Die Konkurrenz der Bahn nimmt Fahrt auf. Die Anbieter locken mit Niedrigpreisen. Doch noch läuft nicht alles rund bei den neuen Unternehmen.

Hamburg. Nach Heidelberg geht es von Steig 14, daneben weist die Anzeigetafel das Ziel München aus. Es gibt auch Busse nach Frankfurt, Braunschweig und Zürich. Auf dem Hamburger ZOB herrscht neuerdings reger Verkehr. Auch früh morgens. Eine Berufsschulklasse aus Pinneberg sucht den Berlin-Bus, Männer sitzen vor einem Café und warten auf ihre Verbindung. An Haltebucht 8 steht Laura Schnepper mit großer Reisetasche in einem Pulk Menschen, als einer der blau-orangenen Omnibusse des Unternehmens FlixBus einfährt. Ziel: Köln. Erster Stopp ist Bremen. "Für mich passt das perfekt", sagt die Lehramtsstudentin. "Wenn wir pünktlich ankommen, schaffe ich genau meinen Anschlusszug nach Osnabrück." Und die Fahrt ist günstig. Neun Euro hat das Ticket für die 125-Kilometer-Strecke gekostet - weniger als die Hälfte des Bahnpreises.

Fünf Monate nach der Liberalisierung der nationalen Fernbusverbindungen nimmt der Linienverkehr über Land rasant Fahrt auf. Neun Unternehmen bieten inzwischen 15 Strecken von und nach Hamburg an - mit zwölf verschiedenen Zielorten. Allein im Mai hat der Betreiber MeinFernbus aus Berlin zwei neue Linien nach München und nach Zürich gestartet, samt zahlreicher Zwischenstopps. Bei der Wirtschaftsbehörde liegen aktuell vier weitere Verbindungen zur Genehmigung.

Unter anderem will die Marke City2City des britischen Anbieters National Express Anfang Juli erstmals auch zwei Routen Richtung Norden anbieten. Auch FlixBus aus München plant eifrig den Ausbau seines Streckennetzes. Im Gespräch sind laut Geschäftsführer Jochen Engert Verbindungen von Hamburg nach Leipzig, Dresden, Nürnberg und Würzburg. Zusätzliche Linien kündigen gegenüber dem Abendblatt auch MeinFernbus und Eurolines noch für dieses Jahr an. Das Duo Aldi/Univers will die Taktfrequenz auf der Strecke Hamburg-Bonn auf vier Abfahren pro Tag erhöhen. Hamburg entwickelt sich damit zum Busdrehkreuz des Nordens.

Inzwischen ist an diesem Morgen pünktlich um 8.30 Uhr der Fernbus nach Köln von Steig 8 gestartet. Die roten Anschnallzeichen leuchten auf. Etwa die Hälfte der 50 blauen Sitze sind belegt. "Guten Morgen", meldet sich der Busfahrer über Mikrofon und verspricht: "Wenn Verspätungen auftreten sollten, werde ich Sie informieren." Während draußen die norddeutsche Tiefebene vorbeizieht, packen die ersten ihre Stullen aus. Laura Schnepper hat es sich mit einem elektronischen Buch bequem gemacht. Andere schlafen oder tippen auf ihren Smartphones herum. "Für mich ist die kostenlose Internetverbindung wichtig", sagt Aya Furumak aus dem japanischen Hiroshima, die auf Europatour unterwegs ist. Die Krefelderinnen Sybille Voß und Heike Höfel haben ein Hamburg-Wochenende hinter sich - und sind zum ersten Mal mit einem Fernbus unterwegs. Hin und zurück für 30 Euro pro Person. "Wir hatten überlegt, mit dem Auto zu fahren, aber jetzt lassen wir uns lieber chauffieren", sagen die Frühbucherinnen.

