Hartwig Müggenburg bekommt den Gründerpreis in der Kategorie Lebenswerk. Der 73-Jährige hat das Unternehmen Reyher international aufgestellt

Hamburg. Vom Leitstand in der dritten Etage fällt der Blick durch ein Fenster bis hinab in eine Lagerhalle. Unten gleiten Paletten, Kisten und Kästen über kilometerlange Förderbänder in maßgeschneiderte Aufzüge. Zwei Mitarbeiter kontrollieren an ihren PC-Bildschirmen die rasante Fahrt zwischen den Regalen, die fast bis unter die 15 Meter hohe Hallendecke reichen. Mit Schrauben gefüllt sind die Behälter unterwegs zur Endkontrolle, bei der Mitarbeiter die fertigen Lieferungen zusammenstellen. "Nur dies wird noch von Hand erledigt", erklärt Hartwig K. J. Müggenburg, einer der Eigentümer der Reyher Nachfolger GmbH. Willkommen bei Hamburgs größtem Schraubenhändler. Sein leichter Akzent aus dem Ruhrgebiet klingt durch. Müggenburg lächelt viel, macht Scherze. "Ja", sagt der 73-Jährige, "ich würde in meinem Leben alles noch einmal so machen oder zumindest nicht viel anders."

Kein Wunder. Denn in mehr als 40 Jahren hat er das Unternehmen bundes- und europaweit ganz nach oben gebracht, ohne jemals rote Zahlen zu schreiben. Nur drei oder vier Firmen in Deutschland gelten noch als ebenbürtige Konkurrenten. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat Reyher in Hamburg mehr als 50 Millionen Euro in das Logistiksystem investiert. Nur so lassen sich aus 1,5 Millionen gelagerten Artikeln die exakten Kundenwünsche zusammenstellen und innerhalb von 24 Stunden liefern. 550 Beschäftigte sind heute einschließlich der 60 Auszubildenden damit befasst. Der Umsatz lag zuletzt bei 270 Millionen Euro. Für den Aufbau des Unternehmens, sein Lebenswerk, hat Müggenburg gestern den Hamburger Gründerpreis erhalten.

Begonnen hat Müggenburgs Karriere als Student - mit einer Romanze. Der angehende Diplomkaufmann, der eigentlich als Nachfolger seines Großvaters als Chef des Schraubenwerks Dorn in Herne vorgesehen ist, soll sich um die Pratikantin Antje Tede kümmern - sie ist die Tochter des Großkunden Reyher aus Hamburg. Müggenburg kümmert sich. So intensiv, dass sie nicht nur seine Diplomarbeit abtippt, sondern auch seine Ehefrau wird. 1967 zieht er nach Hamburg. Dort wird Müggenburg 1972 Gesellschafter - neben seinem Schwiegervater Gerd Tede und dessen Partner Werner Blinckmann, der ihn in den ersten Jahren in das Handelsgeschäft einführt. Reyhers Umsatz lag damals bei zehn Millionen Euro.

Müggenburg reicht das nicht. Mit ausgesuchten Außendienstlern aus den jeweiligen Regionen erobert er für Reyher alle Bundesländer von Norden nach Süden. Dann schiebt Müggenburg den Export an, zunächst nach Dänemark, Norwegen und Schweden. "Die Händler erkannten rasch, dass sie mit Reyher auf ein größeres Sortiment zurückgreifen können", erinnert er sich.

Neuen Schub gibt Reyher die Wiedervereinigung. Die richtigen Mitarbeiter im Osten auszusuchen, fällt dem Chef nicht schwer: Er hatte schon vor der Wende Kontakte zur DDR-Schraubenindustrie geknüpft. Während der Expansion bleibt es aber dabei, dass stets vom Lager in Altona aus geliefert wird. So gibt es keine langen Wege, die den Transport verzögern könnten.

Heute können 10 000 Kunden unter 110 000 Schraubentypen wählen, die in die Hansestadt in den Lagern liegen. Mit Verkäufen sowohl an die Industrie als auch an den Handel fühlt sich Müggenburg für Krisen gewappnet. "Zu Krisenbeginn bestellt zwar der Handel abrupt weniger. Die industrielle Fertigung läuft aber weiter, weil noch Aufträge vorliegen", erklärt er. "Wird dann die Produktion gedrosselt, muss der Handel oft wieder neu ordern."

Neue Kunden, neue Kontakte: Für Müggenburg war dies immer wieder ein Grund, europa- und weltweit auf Reisen zu gehen. Als begeisterter Jogger suchte er dabei stets nach Hotels, von denen aus er morgens für eine knappe Stunde zum Laufen starten konnte. Zwar muss er hier nun kürzertreten, hat sich dafür aber neben dem Golf aufs Fahrradfahren und Schwimmen verlegt. Für den Sport im Becken bleibt mehr Zeit, seit die Eigentümerfamilien Müggenburg und Blinckmann das operative Geschäft 2009 und 2010 in die Hände der Manager Peter Bielert und Winfried Gretz gelegt haben.

Trotz des Wechsels in den Beirat kommt der 73-Jährige an den meisten Tagen weiter ins Büro. Jetzt um neun Uhr statt wie früher um 7.30 Uhr. Zudem nimmt er als Vorsitzender an den Treffen des Firmenbeirats teil. "So erfahre ich gleich, wenn sich etwas ändern soll." Kommt auch wieder ein Chef aus der Familie infrage? "Eine meiner beiden Töchter ist im Beirat und ich habe fünf Enkel", sagt Müggenburg. "Sie müssen sich aber zunächst ihre Sporen bei uns oder in anderen Firmen verdienen. Keiner soll sich in ein gemachtes Bett legen." Schließlich geht es um sein Lebenswerk.