Immer mehr Firmen suchen über Kundenbeiräte den Rat der Verbraucher - so handhabt es unter anderem auch Hamburg Energie.

Hamburg. Die Aktion ist breit angelegt. Alle rund 90 000 Kunden erhalten in diesen Tagen Post von Hamburg Energie. Bei dem Brief handelt es sich nicht etwa um eine Rechnung oder Aufforderung zur Zählerablesung, sondern um eine freundliche Einladung zum Mitmachen. Der städtische Energieversorger will im November einen Kundenbeirat gründen und sucht dafür in seiner Klientel engagierte Verbraucher, die dabei aktiv mitwirken möchten.

"Wir wollen unsere Kunden stärker in die Entwicklung und Verbesserung unseres Unternehmens einbinden", sagt Merle Lindemann, Pressesprecherin von Hamburg Energie. Die Kunden sollen in dem Beirat künftig ganz offen Kritik und Anregungen geben. Was können wir aus Ihrer Sicht verbessern? Welche Wünsche haben Sie an unser Unternehmen? Welche Produkte sind für Sie besonders interessant? Dies und ähnliche Fragen sollen in dem neuen Gremium, das zweimal im Jahr tagen soll, diskutiert werden.

Gesucht werden insgesamt zehn Kunden. Sie werden unter allen Einsendungen nach Alter, Bildung und Beruf ausgewählt, "und sollen die gesellschaftliche Vielfalt repräsentieren", so Lindemann. Bewerbungsschluss ist der 5. Oktober, knapp 1000 Kunden haben sich bereits beworben. Hinzu kommen weitere zehn Vertreter von Institutionen - unter anderem aus dem Verbraucher- und Umweltschutz, der Wohnungswirtschaft, von Mieterverbänden und der Wissenschaft. Ihre Mitarbeit ist ehrenamtlich. Der Beirat erhält zwar keine Entscheidungskompetenz, aber zumindest eine beratende Funktion. "Wir erhoffen uns konstruktive Kritik und neue Impulse." Die Kosten belaufen sich laut Hamburg Energie auf einen niedrigen fünfstelligen Betrag.

Kundenbeiräte haben sich bundesweit in einigen Konzernen bereits als feste Institution etabliert - unter anderem bei der Deutschen Bahn, der Postbank, Commerzbank oder dem Frankfurter Flughafen. In Hamburg gehören sie zwar nicht in jeder Firma zur Unternehmenskultur. Doch wer einen Kundenbeirat etabliert hat, schätzt ihn und profitiert von den Anregungen, wie eine Abendblatt-Umfrage ergeben hat. Auch das Hamburger Abendblatt hat einen Leserbeirat, in dem 15 Leser - von Studenten bis Senioren - zweimal im Jahr mit dem Chefredakteur über Artikel und Wünsche diskutieren.

Der Verkehrsverbund HVV hat schon vor 15 Jahren seinen Fahrgastbeirat gegründet. Viermal pro Jahr treffen sich dort 34 Kunden und Vertreter von Umwelt- und Verkehrsverbänden wie dem BUND oder ADFC, um den Geschäftsführern des HVV Probleme und Verbesserungswünsche vorzutragen. "Für uns ist es wichtig, mit unseren Kunden im Gespräch zu sein und das Ohr an der Basis zu haben", sagt Rainer Vohl, Referent der HVV-Geschäftsführung. "Wir erhalten dadurch immer wieder gute Ideen und Anregungen." Auch die Resonanz bei den Kunden sei groß. Es gebe lange Wartelisten, um in das Gremium aufgenommen zu werden.

