Elektronikfirma SAM entwickelt für die größten Containerfrachter der Welt die modernsten Navigationstechniken

Hamburg. Der Frachter zieht nordwestwärts durch die Deutsche Bucht. Mit Kurs 333,3 Grad und einer Geschwindigkeit von 15,9 Knoten läuft das Schiff an Helgoland vorbei. Ändern sich Wind und Strömungen oder reagieren Maschinen und Aggregate an Bord auf neue Daten, meldet dies die Elektronik mit einem Piepsen. Die Signale lassen sich dann auf der Brücke für die Fahrt berücksichtigen. Wind und Wellengang jedoch sind vor den Monitoren und Anzeigen nicht zu spüren. Kein Wunder: Die Brücke steht im Othmarschender Schulungszentrum, im sechsten Stock des Gebäudes der Hamburger Elektronikfirma SAM. Sie konstruiert die modernsten Anlagen der Welt.

"Mehr als zehn Millionen Euro haben wir in den vergangenen drei Jahren für das System investiert, während die Konkurrenz in der Krise gespart hat", sagt SAM-Chef Ulrich Weinreuter. Das hat sich gelohnt. "Obwohl unser Angebot nicht das günstigste war", freut sich der Diplom-Kaufmann aus Schwaben, "haben wir den Auftrag für die Ausstattung der weltweit größten Containerfrachter der dänischen Reederei Maersk erhalten." Der Clou der neuen Nacos-Platinum-Geräte: Alle Daten für die Navigation und die unzähligen Maschinen und Hilfsmaschinen an Bord werden über ein Netz auf einem Bildschirm bereitgestellt.

Dazu haben die Entwickler viel Wert darauf gelegt, dass Schiffsoffiziere die Bedienung intuitiv erfassen. "Unsere Lehrgänge sind in drei Tagen abgeschlossen", sagt Frank Müller, der Leiter des Trainingszentrums. Derzeit werden immer mehr Schiffsoffiziere an dem Equipment ausgebildet. So ist die Zahl der Lehrgänge seit 2008 von 250 auf 1000 im Jahr gestiegen.

Die Nacos-Platinum-Brücken stehen bei SAM für eine wirtschaftliche Wende. Noch in der Krise hatte das im Dezember 2005 vom weltweit aufgestellten US-Konzern L-3 Communications (siehe Beistück) übernommene Unternehmen schwer zu kämpfen. Allein 2010 war der Umsatz der von SAM geführten Schiffselektronikgruppe mit 16 Firmen und 1850 Beschäftigten um rund 20 Prozent auf 320 Millionen Euro zurückgegangen. In diesem Jahr jedoch will Weinreuter den Auftragseingang um 40 Prozent auf 400 Millionen Euro steigern. Ein realistisches Ziel, wie er meint. Denn Bestellungen für 300 Millionen Euro sind bereits gebucht.

Auch bei der Belegschaft in Hamburg tut sich etwas. So sucht SAM 22 Elektronikingenieure sowie Servicetechniker, die die derzeit 600 Mitarbeiter ergänzen sollen. Der Gesamtumsatz soll in diesem Jahr von 380 auf 400 Millionen Euro zulegen. "Auch in den nächsten Jahren wollen wir um je drei bis vier Prozent wachsen", sagt Carsten Sippel, der SAM-Finanzchef.

Allerdings setzen Weinreuter und Sippel dabei nicht mehr auf Elektronik für Standardfrachter für Container oder Massengut. Denn nachdem in den vergangenen Jahren kaum mehr bestellt wurde, wird die Zahl der abgelieferten Frachter in den kommenden Jahren deutlich unter 2000 sinken, die zuletzt durchschnittlich fertig wurden. "Zwar bieten wir für etwa jeden vierten Frachter unsere Navigations- und Automationstechnik an. Doch unser Hauptaugenmerk liegt jetzt bei Spezialschiffen, Offshore-Plattformen sowie Umspannanlagen auf See", sagt Weinreuter. Sie machen 60 Prozent der Auftragseingänge aus. So bringt etwa die Elektronik für das Forschungsschiff "Sonne", das die Neptun-Werft in Rostock noch bis zum Jahr 2015 baut, so viel Umsatz wie 25 Frachter.

Dazu kommt die Ausstattung von Offshore-Errichterschiffen und Windkraftanlagen für die See. "Wir liefern die Technik für Überwachungs- und Löschsysteme sowie Sonaranlagen, die U-Boote vor Standbeinen der Plattformen warnen", sagte der SAM-Chef. "Durchgesetzt haben wir uns, weil wir nicht billigere, sondern bessere Anlagen als die Konkurrenz aus Asien liefern."

Der Hintergrund: Ihren Technologievorsprung haben die Hamburger auch während der Krise behauptet. Keiner der hoch spezialisierten Ingenieure und Techniker wurde entlassen. Vielmehr holte SAM nach außen vergebene Aufträge wieder zurück und beantragte Kurzarbeit. Zudem sanken die Kosten, weil Mitarbeiter ihre auf den Arbeitszeitkonten angesammelten Überstunden als Freizeit nahmen. Sowohl bei der Navigation als auch bei der Automation an Bord sowie in der Antriebstechnik besetzen die Hamburger Top-Positionen weltweit. Bei Licht, Sound und Bühnentechnik für Kreuzfahrer oder Megayachten sehen sie sich gar als Nummer eins.

Vor allem die neu entwickelten Schiffsbrücken sollen nun das Umsatzwachstum sichern. Ihre führende Technologie passt zudem zu der auf Innovationen ausgerichteten Strategie von L-3. Die Brücken setzen 65 Mitarbeiter gleich neben der Firmenzentrale an der Behringstraße, in einer angemieteten Produktionshalle, zusammen. Hier zeigt Fertigungsleiter Karl-Heinz Becker auf Geräte für die Nocks an den Brückenausläufern, mit denen die Kapitäne das An- und Ablegen steuern. Sie werden in der Endmontage so weit vorbereitet, dass sie an Bord nur noch auf Deck verschraubt und angeschlossen werden müssen. "Wir schaffen je nach Größe etwa zehn Brücken im Jahr", sagt Becker. Außer in Hamburg gibt es Produktionen in Rostock mit 90 und in China mit sogar 200 Beschäftigten.

Eine besondere Behandlung erhalten die Chips im Inneren der Geräte, die vor allem zu Beginn ihres Einsatzes empfindlich reagieren. Sie steckt das Team von Becker für 72 Stunden in eine Klimakammer, in der die Temperaturen alle drei Stunden zwischen 0 und 45 Grad Celsius wechseln. "So altern sie künstlich und werden zuverlässiger", sagt der Ingenieur.

Auch der nächste Schritt in der Brückentechnologie ist bereits absehbar. Eine Schwestergesellschaft aus dem L-3-Konzern hat das Platinum-System jetzt mit einer dynamischen Positionierung ergänzt. Damit kann das Schiff genau auf einer festgelegten Stelle gehalten werden. Dies ist vor allem für Kabelleger oder Rohrleger wichtig, die nicht abdriften sollen.

SAM hat aber auch einen Auftrag für zwei der größten Kreuzfahrer der Welt in der Tasche. Besteller ist die Kreuzfahrtreederei Norwegian Cruise Line, die ihre jeweils 329 Meter langen "Breakaway" und "Getaway" für mehr als 4000 Passagiere damit ausstatten lässt. "Ende des Jahres", verspricht SAM-Chef Weinreuter, "liefern wir an die Meyer Werft in Papenburg."