Mit knapp drei Millionen Fahrgästen bedienen die Fernbusse derzeit, im Vergleich zu 125 Millionen Fahrgästen in Fernzügen ein Nischenprogramm, aber bei einem geschätzten Umsatzvolumen von mehr als 300 Millionen Euro im Jahr eins mit Wachstumspotenzial. Die Berliner Unternehmensberatung IGES hat Ende April 145 Linien in Deutschland gezählt, von denen knapp 70 Prozent dem echten Linienverkehr zuzuordnen sind.

Die anderen sind Flughafenlinien oder steuern touristische Ziele an. Bevor am 1. Januar 2013 das Personenbeförderungsgesetz novelliert und der seit den 1930er-Jahren bestehende Konkurrenzschutz für das bestehende Eisenbahn- und Busnetz abgeschafft wurde, hatte es nur 86 innerdeutsche Linien gegeben. "Bis Ende des Jahres wird sich das Netz noch mal verdoppeln mit höherer Taktung, zusätzlichen Linien auch in kleinere Städte und Expressbussen", schätzt Branchenkenner Martin Rammensee, Gründer des Portals busliniensuche.de.

Der neue Markt hat einen Gründerrausch ausgelöst. Derzeit gibt es 100 Anbieter, darunter viele regionale Busunternehmer. Das dichteste Streckennetz hat weiterhin BerlinLinienbus, an dem die Bahntochter Bex beteiligt ist, mit 670 Bussen und mehr als 200 Stopps in Deutschland. Aber junge Unternehmen wie FlixBus und MeinFernbus sind dem Platzhirsch auf den Fersen. Aldi-Reisen ist gemeinsam mit dem Bonner Busunternehmen Univers im April eingestiegen. Und mit National Express/City2City, Eurolines/Deutsche Touring und ab November dem Duo ADAC/Post drängen weitere potente Unternehmen auf den Markt. Schon jetzt kann man von Hamburg aus etwa nach Frankfurt zwölfmal am Tag auf verschiedenen Linien fahren.

Für die nächsten Jahre erwartet IGES-Verkehrsexperte Christoph Gipp deshalb einen harten Verdrängungswettbewerb vor allem über den Preis. Die Hauptgeschäftsführerin des bdo (Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer), Christiane Leonard, warnt deshalb schon: "Wir müssen aufpassen, dass sich nicht Oligopole bilden. Der Mittelstand darf nicht unter die Räder kommen." Und bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di klingen die Alarmglocken angesichts befürchteter Dumpinglöhne für die Fahrer.

Im Normalfall kostet der Fernbuskilometer pro Person um die zehn Cent. Unter dem wachsenden Konkurrenzdruck liegt er allerdings teilweise deutlich darunter. "Bei Aktionspreisen sind wir im Zwei- bis Drei-Cent-Bereich", sagt FlixBus-Geschäftsführer Jochen Engert. Bis hin zu Lockangeboten von einem Euro pro Fahrt. Erklärtes Ziel: ähnlich wie die amerikanischen Greyhound-Busse alle größeren Städte miteinander zu verbinden. Bei einer Auslastung von 50 Prozent führen die FlixBusse rentabel, heißt es am Münchner Firmensitz. Zahlen, wie viele Passagiere in den auffällig grellen Bussen sitzen, bleiben allerdings Verschlusssache.