Die Drogeriekette Budnikowsky gründete vor knapp fünf Jahren einen Kundenbeirat. Die Besetzung besteht ebenfalls nicht nur aus Kunden, sondern zudem aus Vertretern von renommierten sozialen Institutionen. "Es sind die Repräsentanten vieler gesellschaftlicher Interessen", erläutert die Leiterin der unternehmerischen Verantwortung bei Budni, Delia Schindler. Das Gremium, das aus Mitgliedern von zehn Organisationen besteht, trifft sich mindestens viermal im Jahr. Dazu gehören unter anderem Vertreter des Diakonischen Werks, von Greenpeace, vom Deutschen Kinderschutzbund und dem Zukunftsrat Hamburg. "Die Mitglieder haben feine Antennen für vieles, was sich unsere Kunden wünschen", sagt Schindler. So werde beispielsweise gezielt mit Vertretern des Seniorenverbands durch die Filialen gegangen. Dabei fiel auf, dass die Preisschilder für ältere Menschen schlecht lesbar seien, weil sie zu klein sind. "Wir haben die Schilder daraufhin vergrößert und Lupen an Einkaufswagen angebracht."

Auf Anregung von Umweltschützern seien zudem sämtliche Produkte mit dem geruchsstarken Weichmacher BPA (Bisphenol A), der ins Gerede kam, aus dem Sortiment genommen. Dazu zählten auch Babyschnuller. "Die Kritik und Anregungen des Beirats nutzen wir, um besser zu werden", sagt Schindler. Allerdings könne nicht jede Kritik vollumfänglich umgesetzt werden, da ökonomische und ökologische Aspekte gegeneinander abgewogen werden müssten. Das Gremium habe ein Mitspracherecht, aber kein Mitbestimmungsrecht.

Für Budni sei der Kundenbeirat gelebte Unternehmenskultur nach dem Firmenmotto, jeden Tag Gutes zu tun. Barbara Bohm, die für Greenpeace info-Service im Budni-Beirat sitzt, bezeichnet die Mitwirkung als sehr sinnvoll. "Es ist eine gute Plattform, umweltpolitische Ziele ins Bewusstsein zu holen und umzusetzen."

Auch Vattenfall hat seit 2008 einen Kundenbeirat mit 21 privaten Kunden, der zweimal im Jahr abwechselnd am Standort Hamburg und Berlin tagt. "Für uns ist es wichtig, ein Feedback von unseren Kunden zu bekommen, um die Servicequalität zu verbessern", sagt der Hamburger Vattenfall-Sprecher Stefan Kleimeier. Die Beteiligung ist ehrenamtlich, für anfallende Reisekosten gibt es eine Aufwandsentschädigung. Unternehmensberater bewerten die Kundenbeiräte als strategisches Instrument zur Firmenentwicklung. Die Unternehmen profitierten dabei sowohl von dem wachsenden Engagement als auch von dem Wissen ihrer Kunden, heißt es in einer Studie vom F.A.Z-Institut. Neben Marktforschung eröffne der Kundenbeirat einen neuen, direkten Blick auf die Bedürfnisse der Konsumenten.

Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Putz & Partner, Hubert Ramcke, sieht aber auch Nachteile: "Treffen von Kundenbeiräten müssen über Jahre veranstaltet werden und kosten nicht wenig. Die Ergebnisse sind zudem nicht repräsentativ und bringen oft nichts Neues zu Tage. Was nützt es, wenn die Vorschläge nicht zu Verbesserungen führen? Um zielgerichtet Verbesserungsvorschläge zu erhalten, sei die Nutzung anderer Instrumente - wie Umfragen in sozialen Netzwerken - häufig effektiver."

Die Hamburger Verbraucherschützer werten das Instrument als "fantastisches Forum für Unternehmen, um frühzeitig Schwachstellen zu erkennen und zu analysieren, bevor sich die Kunden beschweren", sagt der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg, Günter Hörmann. Die Verbraucherschützer wollen dennoch aus Prinzip nicht als Mitglieder in den Gremien aktiv werden: "Wir gehen grundsätzlich nicht in ein solches Gremium, um unsere Unabhängigkeit von der Wirtschaft zu bewahren."