Viele Schäfer können nur mit Staatshilfe überleben. Für den Tier- und Naturschutz sind sie unverzichtbar. Ein Besuch bei Gerd Jahnke in der Heide.

Eimke. Das Schaf will einfach nicht, wie es soll. Aber es muss. Und der Schäfer muss auch. Entschlossen klettert Gerd Jahnke in den kleinen Holzschlag, ausgerüstet mit Zange und zwei Ohrmarken. Jetzt schwant dem Jungtier, Typ Schwarzköpfiges Fleischschaf, endgültig, das etwas im Busch ist. Einmal entwischt es noch, dann bekommt der 51-Jährige es mit geübtem Griff zu fassen. Und drückt ihm erst das eine der kleinen gelben Plastikdinger ins Ohr, und gleich auch noch das zweite ins andere. Die EU will es so, seit zwei Jahren ist die elektronische Kennzeichnung Pflicht. „Es wird alles immer bürokratischer“, brummelt der Hirte und gibt dem Schaf einen liebevollen Klaps. Es ist jetzt Nummer 94996.

Namen gibt es in der Glockenbergschäferei im niedersächsischen Eimke nicht mehr, oder nur noch selten. Insgesamt 1300 Mutterschafe gehören zu dem Betrieb, 800 Schwarzköpfige Fleischschafe und 500 Heidschnucken – dazu kommen knapp 1000 Lämmer. „Das braucht man schon, um über die Runden zu kommen“, sagt Jahnke. Die Arten stehen für die beiden Standbeine seiner Schafzucht: die Gebrauchsherde, wie der Schäfer es nennt, und die Landschaftspflege. Die Fördergelder von EU und Land sichern die Existenz. Mit einem Erlös von 2,20 Euro pro Kilo verkauftem Lammfleisch und einem Euro für das Kilo Rohwolle kann heute kein Schäfer in Deutschland leben.

Und auch so ist es nicht einfach. Von wegen, „es spielet der Hirte auf seiner Schalmei“. Gerd Jahnke lacht. „Draußen zu sein mit den Schafen ist schon das Schönste. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man Kilometer entfernt von zu Hause eine Herde mit 1000 Tieren satt gehütet hat.“ Aber den Schäfer früherer Zeiten gibt es nur noch selten. Die Glockenbergschäferei ist ein Wirtschaftsunternehmen, das fünf Menschen ernähren muss: Gerd Jahnke, seine Frau Renate, Tochter Verena, inzwischen selbst Schäfermeisterin, eine angestellte Schäferin und einen Auszubildenden. Das ist Arbeit rund um die Uhr, sieben Tage die Woche – nicht nur im Dezember und März, wenn auf dem Heidehof in zwei Wochen 750 Lämmer geboren werden.

Auch in dieser Frühsommernacht, erzählt Gerd Jahnke, habe er bis früh um 4 Uhr auf dem Trecker gesessen und Gras gemäht. Drei Stunden später war er wieder auf den Beinen, und im Stall. Jede Menge Ziegen müssen versorgt werden, ein paar Hühner und die Hunde. Jahnke züchtet Deutsche Schäferhunde, hauptsächlich als Hütehunde für den Eigenbedarf. Im Augenblick hat er 15. Schafe gibt es nur wenige auf dem Hof. Die sind fast immer draußen. Auf der Heide, die anderen weiden im Hamburger Umland, am Elbdeich bei Winsen/Luhe, in Seeve-Niederung und in den Vier- und Marschlanden. 1200 Tiere, allein mit Tochter Verena, die schon länger im Betrieb mitarbeitet, und ihren Hütehunden. Alle paar Tage fährt Schäfer Jahnke raus, um ihr zu helfen. Wenn Zäune umgesetzt werden müssen, Klauenpflege ansteht oder die Herde wegen des Elbe-Hochwassers aus der Überflutungszone gebracht werden muss. Dass die 22-Jährige – wie ihr Vater vor 30 Jahren – unbedingt Schäferin werden wollte, ist ein Glücksfall.

Denn die Zukunft für einen der ältesten Berufe der Welt sieht alles andere als gut aus. Immer mehr hauptberufliche Schafhalter geben auf. Bundesweit sind es noch 5000, ein Fünftel weniger als noch vor vier Jahren. Auch die Zahl der Schafe ist rückläufig. Aktuell gibt es noch 1,6 Millionen Mutterschafe zwischen Niebüll und Rosenheim – Tendenz sinkend. Gerade erst haben in Berlin Schäfer für bessere Arbeitsbedingungen demonstriert – mit Plastikschafen. Unter anderem fordern sie, dass die Pacht für Weideland subventioniert wird. Denn in Zeiten der Energiewende gehen Grünflächen immer häufiger an die meist sehr solventen Betreiber von Biogasanlagen. „Es ist paradox“, sagt Stefan Voell, Bundesgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände. „Schäfer machen genau das, was Verbraucher wollen: Sie produzieren naturnah. Aber die Politik lässt sie im Stich.“

Auch Jahnke sagt: „Man muss sich Sorgen machen. Jede Tierart verschwindet, wenn der Lebensraum nicht mehr da ist.“ Immer schwieriger sei es in den vergangenen Jahren geworden, Weideflächen zu finden. Viele Bauern pflanzten lieber Mais, den sie teuer verkaufen können. Inzwischen reicht der Radius der Glockenbergschäferei bis in den Kreis Lüneburg. Die Arbeit für den Naturschutz rückt immer stärker in den Mittelpunkt. Jahnkes Heidschnucken beweiden inzwischen etwa 250 Hektar Heide im Auftrag des Staats und erhalten so das ursprüngliche Landschaftsbild. Fördergelder bis zu 200 Euro pro Hektar kann der Schafhalter dafür jährlich beantragen.

