Kaum ein Hamburger blickt mehr durch die Regelungen für Pfandflaschen. Umweltschützer sind alarmiert. Die Politik reagiert nur zaghaft.

Hamburg. Karl-Martin Wolf ist seiner Branche gerne eine Nasenlänge voraus. Lange bevor die Pfandpflicht für Einweggetränke eingeführt wurde, hat sich der Hamburger Getränkehändler von dieser Verpackungsform konsequent verabschiedet. Bereits seit gut 25 Jahren vertreibt der Geschäftsmann in seinem Getränke-Paradies Wolf im Schanzenviertel alle Erfrischungsgetränke und Bier nur in Mehrwegflaschen. "Obwohl ich politisch kein Grüner bin, habe ich diese Entscheidung schon damals der Umwelt zuliebe getroffen", erzählt der 64-jährige Geschäftsmann. Klar habe ihn die Entscheidung zunächst Umsatz gekostet, doch diesen Verlust hat er durch den Ausbau seines Lieferservices und die Erweiterung seines Sortiments um 2500 hochwertige Spirituosen mehr als wettgemacht. Am liebsten würde Wolf Mineralwasser nur aus der Region verkaufen, "weil dies ökologisch einfach Sinn macht". Allerdings sei er auch Kaufmann und will seine Kunden nicht enttäuschen, die eben auch S. Pellegrino aus Italien oder Volvic aus Frankreich schätzen. So führe er auch diese Marken - aber als Mehrwegflasche.

Wenn mehr Getränkehändler wie Wolf den Umweltaspekt zu ihrem Geschäftsprinzip erhoben hätten, wären immer neue Regulierungen im Verpackungsmarkt überflüssig. Doch das Gegenteil ist der Fall. Seit der Einführung des Pflichtpfands im Januar 2003 hat sich der Anteil der Mehrwegflaschen in Deutschland nicht wie gewünscht vergrößert, sondern ist stattdessen von damals 66,3 auf nur noch 48 Prozent im Jahr 2010 gesunken: Nicht einmal jede zweite Flasche in Deutschland wird nach Gebrauch wieder verwendet, sondern landet bestenfalls geschreddert im Recycling.

Unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung wurden alle unökologischen Getränkeverpackungen - wie Dosen und PET-Flaschen - mit einem Zwangspfand belegt. Ziel war es unter anderem, dass mindestens 80 Prozent aller Getränke in Deutschland in Mehrweg und ökologisch vorteilhaften Einwegverpackungen (MövE) - wie Getränkekartons - abgefüllt werden sollen. Doch dieser Teil des Vorhabens muss wohl als gescheitert betrachtet werden. Besonders drastisch ist der Rückgang der Mehrwertquote laut Umweltbundesamt bei Mineralwasser auf 43,3 Prozent und bei Erfrischungsgetränken auf 34,6 Prozent. Nur im Bier-Vertrieb erfüllt die Mehrwegquote heute mit 88,2 Prozent die Vorgabe.

Hauptgrund für den hohen Einweganteil im Mineralwassermarkt sind die Discounter. Seit den 1990er-Jahren haben sie Wasser als "Lockvogel-Artikel" entdeckt und ihre Kunden mit günstigen Angeboten in die Läden geholt. Ein Konzept, das Wirkung zeigte: Über Aldi, Lidl und Co. werden in Deutschland heute rund 50 Prozent aller Mineralwasser verkauft. Diese werden ausschließlich in Einwegflaschen aus dem Kunststoff PET vertrieben. Die Verbraucher schätzen nicht nur den Preis, sondern auch das deutlich geringe Gewicht im Vergleich zu Glasflaschen.

Dennoch will sich Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) mit den geringen Mehrwegquoten nicht zufriedengeben. Er startet deshalb einen neuen Anlauf, den Rückgang zu stoppen oder den Mehrweganteil im Getränkemarkt sogar wieder zu erhöhen. Der Handel soll künftig verpflichtet werden, auf Schildern an den Regalen darauf hinzuweisen, ob es sich um Einweg- oder Mehrwegflaschen handelt. Die neue Verordnung soll noch in dieser Legislaturperiode - also bis nächsten Sommer - umgesetzt werden.

"Wir begrüßen den Plan sehr", sagt Bernd Raebel, Geschäftsführer des Arbeitskreises Mehrweg, der sich aus acht Organisationen der Getränkeindustrie, des Handels und aus dem Umweltschutz zusammensetzt und sich offensiv für Mehrweg starkmacht. "Die Kennzeichnung sollte auch klar und deutlich auf den Etiketten der Flaschen stehen. Dann kann der Kunde besser die umweltfreundlicheren Mehrweg-Getränkeflaschen identifizieren."

Tatsächlich herrscht bei den Verbrauchern bei dem Thema große Verwirrung: Jeder zweite Bürger hat heute Schwierigkeiten, Einweg- von Mehrwegflaschen zu unterscheiden, wie eine repräsentative Emnid-Umfrage zeigt. Die Hälfte aller Verbraucher glaubt, dass jede Pfandflasche wieder befüllt wird. Doch dies ist falsch - und hier liegt wohl auch einer der Geburtsfehler der Verpackungsverordnung. Früher wurde nur auf Mehrwegflaschen Pfand erhoben. Damit stand für jeden fest: Wenn ich Pfand bezahle, wird die Flasche auch wieder verwendet. Doch diese eingeübte Praxis hat sich längst geändert.