Überhaupt steht das Start-up, das sich mit hoher Taktfrequenz und Billigangeboten anschickt, den Markt aufzumischen, unter besonderer Beobachtung. Zumal hinter der Plattform ein schillerndes Investorenteam steht, mit dem Gründer des Internetportals hotel.de, Heinz Raufer, Ex-Bahngeschäftsführer Hermann Graf von der Schulenburg sowie "Gesellschaftern größerer E-Commerce-Plattformen", die laut Engert unbekannt bleiben möchten. "Die Finanzierung", sagt der 31-Jährige, "ist so breit aufgestellt, dass wir stabil und dauerhaft am Markt agieren können." Wichtiger Punkt seien die Kooperationen mit erfahrenen mittelständigen Busunternehmen, wie etwa Elite Traffic aus Hamburg. "Wir sind ein virtueller Großkonzern mit 1000 Bussen." Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet auch das Berliner Unternehmen MeinFernbus, aus sich für 2013 das Ziel gesetzt hat, mit mehr als 100 Bussen täglich 120 Ziele anzufahren.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Februar zeigt, dass das Interesse der Deutschen an den Fernbuslinien groß ist. Immerhin 65 Prozent können sich vorstellen, mit dem Bus statt mit Bahn oder Auto zu reisen. Bislang steigen vor allem jüngere Leute auf die "Maxifahrgemeinschaften" um. Auch weil Preisvergleich und Buchung über das Internet schnell und einfach abzuwickeln sind - Sitzplatzgarantie und Gepäcktransport inklusive. Pia Dölling zum Beispiel hat inzwischen schon drei verschiedene Anbieter ausprobiert - und "gute Erfahrungen" gemacht. Entscheidend ist aber für die 21-Jährige Itzehoerin, die in Wuppertal Wirtschaftsingenieurwesen studiert, der Preis. 19 Euro hat sie für ihr Busticket nach Düsseldorf bezahlt. "Die kurze Bahnfahrt von Itzehoe nach Hamburg hat dagegen 17,50 Euro gekostet."

Geschäftsreisende, die weniger auf die Kosten als auf Fahrzeit, Pünktlichkeit und Service schauen, dagegen trifft man bislang noch kaum auf den Fernbuslinien der Republik. Denn auch wenn Stiftung Warentest bei einem Bustest im April unter sechs Anbietern keine grundsätzlichen Mängel feststellte - es holpert auch noch an vielen Stellen. Verspätungen von bis zu einer Stunde sind keine Einzelfälle - Entschädigungen für betroffenen Fahrgäste gibt es bislang nicht, sollen aber festgelegt werden. Dazu kommt die teilweise sehr spartanische Ausstattung vieler Omnibusbahnhöfe.

Beispiel Bremen. Der Bus aus Hamburg hält an einer vierspurigen Straße, bei strömendem Regen. Es gibt weder Sitzplätze noch Unterstellmöglichkeiten. Auch eine Servicestelle, die über Weiter- und Rückfahrten informiert, ist nicht vorhanden. Am Bussteig 6 hängt zwar ein Fahrplan für die Fernbuslinie des Anbieters Aldi/Univers, allerdings ohne Telefonnummer für Nachfragen. Also bleibt nur warten. An diesem Tag kommt der Bus auf dem Weg von Bonn nach Hamburg mit fast 50 Minuten Verspätung. Außer den beiden Fahrern ist niemand an Bord. "Ein Einzelfall", versichert Unternehmenssprecher Silvio Kimmel. Seit dem Start des Angebots, das mit Festpreisen ab 9,90 Euro für bestimmte Teilstrecken wirbt, entwickele sich die Buchungslage laufend. Allerdings steigt an diesem Nachmittag auch in Hamburg nur ein Fahrgast für die Rückfahrt in den modernen Linienbus. Sieben Stunden bis nach Bonn sieht der Fahrplan vor - mit der Bahn würde es im besten Fall 4,5 Stunden dauern.

Klar ist: Geduld braucht man, wenn man mit dem Fernbus unterwegs ist. Beim Vergleich mit Bahn oder Auto ergibt sich stets das gleiche Bild: Die Fahrten sind billiger, dauern aber länger. "Das macht nichts", hatte Passagier David Harensa am Morgen im FlixBus nach Köln gesagt. Der 33-Jährige hatte den Tipp eines Kollegen für einen Hamburg-Besuch genutzt. "Ich war einfach neugierig." Auch als der Busfahrer kurz vor Bremen 15 Minuten Verspätung ansagt, bleibt er wie die meisten anderen Reisenden gelassen. Für Studentin Laura Schnepper ist die Viertelstunde entscheidend. "Den Anschluss nach Osnabrück habe ich verpasst", sagt sie - und geht zum Bahnhof, um auf den nächsten Zug zu warten.