Seit einigen Jahren hat er zudem in unmittelbarer Nähe einen Pflegeauftrag für 60 Hektar Heideland, das die Rüstungsfirma Rheinmetall für Schießübungen nutzt. „Ich hoffe, dass das so bleibt“, sagt er. Die Naturschutzprämien machen inzwischen die Hälfte des Betriebseinkommens aus.

Für andere ist es die Haupteinnahmequelle. Andrea von Bushe betreibt seit neun Jahren im Auftrag der Stadt Hamburg die Schäferei in der Fischbeker Heide. 200 Heidschnucken gehören zu der Herde der Rechtsanwältin aus Bispingen. Für den Betrieb auf dem 130 Hektar großen Gelände hat sie eine ausgebildete Schäferin engagiert. „Es ist eine schöne Sache“, sagt von Bushe, aber auch sie klagt über die zunehmende Bürokratisierung. „Und der Erlös für Lammfleisch lohnt sich eigentlich nur, wenn man ein eigenes Schlachthaus hat.“ Den Vertrag, der zum Jahresende ausläuft, hat sie nicht verlängert. Das Ausschreibungsverfahren läuft, fünf Bewerber haben sich gemeldet, heißt es in der Umweltbehörde. Bis Juli müssen sie ihre Angebote einreichen. „Im August soll der neue Schäfer feststehen“, so Sprecher Volker Dumann.

Dabei werden die Schwierigkeiten für die Schafhalter nicht weniger. Zunehmend macht ihnen auch der Wolf, als natürlicher Feind der Schafe zu schaffen. Bei Schäfer Jahnke war er im Januar zu ersten Mal. „Die Tiere standen nachts einige Kilometer entfernt allein in einem mit Elektrozaun abgegrenzten Pferch“, erzählt er. Als er am nächsten Morgen kam, fand er eine völlig verängstigte Herde – und vier tote Lämmer. Ein weiteres starb kurz darauf. Ein Schock sei das gewesen, sagt der große kräftige Mann. Nicht nur wegen des konkreten Schadens, in diesem Fall etwa 500 Euro. „Viel schlimmer ist die Angst, dass es wieder passiert.“ Einige Nächte haben er und seine Tochter im Auto Wache gehalten, inzwischen hat Jahnke sich spezielle Herdenschutzhunde angeschafft, die nachts bei den Schafen bleiben.

Das ist kein Einzelfall, die Schäfer fordern inzwischen einen Wolfsfonds für zusätzliche Schutzmaßnahmen. Im Moment gibt es eine Entschädigung von 5000 Euro pro Betrieb – einmal in drei Jahren. „Die Wölfe könnten auch ins Jagdrecht aufgenommen werden“, meint der Glockenbergschäfer. Es sei ungerecht, dass die Gesellschaft Wölfe haben wolle und die Schäfer den Schaden hätten. Jahnke, der auch im Vorstand des niedersächsischen Schafzuchtverbands ist, hofft auf die Gespräche mit der Politik. Irgendwie geht es ja auch darum, dass das Berufsbild des Schäfers auszusterben droht, sagt er.

Bei den elektronischen Ohrmarken gibt es aber wohl kein Zurück. Die EU hatte sie zur Pflicht gemacht, um Tierseuchen vorzubeugen. Ein Schäfer aus Süddeutschland hatte dagegen geklagt. Gerade hat ein Gutachter des obersten EU-Gerichts die Kennzeichnungspflicht allerdings bestätigt. „Es ist eine Mordsarbeit, und kostet auch noch Geld“, schimpft Jahnke. „Und man fragt sich, warum es nur für Schafe gilt. Schweine werden doch auch verkauft und brauchen keinen Sender im Ohr.“ Das Urteil soll in einigen Monaten fallen. Es wird erwartet, dass das Gericht dem Gutachter folgt.

Manchmal kommt man schon so weit, dass man keine Lust mehr hat, sagt der Heideschäfer. Inzwischen ist es Nachmittag geworden und Jahnke ist zu einer Herde in der Nähe gefahren, die von Schäfergesellin Nancy Denecke gehütet wird. Der Himmel strahlt im schönsten Sommerblau. Hunderte Schafe grasen oder liegen kauend in der Sonne, während die Lämmer fröhlich um sie herumspringen. Über die Heide schwillt ein vielstimmiges „Mäh“. Eine Idylle wie aus dem Bilderbuch. Als Jahnke laut „Komm her, komm“ ruft, richten sich die Köpfe zeitgleich auf und 900 Augenpaare gucken ihn an. Nein, aufgeben, das kann er sich nicht vorstellen. „Schäfer ist kein Beruf, das ist eine Berufung.“