Umgestaltung des Strommarktes: Vattenfall verkauft Hochspannungsnetz, Stadtwerke gegen längere Laufzeiten von AKWs.

Hamburg. Bei der Neugestaltung des deutschen Strommarktes gibt es einen deutlichen Fortschritt. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verkauft sein nordostdeutsches Hochspannungsnetz für 810 Millionen Euro inklusive Schulden an Elia und Industry Funds Management (IFM), zwei Investoren aus Belgien und aus Australien. Vattenfall Europe, das deutsche Tochterunternehmen von Vattenfall, ist in Hamburg und Nordostdeutschland aktiv.

Vattenfall hatte den Verkauf des Netzes bereits im vergangenen Jahr angekündigt. Hintergrund dafür ist der Druck der europäischen Kommission auf die Stromversorger, aber auch die Regulierung der Netzgebühren in Deutschland, die die Freiheit der Unternehmen bei der Preisbildung beschränkt. Deutschlands größter Stromkonzern E.on hatte sein Hochspannungsnetz bereits 2009 an den niederländischen Betreiber Tennet verkauft. RWE und Energie Baden-Württemberg (EnBW), die beiden anderen wichtigen Akteure hierzulande, wollen ihre Netze behalten. "Für mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt ist der Verkauf des Vattenfall-Hochspannungsnetzes ein kleiner und wichtiger Schritt", sagte Ingrid Nestle, Sprecherin für Energiewirtschaft in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. "Die Bundesregierung muss Druck auf RWE und EnBW ausüben, damit auch sie ihre Netze verkaufen."

Die heutige Gestalt des deutschen und des europäischen Strommarktes geht auf Pläne der EU-Kommission von Ende der 90er-Jahre zurück. Brüssel drängte damals die Länder und Regionen in den Mitgliedsstaaten, sich aus der Strom- und Erdgaswirtschaft zurückzuziehen und die öffentlichen Unternehmen zu privatisieren. So sollte am Energiemarkt Wettbewerb entstehen. Zunächst geschah aber das Gegenteil: Aus öffentlichen und privaten Unternehmen erwuchsen neue Strom- und Gaskonzerne, die das Geschäft dominierten.

Deren enorme Marktmacht wiederum versucht die EU-Kommission seit Jahren zurückzudrängen. Zunächst schrieb sie den Konzernen vor, die Erzeugung von Strom, dessen Vermarktung und Weiterleitung unternehmerisch voneinander zu trennen. In einem nächsten Schritt übte die Kommission Druck aus, damit die Konzerne ihre Hochspannungsnetze an unabhängige Betreiber verkaufen.

Die neue Bundesregierung formulierte in ihrem Koalitionsvertrag Ende 2009 das Ziel, eine deutsche Netz AG aus den Hochspannungsnetzen von E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe zu bilden. Dieses Ziel dürfte nach den Verkäufen von E.on und Vattenfall hinfällig sein. Elia, der neue belgische Mehrheitseigner (60 Prozent) des Vattenfall-Netzes in Deutschland, skizzierte am Freitag seine Pläne: "Es wird ein Netz für ganz Europa", sagte Unternehmenschef Daniel Dobbeni. Die Leitungen seien entscheidend für die Anbindung der geplanten riesigen Windparks in Nord- und Ostsee. Elia ist ein Tochterunternehmen belgischer Kommunen.

Für die Stromkunden wird sich durch den Netzverkauf bei Vattenfall Europe direkt nichts ändern. Wichtiger als die kurzfristige Preisentwicklung sind langfristige Investitionen der Eigner etwa in die Optimierung der Stromnetze für den Anschluss von Windparks oder Solaranlagen.

Bei der Stromerzeugung dominieren E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe den deutschen Markt weiterhin, sie kontrollieren mehr als 80 Prozent aller Kraftwerkskapazitäten in Deutschland. "Bei einer derartigen Konzentration kann man nicht von einem guten Wettbewerb sprechen", sagte Ingrid Nestle von den Grünen.

Entscheidend für die kommenden Jahre wird deshalb die Position der Stadtwerke und Regionalversorger sein. Nach der Liberalisierung des Strommarktes gerieten sie gegen die Konzerne zunächst in die Defensive. Mittlerweile haben die Städte den Wert einer eigenen Stromversorgung neu entdeckt, sie investieren vor allem in erneuerbare Energien oder in Blockheizkraftwerke, die Strom und Wärme zugleich erzeugen. Der von der Bundesregierung geplante Ausstieg aus dem Atomausstieg steht diesen Plänen jedoch im Weg.

Am Montag wollen 150 Stadtwerke und kleinere Energieversorger eine neue Studie vorlegen, die die negativen Folgen längerer Laufzeiten bei den deutschen Atomkraftwerken beschreibt. Die Unternehmen fürchten, dass eine Fortsetzung der Atomkraftnutzung über das bislang vorgesehene Ende um das Jahr 2022 herum die Modernisierung der deutschen Stromwirtschaft massiv behindern würde: "Eine Laufzeitverlängerung nimmt der Umstrukturierung der Energieerzeugung die erforderliche Dynamik", sagte Stephan Weil, Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen, dem "Handelsblatt". Die kommunalen Energieversorger fordern von der Bundesregierung, dass die Stromkonzerne bei längeren Laufzeiten für ihre Atomkraftwerke im Gegenzug veraltete Kohlekraftwerke vom Netz nehmen müssen. Andernfalls, so fürchten sie, würden sich Milliarden Euro an Investitionen in moderne, dezentrale Kraftwerke nicht rentieren.