Russen, Chinesen und Kanadier planen treibstoffarme Passierjets - und wollen damit den Markt aufmischen. Erste Verträge unterzeichnet.

Hamburg. Nicht nur für Airbus und Boeing war die gerade beendete Luftfahrtmesse im britischen Farnborough ein großer Erfolg. Obwohl dies in der westlichen Öffentlichkeit kaum beachtet wurde, hatte auch der russische Flugzeugbauer Irkut Grund zum Jubeln: Er konnte für seine geplante Maschine vom Typ MC-21 immerhin Kaufverträge und Absichtserklärungen über 140 Exemplare verbuchen.

In den Chefetagen der beiden etablierten Branchenriesen wird man dies mit Interesse zur Kenntnis genommen haben. Denn die MC-21 ist für 150 Passagiere ausgelegt, künftige Versionen sogar für 212 Fluggäste - und damit ist dieser Flieger ein direkter Wettbewerber der Verkaufsschlager von Airbus und Boeing, also der A320- und der 737-Familien. An Ehrgeiz fehlt es den Russen nicht. Man wolle den weltweiten Marktanteil am Ziviljetgeschäft bis zum Jahr 2020 auf zehn Prozent verzehnfachen, sagte Industrieminister Viktor Khristenko.

Der Boeing-Chef traut den Chinesen einen erfolgreichen Markteintritt zu

Im Jahr 2016 soll der neue Flieger auf den Markt kommen, ebenso wie die C919 des chinesischen Staatskonzerns Comac für 160 Passagiere. 2000 dieser Jets will Comac in einem Zeitraum von 20 Jahren verkaufen. Speziell den Asiaten traut Boeing-Chef Jim McNerney einiges zu: "China wird der dritte große Wettbewerber bei Ziviljets sein", glaubt er. Das Land habe alle Voraussetzungen, innerhalb der nächsten zehn Jahre auf dem Markt der Kurz- und Mittelstreckenjets ernsthaft mitzuspielen.

Andere wollen das noch schneller schaffen. Schon im Jahr 2013 soll die Typenreihe CSeries des kanadischen Regionalflugzeugbauers Bombardier an die Kunden geliefert werden. In der Firmenzentrale in Montreal macht man sich Hoffnungen, in den nächsten 20 Jahren die Hälfte des Marktes der Jets mit 100 bis 150 Passagierplätzen für sich gewinnen zu können. Immerhin liegt unter anderem ein Auftrag der Lufthansa über 30 Exemplare vor, der Billigflieger Easyjet hat sein Interesse bekundet.

Die Flieger der Konkurrenten setzen auf besonders sparsame Triebwerke

Allen diesen Kandidaten, die an der Vorherrschaft von Airbus und Boeing rütteln wollen, ist eines gemeinsam: Sie verwenden eine neue Generation von sparsamen Triebwerken, die nach Angaben der Motorenhersteller 15 bis 16 Prozent weniger Treibstoff benötigen - und die es bei den beiden Marktführern bisher nicht zu kaufen gibt.

Airbus -Chef Thomas Enders ist sich der Herausforderungen, die diese und künftigere weitere Wettbewerber darstellen, sehr bewusst. "Ja, es wird neue Konkurrenten geben aus Brasilien, aus Kanada, sicher auch aus China, Russland und Japan, vielleicht auch mal aus Indien. Das müssen wir ernst nehmen", sagte Enders der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung." Vor Jahrzehnten habe Boeing den Fehler gemacht, den aufstrebenden Anbieter Airbus zu unterschätzen. Einen solchen Fehler würden die Europäer nicht machen. Enders fügte an: "Wir werden diesen Markt mit allen Kräften verteidigen."

Wie eine Firmensprecherin dem Abendblatt sagte, will Airbus noch in diesem Jahr entscheiden, ob die A320-Familie ebenfalls mit Triebwerken neuartiger Technologie ausgerüstet wird. Nach Einschätzung von Branchenkennern könnten die modernisierten Flieger in den Jahren 2015 oder 2016 auf den Markt kommen.

Boeing könnte zu einer kompletten Neuentwicklung gezwungen sein

"Airbus wird sich dafür entscheiden, die neuen Motoren anzubauen", ist sich der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt sicher. Boeing dagegen könne gezwungen sein, auf eine komplette Neuentwicklung seiner Kurz- und Mittelstreckenflieger zu setzen, was einige Jahre länger dauern würde: "Bei der 737-Reihe ist die Bodenfreiheit unter den Tragflächen wohl zu gering für die neuen Triebwerke, die Maschine ist schon heute ziemlich ausgereizt."

Allerdings gilt es in Fachkreisen als sicher, dass auch die Herausforderer noch eine Reihe von Hürden nehmen müssen. "Auf längere Sicht sind die neuen Wettbewerber ernst zu nehmen, sie kommen schließlich aus respektablen Nationen", sagte Angela Behrend-Görnemann, Leiterin des Transportfinanzierungsgeschäfts bei der HSH Nordbank. "Neue Hersteller müssen aber erst beweisen, dass sie einen funktionierenden weltweiten Kundendienst für die Wartung unterhalten. Bis dahin werden viele potenzielle Kunden zögerlich bleiben." Zudem seien die Projekte mit erheblichen technologischen Risiken behaftet, so Großbongardt. Noch unsicher sei auch, ob sie auf hinreichende Stückzahlen kommen, um kommerziell tragfähig zu sein. Bei Airbus ist das keine Frage - allein das aktuelle Orderbuch der A320-Familie umfasst noch mehr als 2300 Jets.