Abendblatt-Umfrage: Fünf führende Hamburger Ökonomen zur Euro-Krise. Wie dramatisch die Lage ist und welche Lösungen es gibt.

Hamburg. Es war eine Hoffnung, die sich kaum erfüllen konnte: Zahlreiche Investoren hatten darauf gesetzt, die Europäische Zentralbank (EZB) werde sofort wieder damit beginnen, in großem Stil Staatsanleihen von finanziell schwer angeschlagenen Euro-Ländern aufzukaufen, um damit das Zinsniveau der Papiere zu drücken und die Haushalte der Regierungen unter anderem in Madrid und Rom zu entlasten.

Zwar hatte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag unmissverständlich klargemacht, dass die Notenbank im Prinzip zu weiteren derartigen Käufen bereit sei. Er hatte diese Möglichkeit aber zugleich an eine strenge Bedingung geknüpft: Es werden nur Anleihen von Staaten gekauft, die Hilfen aus den Rettungsschirmen beantragt haben. Damit hat Draghi den Ball wieder in das etwas unübersichtliche Feld der Politik zurückgespielt. Die Folge: Die Rendite zehnjähriger spanischer Staatsanleihen kletterte zum Handelsauftakt am Freitag erneut über die kritische Marke von sieben Prozent.

+++ Spanien und Italien prüfen Anträge auf EU-Hilfen +++

Vor diesem Hintergrund fragte das Abendblatt führende Hamburger Ökonomen nach ihrer Einschätzung der Verschuldungskrise und nach möglichen Lösungsansätzen.

Die Fragen:

1. Wie dramatisch ist die Verschuldungskrise in der Euro-Zone?

2. Was muss in den Problemländern getan werden, um die Krise zu überwinden?

3. Wie sollten sich Bundesregierung und Bundesbank verhalten?

Thomas Straubhaar, Direktor des Forschungsinstituts HWWI

1. Südeuropa steckt in riesigen Schwierigkeiten mit Rezession und hoher Arbeitslosigkeit. Da wäre es naiv zu erwarten, dass nicht auch Deutschland negativ davon betroffen wird. Aber: In den für Deutschland wichtigen außereuropäischen Exportmärkten hat sich die Konjunktur stabilisiert. Und: Man muss aufpassen, nicht dem Krisengerede von Finanzmarktgurus zu verfallen, die letztlich mit dem Angstmachen anderer vor allem ihre eigenen Gewinne maximieren wollen.

2. Da hilft kurzfristig nichts wirklich. Die Länder haben viele Jahre mit ökonomisch schwierigen Zeiten vor sich. Sie müssen nun Schritt für Schritt nachholen, was über Jahre oder gar Jahrzehnte verhindert, vernachlässigt oder verschlampt wurde. Das dauert alles. Umso wichtiger ist, dass die Länder auf ihrem Transformationspfad von außen unterstützt werden.

3. Ich bleibe dabei: Die Bundesregierung und vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel machen alles in allem keinen schlechten, sondern einen viel besseren Job, als von vielen Außenstehenden tagtäglich kritisiert wird. Die Bundesregierung muss auf einem ganz schmalen Grat die eigenen und die übrigen Interessen ausbalancieren. Alle wollen möglichst viel der Kosten der Problemlösung auf andere überwälzen und möglichst wenig davon selber tragen. Da ist es schwierig, das Gleichgewicht zu bewahren.

Im Hinblick auf die kontrovers diskutierten Euro-Bonds gilt: Sag niemals nie, sondern prüfe nüchtern, wann welches Instrument bei geringe(re)n Kosten einen größeren Beitrag zur Problemlösung leisten kann. Oft erweist sich dabei ein Mix aus Maßnahmen als sehr effizient. Dazu können auch zeitlich befristete Euro-Anleihen gehören, die nationale Anleihen nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Bei der Bundesbank gilt es letztlich abzuwägen, wie teuer der Einsatz der EZB-Instrumente wird - in Form einer Inflationssteuer - und wie viel Kosten dafür andernorts eingespart werden können - in Form der Kosten eines Zusammenbruchs der Währungsunion.

Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt HSH Nordbank:

1. Es sind auf dem jüngsten EU-Gipfel durchaus gute Maßnahmen beschlossen worden. So will man im Rahmen des Fiskalpakts den Euro-Staaten Budgetregeln vorgeben, deren Einhaltung wirksamer kontrolliert werden kann. Außerdem ist es Irland und Spanien bereits gelungen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Es gibt also Verbesserungen, aber sie werden an den Märkten nicht wahrgenommen - dort schreit man ständig nach mehr Geld. Die Marktstimmung ist im Moment sehr, sehr angespannt.

2. In den hoch verschuldeten Ländern muss der Anpassungsprozess weitergehen. Dort sehen wir Entwicklungen, die früher nicht vorstellbar gewesen wären. So haben sich die Tarifparteien im griechischen Tourismussektor auf eine Lohnkürzung von 15 Prozent geeinigt. Vor allem Italien aber hat noch Nachholbedarf bei den Reformen.

3. Ein gesundes Misstrauen gegenüber Staatsanleihekäufen der EZB ist grundsätzlich angebracht - ordnungspolitisch sind sie nicht zu begrüßen. Dennoch sehe ich solche Käufe für eine begrenzte Frist als notwendig an, um Zeit zu gewinnen. Auf längere Sicht sollte man ernsthaft überlegen, Euro-Bonds nach dem Vorschlag des Sachverständigenrats einzuführen. Er hatte einen Schuldentilgungsfonds ins Gespräch gebracht, in den jedes Euro-Land den Teil der Staatsschulden, der die Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, einbringen kann. Dieser Teil der Schulden wird zwar bei Fälligkeit zunächst durch gemeinsame Anleihen refinanziert. Gleichzeitig verpflichten sich die Staaten aber, ihren Anteil am Fonds über die nächsten 25 Jahre komplett abzutragen.

Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO

1. Die Situation ist sehr dramatisch - und das ist nicht nur die Interpretation der Finanzmärkte. Nach unserer Auffassung werden die Schuldenquoten in der Euro-Zone weiter ansteigen. Damit muss man sich die Frage stellen, wie es mit dem Euro weitergeht.

2. Eine Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder ist derzeit praktisch nicht gegeben. Um sie wiederzuerlangen, wäre eine Abwertung der Währung zwischen 25 und 40 Prozent nötig - was aber wegen der Euro-Mitgliedschaft nicht möglich ist. Also müssen die Löhne und die Preise gesenkt werden. Das ist eine Herkulesaufgabe, die eine sehr mutige Politik erfordert, um so etwas wie eine "Agenda 2030" umzusetzen.

3. Wir teilen die Bedenken der Bundesbank, ob die Krise wirklich mithilfe der Geldpolitik gelöst werden kann. Durch Anleihekäufe verschwindet die bisher aufgelaufene Staatsverschuldung ja nicht. Und wenn die Renditen der Anleihen durch ein Ankaufprogramm künstlich niedrig gehalten werden, könnten die Reformbemühungen der Länder schnell erlahmen. Auch die diskutierten Euro-Bonds lösen das Grundproblem der steigenden Staatsverschuldung nicht.

Holger Schmieding, Chefvolkswirt Berenberg

1. Die Lage ist dramatisch. Ohne einen energischen Eingriff der EZB könnte eine Panik der völlig verängstigten Sparer und Anleger innerhalb kurzer Zeit Spanien und Italien in einen absolut unnötigen Staatsbankrott und Deutschland in eine ebenso unnötige Rezession treiben.

2. Nahezu alle Problemländer tun bereits das Richtige. Sie sparen massiv in ihren Staatshaushalten, kürzen Renten und reformieren ihre Arbeitsmärkte nach dem Erfolgsbeispiel der deutschen "Agenda 2010". Viel mehr können sie kaum tun. Natürlich müssen wir darauf achten, dass sie auf Kurs bleiben.

3. Die EZB muss endlich wirkungsvoll handeln. Bisher hat sie nur versucht, mit Niedrigstzinsen und einer Liquiditätsschwemme im Bankenwesen, den Absturz der Euro-Konjunktur aufzuhalten. Aber es zeigt sich immer mehr, dass diese Politik nicht wirkt. Auch in Deutschland deutet der anhaltende Einbruch des Geschäftsklimas auf eine zunehmende Rezessionsgefahr hin. Die Turbulenzen an den Anleihemärkten lassen den derzeitigen geldpolitischen Impuls nahezu wirkungslos verpuffen. Die EZB muss dafür sorgen, dass ihre Geldpolitik die Wirtschaft auch erreicht. Dafür muss sie direkt den Turbulenzen an den Anleihemärkten begegnen. Mit ihrem Widerstand gegen jede Maßnahme, die der Geldpolitik ihre Schlagkraft zurückgeben könnte, ist die Bundesbank kurz davor, ihr Mandat zu verletzen. Euro-Bonds sind aus unserer Sicht keine geeignete Lösung. Sie sind wirtschaftlich nicht sinnvoll und politisch gefährlich. Die Wirtschaftspolitik hat mit dem neuen Fiskalpakt für Europa und der Spar- und Reformpolitik in den Randländern die Weichen schon richtig gestellt. Jetzt ist die Zentralbank gefordert, die Vertrauens- und Konjunkturkrise zu beenden.

Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa

1. Die Lage ist ernst. Spanien und Italien liefen in den vergangenen Wochen Gefahr, vom Anleihemarkt abgeschnitten zu werden. Die Angst, dass Spanien nicht nur für die Banken den Rettungsschirm in Anspruch nehmen muss, ist latent - und es gibt die Befürchtung, dass die Rettungsschirme nicht ausreichen könnten, sollten Spanien und auch Italien sich darunter flüchten müssen.

2. Das A und O ist, das Vertrauen bei den Investoren wieder aufzubauen. Das ist ein Prozess, der sehr lange dauert. Gefordert ist quasi die Quadratur des Kreises. Denn nur mit weiteren Sparprogrammen wird es nicht gehen, weil sie die Konjunktur noch weiter schwächen. Aber die beschlossenen Strukturreformen müssen konsequent umgesetzt werden.

3. Vielleicht sollte sich die Bundesbank in der Öffentlichkeit etwas stärker zurückhalten, denn das Bild der Uneinigkeit innerhalb der EZB, das durch die immer wieder bekundete Ablehnung von Anleihekäufen entsteht, ist nicht förderlich. Zudem ist das Risiko, dass solche Käufe die Inflation anheizen, derzeit überschaubar.

Was die Bundesregierung angeht: Ich glaube nicht, dass sie einer kompletten Vergemeinschaftung der Schulden in der Euro-Zone zustimmen wird - das dürfte politisch nicht durchsetzbar sein. Eine gute Lösung könnte aber ein europäischer Schuldentilgungsfonds sein, wie ihn der Sachverständigenrat angeregt hat.