Die deutsche Wirtschaft wächst demnach im kommenden Jahr nur noch um 0,6 Prozent. Die Euro-Zone bleibt weiter in der Rezession.

Paris. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sorgt sich zunehmend um die Stabilität der Euro-Zone und fürchtet sogar um deren Fortbestand. "Die Währungsunion ist einem starken Zerfallsdruck ausgesetzt und könnte in Gefahr sein", warnte der Chefvolkswirt der Organisation, Pier Carlo Padoan. "Sie bleibt in einem fragilen Zustand." Padoan und seine Kollegen erwarten, dass die Sorge um die Zukunft der Währungsunion die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden Jahren stark belasten wird.

Die Wirtschaft der Euro-Zone, die in diesem Jahr um 0,4 Prozent schrumpft, dürfte bis ins kommende Jahr in der Rezession verharren und erst 2014 wieder wachsen. Die gesamte Weltwirtschaft werde sich in den nächsten zwei Jahren nur sehr schleppend erholen. Verantwortlich dafür sei Europas Schuldenkrise und der Streit über die Haushaltspolitik in den USA.

Die deutsche Wirtschaft bleibt auch in den kommenden Jahr widerstandsfähiger als andere Volkswirtschaften und wird nach Ansicht der OECD-Experten trotz der anhaltenden Krise im Euro-Raum knapp an einer Rezession vorbeischrammen: Sie rechnen im kommenden Jahr mit einem Plus von nur noch 0,6 Prozent. Im laufenden vierten Quartal soll das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent schrumpfen und damit zum ersten Mal seit einem Jahr. Anfang 2013 soll die Wirtschaftsleistung zunächst stagnieren und erst im Jahresverlauf wieder anfangen zu wachsen. Erst im Jahr 2014 werde das Wachstum wieder spürbar anziehen. Dann soll die Wirtschaft um kräftige 1,9 Prozent wachsen.

Die Ökonomen haben ihre Prognose damit stark nach unten korrigiert; im Frühjahr waren sie noch davon ausgegangen, dass die Wirtschaft hierzulande bereits 2013 um fast zwei Prozent wachsen würde. Die Experten der OECD sind damit skeptischer als etwa die Bundesregierung, die im kommenden Jahr ein beinahe doppelt so starkes Wachstum von einem Prozent erwartet. Für das laufende Jahr erwarten OECD, Bundesregierung und Wirtschaftsweise gleichermaßen, dass die Wirtschaft um 0,8 Prozent wächst.

Vor allem der schwächere Welthandel setze der deutschen Konjunktur zu. Die Nachfrage aus dem Inland sei zwar weiter robust, die privaten Verbraucher blieben wegen der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und den steigenden Löhnen weiter kauffreudig. Der Binnenkonsum allein dürfe aber die Verluste beim Export nicht wettmachen, vor allem weil die Nachfrage aus den anderen Ländern der Euro-Zone weiter zurückgeht. Die OECD, ein Forum vor allem wohlhabender Industriestaaten, rechnet damit, dass der Welthandel erst im zweiten Halbjahr 2013 wieder Fahrt aufnimmt. Die schwächere Konjunkturentwicklung wird sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen, wenn auch nur geringfügig: Die Arbeitslosenquote soll nach der von der OECD verwandten internationalen Messmethode von 5,3 Prozent in diesem Jahr auf 5,5 Prozent im kommenden und 5,6 Prozent im Jahr 2014 steigen.

Die Bundesregierung dürfte in diesem Jahr praktisch ohne neue Schulden auskommen. Die Experten der OECD erwarten, dass sprudelnde Steuereinnahmen und geringere Ausgaben der Sozialversicherung für ein Haushaltsdefizit von nur noch 0,2 Prozent sorgen werden. Mit dem etwas ungünstigeren wirtschaftlichen Klima soll das Defizit im kommenden Jahr wieder auf 0,4 Prozent steigen und 2014 weiter auf 0,7 Prozent. Die Fiskalexperten der OECD gehen aber davon aus, dass Berlin trotz sinkender Einnahmen weiter konsolidieren und Ausgaben kürzen wird, um die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten zu können, die ab 2016 greift.

Bedingung dafür ist allerdings, dass sich die Schuldenkrise in der Euro-Zone nicht verschärft und dass Demokraten und Republikaner in den USA sich auf einen Haushaltskompromiss einigen. Gelingt das den beiden Parteien nicht, laufen Anfang 2013 zahlreiche Steuererleichterungen aus, während gleichzeitig automatische Ausgabenkürzungen greifen. Der Gesamteffekt würde ein Volumen von 600 Milliarden Dollar (464 Milliarden Euro) haben und könnte die US-Wirtschaft über die sogenannte Haushaltsklippe stoßen - und geradewegs in eine Rezession.

Der OECD-Generalsekretär Angel Gurría verknüpfte deshalb die Vorstellung der aktuellen Konjunkturprognose mit einem dringlichen Appell an die Politik beiderseits des Atlantiks: "Die Regierungen müssen entschieden handeln und alle Instrumente nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen, um Vertrauen zu stärken und Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen." Die Politik in Europa und den USA trüge Verantwortung für die gesamte Weltwirtschaft.