deutlich unter zehn Cent. Dafür benötigen wir allerdings stabile politische Rahmenbedingungen“, sagte Hannibal. „Die Kosten für den Aufbau von Offshore-Windparks sind in Deutschland sicher besonders hoch. Allerdings gilt das auch für das Potenzial zur Senkung der Kosten.“

Siemens arbeitet daran, seine Serienfertigung von Windturbinen im dänischen Brande weiter zu vereinfachen. Zudem versucht der Konzern, alle Komponenten einer Offshore-Windturbine immer leichter und zugleich robuster zu bauen. „Mit 350 Tonnen Gewicht für Maschinenhaus und Rotor ist die Sechs-Megawatt-Anlage von Siemens die leichteste Maschine in ihrer Klasse, gegenüber 250 Tonnen bei einer Anlage mit 3,6 Megawatt Leistung“, sagte Hannibal. Die fortlaufende Reduktion von Gewicht erleichtere gleichermaßen die Montage wie auch die Stabilität der Anlagen auf See. Leichtere Turbinen, höhere Türme, festere Rotorblätter und bessere Logistik beim Aufbau und der Wartung der Maschinen sind aus Sicht des Managers entscheidende Faktoren: „Es geht darum, den Bau von Windturbinen im Tempo, in der Qualität und in den Standards immer weiter zu industrialisieren und die Stromerzeugung damit billiger zu machen.“

Hannibal verglich die Entwicklung der Offshore-Windkraft-Industrie mit der Förderung von Öl und Erdgas auf See: Die Anlagen würden immer größer und immer weiter draußen auf dem Meer installiert. Auch für Windkraftwerke werde es künftig schwimmende Fundamente geben, sagte der Manager. 37 Meter habe der Durchmesser eines Rotors für eine Offshore-Windkraft-Anlage im Jahr 1990 betragen, heute seien es bis zu 154 Meter, in wenigen Jahren voraussichtlich um 240 Meter: „Aus einzelnen Windturbinen vor den Küsten wurden Offshore-Windparks“, sagte Hannibal, „und schon heutzutage haben wir auf dem Meer ganze Kraftwerke installiert. Deren Leistung steht jener von Kohle- oder Gaskraftwerken an Land kaum mehr nach.“