Der Essener Stromkonzern RWE möchte hohe die Schuldenlast senken. Förderung von Öl und Erdgas passt nicht mehr ins Konzept.

Hamburg/Essen. Unter der Last von 33 Milliarden Euro Schulden leitet der Energiekonzern RWE den Verkauf seines Tochterunternehmens RWE Dea mit Sitz in Hamburg ein. Das gab Konzernchef Peter Terium am Dienstag bei der Präsentation der RWE-Jahreszahlen in Essen bekannt. Der Niederländer, der RWE seit Mitte 2012 führt, richtet den zweitgrößten deutschen Energiekonzern vor dem Hintergrund der Energiewende und des Atomausstiegs neu aus. Dazu gehört auch der Verkauf zahlreicher Beteiligungen und Tochterunternehmen. "RWE Dea ist ein gutes Unternehmen", sagte Terium. "Wir geben damit auch Ertragskraft ab." Die Mitarbeiter des Konzerns müssten im Zuge der Neuausrichtung mit dem Programm "RWE 2015" in allen Bereichen "die Ärmel hochkrempeln".

Am Standort Hamburg ist RWE Dea das wichtigste noch verbliebene Unternehmen der Mineralölwirtschaft. Die RWE-Tochter sucht und fördert in 14 Ländern Erdöl und Erdgas, unter anderem auch auf dem einzigen deutschen Offshore-Ölfeld, der "Mittelplate" im Wattenmeer vor Schleswig-Holstein. Von den insgesamt 1400 Mitarbeitern sind derzeit 600 in der Hansestadt tätig. RWE Dea gilt als gut organisiert und ertragsstark: Bei einem Umsatz von 1,9 Milliarden Euro realisierte das Unternehmen im vergangenen Jahr einen operativen Gewinn von 685 Millionen Euro, das waren 23 Prozent mehr Gewinn als im Jahr 2011.

Der RWE-Konzern steht unter wachsendem Druck: Der politisch geplante Ausstieg aus der Atomkraft in Deutschland bis zum Jahr 2022, der Verfall der Strom- und Erdgaspreise, aber auch hohe Investitionen in erneuerbare Energien und die zuletzt weiter gestiegene Verschuldung zwingen den Vorstand zum Umbau. In der von Großkraftwerken und zentralen Strukturen geprägten Strom- und Gasversorgung früherer Jahre gehörte RWE zu den Schwergewichten der deutschen Wirtschaft. Doch an vielen Stellen zugleich bricht dem Energieunternehmen nun das Fundament weg. Zwar stieg der operative Gewinn 2012 auf 6,4 Milliarden Euro um rund zehn Prozent an, bei einem Umsatz von etwa 53 Milliarden Euro. Aber die Investitionen des Konzerns sanken um gut ein Fünftel auf 5,5 Milliarden Euro. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem der Offshore-Windkraft in der deutschen Nordsee, werde RWE langsamer vorankommen als bislang vorgesehen, sagte Terium. Neue Erdgas- oder Kohlekraftwerke seien derzeit nicht geplant.

Vor diesem Hintergrund erscheint der erhoffte Verkaufswert dem Konzernvorstand offenbar lukrativer als der strategische Wert des Tochterunternehmens. Spekulationen über den Verkaufspreis von RWE Dea - in der Energiebranche werden Beträge von drei bis vier Milliarden Euro genannt - kommentiert RWE nicht. Auch zum Zeitplan des Verkaufs machte Terium keine Angaben. Das Unternehmen räumt aber ein, dass einer konzerneigenen Erdgasförderung für den Erdgashandel von RWE kein so hoher Stellenwert mehr eingeräumt wird wie noch vor einigen Jahren. RWE hatte Dea 1988 von Texaco übernommen.

"Angesichts liquider Erdgasmärkte in Europa ist für RWE keine eigene Förderung mehr erforderlich", sagte eine Konzernsprecherin am Dienstag dem Abendblatt. "Wir haben uns gefragt, ob wir noch der beste Eigentümer für RWE Dea sind. Der Wert von Dea hängt in einem hohen Maße von der Umsetzung der geplanten Investitionen in die Erschließung und Förderung von Öl und Erdgas ab. Gerade das aber kann RWE - anders als in der Vergangenheit - für die mittelfristige Zukunft nicht mehr wie gehabt garantieren."

Was das für den Standort Hamburg bedeutet, bleibt vorerst offen. Die Mitarbeiter waren am Dienstag überrascht und verunsichert von Teriums Ankündigung, RWE Dea zu verkaufen, erfuhr das Abendblatt aus dem Unternehmen. Man sehe aber auch "Chancen", dass die Strukturen und die Belegschaft nach einem Verkauf erhalten bleiben oder sogar gestärkt würden, sagte ein Mitarbeiter. Wer als Käufer infrage kommt - ausländische Ölgesellschaften, Finanzinvestoren oder Großunternehmen aus der Industrie - ist unklar. RWE Dea ist im internationalen Maßstab ein kleines Förderunternehmen, verglichen etwa mit Branchenriesen wie BP, Shell, Exxon oder der russischen Gazprom. Allerdings besitzt das Unternehmen viel spezialisierte Erfahrung, sowohl in für die Branche zukunftsträchtigen Regionen wie etwa Nordafrika wie auch bei der Erschließung kleiner, komplizierter Öl- und Erdgasvorkommen.

Gleichwohl droht der Hansestadt in der Mineralölwirtschaft ein weiterer Aderlass, wenn RWE Dea verkauft wird. Die Zahl der Mitarbeiter in der Branche ist in den vergangenen Jahren durch Rationalisierung, Fusionen und Abwanderungen stetig gesunken. In der City Nord, einst eines der wichtigsten Geschäftszentren der Öl- und Tankstellenbranche in Deutschland, sitzt RWE Dea heute als letztes bedeutendes Unternehmen dieses Wirtschaftszweiges. Shell, BP, Exxon und Conoco gaben ihre großen Geschäftszentralen auf und wanderten mit schrumpfenden Belegschaften in andere Bürogebäude in der Stadt ab. Die Tankstellenfusionen von Aral und BP wie auch von Shell und Dea zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts kosteten die Stadt ebenso Arbeitsplätze wie der Umzug des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) nach Berlin. "Für Hamburg als eine Art frühere deutsche Ölhauptstadt ist das ein weiterer Tiefschlag", sagte Rainer Wiek, Chefredakteur des Hamburger Energie Informationsdienstes (EID), dem Abendblatt. "Allerdings ist die Ursache nicht RWE Dea. Das ist ein gesundes Unternehmen. Die Gründe für den Verkauf liegen ganz klar bei RWE."