Seit 2003 wird grundsätzlich auf Bier, Mineralwasser und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke - ob Einweg oder Mehrweg, Glas, PET oder Dosen - Pfand erhoben. Im Klartext: auch für eine PET-Einwegflasche. Da die Verbraucher das Pfand für die Gebinde immer in voller Höhe zurückerhalten, achten immer weniger darauf, ob es sich um Einweg- oder Mehrwegflaschen handelt. "Die Verwirrung ist groß", sagt Philipp Struve, der in Hamburg 13 Edeka-Schlemmermärkte leitet. "Die Flaschen sind manchmal derart schlecht gekennzeichnet, dass sie selbst für uns Verkäufer schwer zu unterscheiden sind." Manche Flaschen gelten im Kasten als Mehrwegflasche, bei Einzelrückgabe als Einwegflasche. Eine Kennzeichnung begrüßt Struve deshalb sehr. Die Bezeichnung "Pfandflasche" sage eben nichts darüber aus, ob es Mehrweg oder Einweg sei - und in welchen Rücknahmeautomaten sie gehören.

Für den Handel kommt erschwerend hinzu, dass die Einweggebinde in den Automaten geschreddert werden. "Keine Dose oder Flasche wird in der Regel bis zum letzten Schluck ausgetrunken", so Struve. Die ständige Reinigung der Automaten, aber auch die Lagerung der geschredderten Flaschen sei eine "große Belastung" für jeden Händler. Allein in Struves Läden würden jährlich Millionen Gebinde zurückgegeben. "Mehrwegflaschen, die intakt bleiben, wären hier einfacher zu handhaben", sagt er.

Unter ökologischen Aspekten gilt die Mehrwegflasche nach den Ergebnissen mehrerer Studien als umweltfreundlichere Variante zur Einwegflaschen - sowohl aus Glas als auch aus PET. So werden Glasflaschen bis zu 50 Mal benutzt, PET-Mehrwertflaschen bis zu 30 Mal. "Mehrweg schont das Klima und sorgt für einen geringeren Verbrauch von Rohstoffen und Energie", sagt Thomas Fischer, Projektmanager Kreislaufwirtschaft von der Deutschen Umwelthilfe. Die Umwelt könnte nach Berechnungen der Umwelthilfe jährlich um 1,25 Millionen Tonnen CO2 entlastet werden, wenn sämtliche rund 21 Milliarden Liter alkoholfreie Getränke, die in Deutschland getrunken werden, ausschließlich in Mehrwegflaschen abgefüllt würden. Die Menge entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von 575 000 Mittelklassewagen, wenn diese 15 000 Kilometer im Jahr fahren.

Mehrweg ist allerdings umso umwelteffizienter, je kürzer die Distanz zwischen Abfüller und Handel ist. "Mehrweg rechnet sich ökologisch und betriebswirtschaftlich nur, wenn die Flaschen maximal in einem Umkreis von 150 bis 200 Kilometern vom Abfüller zum Handel transportiert werden. Längere Transporte sind ökologisch unsinnig", sagt Raebel. Diese Belieferung gelingt insbesondere regionalen Mineralbrunnen und Bierbrauern gut. So erreicht Carlsberg Deutschland mit seinen fünf Kernmarken Holsten, Astra, Lübzer, Duckstein und Carlsberg einen Mehrweganteil von 70 Prozent.

Um Mehrweg noch konsequenter zu fördern, schlägt die Deutsche Umwelthilfe die Einführung einer Abgabe auf unökologische Einweg-Getränkeverpackungen in Höhe von 20 Cent vor. "Die Einnahmen aus dieser Lenkungsabgabe könnten dann gezielt zur Förderung von Mehrweg verwendet werden", sagt Fischer von der Umwelthilfe. Dieser Vorschlag wird auch vom Arbeitskreis Mehrweg unterstützt.

Grundsätzlich hat das Einwegpfand in den vergangenen zehn Jahren aber auch Positives gebracht. So seien Getränkedosen in Deutschland fast gänzlich vom Markt verschwunden, bilanziert Fischer. Gleichzeitig hat sich die Sammel- und Recyclingquote für Plastikflaschen deutlich erhöht. Etwa 80 Prozent der geschredderten Plastikflaschen werden nach Angaben des Maschinenbauverbands VDMA wiederverwertet. Der größte Teil wird zu Polyesterfasern verarbeitet, aus denen Fleecepullover, Verpackungsfolien oder Kugelschreiber hergestellt werden, aus rund einem Zehntel werden wieder Flaschen. Früher landete ein Großteil in der Müllverbrennung und hinterließ giftige Schlacken.

Am Positivsten wirkt sich die Pfandverordnung auf die Sauberkeit in den Städten aus. "97 Prozent aller Einwegverpackungen mit Pfand werden zurückgegeben", sagt Fischer. Selbst wenn Flaschen in Parks oder am Elbstrand weggeworfen werden, finden sich meistens Menschen, die gezielt Leergut sammeln, um mit dem Pfand ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Diesen "tollen Nebeneffekt" schätzt auch der Getränkehändler Wolf sehr: "In unserem Stadtteil ist es dadurch geradezu blitzsauber geworden."