Airbus und Co. werden laut Studie immer bedeutender. HWWI fordert mehr Investitionen in Bildung und Forschung

Hamburg. Die Luftfahrtbranche ist eine Zukunftsindustrie, deren Erfolg für Norddeutschland ganz wesentlich sein wird. Davon ist Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), überzeugt. Er verweist dazu auf die dynamische Entwicklung der weltweiten Nachfrage: "Wir rechnen damit, dass in den nächsten 20 Jahren rund 30 000 neue Passagier- und Frachtflugzeuge benötigt werden" - und an einem erheblichen Teil davon arbeiten Beschäftigte in Norddeutschland mit.

In den vergangenen Jahren hat sich die Branche als Jobmotor für die Region erwiesen: Seit dem Jahr 2007 ist die Zahl der Mitarbeiter im Luft- und Raumfahrzeugbau in Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein um elf Prozent auf 35 000 gestiegen. Wichtigster Standort ist Hamburg mit allein gut 21 000 Beschäftigten. "Damit gehört etwa jeder vierte Industriearbeitsplatz in Hamburg zur Luft- und Raumfahrtbranche", sagt Silvia Stiller, Forschungsdirektorin des HWWI und Mitautorin einer aktuellen Studie zu den Perspektiven dieses Wirtschaftszweigs im Norden, die im Auftrag von Airbus erstellt wurde.

Nach Einschätzung der Experten bestehen gute Chancen, dass er sich auch in den kommenden Jahren als Wachstumsmotor erweist. "Je größer ein Cluster ist, um so größer sind seine Entwicklungspotenziale", sagt Stiller dazu. Es gebe in dieser Hinsicht "sich selbst verstärkende Effekte".

Dabei ist bedeutsam, dass sich die Luftfahrtbranche gegen einen gesamtwirtschaftlichen Trend stemmt: Die Zahl der Arbeitsplätze in der norddeutschen Industrie insgesamt nimmt schon seit mehr als zehn Jahren permanent ab. Außerdem bieten Airbus und die zahlreichen Zulieferbetriebe qualitativ hochwertige Jobs: Jeder vierte Beschäftigte im Luft- und Raumfahrzeugbau hat einen Hochschulabschluss, in der gesamten Wirtschaft Norddeutschlands ist es nur jeder zehnte.

Damit forciere die Branche den "wissensbasierten Strukturwandel", der die deutsche Industrie auch auf internationalen Märkten wettbewerbsfähig halte, erklärt Straubhaar. Hinzu komme, dass im Luft- und Raumfahrt-sektor an innovativen Technologien und Verfahren gearbeitet werde, die auch für andere Anwendungsgebiete interessant sein könnten. Beispiele seien die Lärmdämpfung, Gewicht sparende Materialien oder der Einsatz von Brennstoffzellen.

Ohnehin ist in dieser Branche der Anteil der internen Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Umsatz mit 9,8 Prozent sehr viel höher als im verarbeitenden Gewerbe insgesamt (4,3 Prozent). "Die branchenübergreifenden Potenziale der Luftfahrtindustrie für Wachstum und Beschäftigung werden bisher unterschätzt", sagt Straubhaar. Um ihre Bedeutung ermessen zu können, müssen zudem die indirekten Beschäftigungseffekte berücksichtigt werden: Einschließlich der Jobs etwa bei unternehmensnahen Dienstleistern, in der Metallerzeugung, an den Flughäfen und in Forschungsinstituten sichere die Luftfahrtindustrie rund 100 000 Arbeitsplätze in den vier Bundesländern, hat das HWWI ermittelt.

Aus diesen Gründen sei eine weitere Stärkung der Branche strategisch wichtig. "Daher braucht es keine lokalen, sondern gemeinsame norddeutsche und auch gesamtdeutsche Handlungskonzepte", so Straubhaar.

Die norddeutschen Länder seien aufgerufen, weiter in Forschung und Entwicklung zu investieren, ihre Attraktivität auch für internationale Fachkräfte zu erhöhen sowie für die notwendige Infrastruktur zu sorgen. Unter anderem gelte es, dafür zu sorgen, dass nicht der Fachkräftemangel das Wachstum der Luftfahrtindustrie im Norden abwürgt. Angesichts der Knappheit an Ingenieuren und qualifizierten Facharbeitern sei das eine "sportliche Herausforderung", sagt der HWWI-Direktor - und im deutschlandweiten Vergleich habe der Norden noch Aufholbedarf. So ist der Anteil der Studienanfänger in technisch-ingenieurwissenschaftlichen Fächern in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen deutlich höher als in Hamburg.

"Ob wir die Zukunftschancen nutzen können, steht und fällt mit der Frage, ob es künftig genug pfiffige Leute geben wird, die den Strukturwandel hin zu wissensbasierten Wirtschaftszweigen vorantreiben können", so Straubhaar. Deutschland müsse bei technischen Entwicklungen immer etwas schneller sein als China und andere aufstrebende Länder. "Vor diesem Hintergrund wären höhere Bildungsausgaben klüger als eine Herdprämie."