Das Defizit ist so hoch wie in Griechenland, die Wirtschaftsdaten sind schlecht, politische Unsicherheit: London in Nöten.

Hamburg. Monatelang stand Griechenland weithin sichtbar als Schuldensünder am Pranger - und es schien, als könne der Balkanstaat allenfalls Gesellschaft von einem der anderen Länder aus der Gruppe der so genannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) bekommen.

In London mag man das mit einer gewissen Erleichterung registriert haben. Doch nun ist Großbritannien selbst ins Blickfeld gerückt, und das keineswegs ohne Berechtigung: Die für 2010 prognostizierte Neuverschuldung des Staates liegt bei 12,8 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung und damit höher als die Defizitquote der Griechen von 12,7 Prozent im vergangenen Jahr. Würde sich die Zahl bestätigen, hätten die Briten das höchste Defizit aller Industrieländer.

Am Devisenmarkt hat dies heftige Bewegung ausgelöst, das britische Pfund ist in den vergangenen Tagen gegenüber dem Dollar und gegenüber dem Euro deutlich abgesackt. Offenbar sind dabei auch Spekulanten am Werk - denen bislang nachgesagt wurde, sie wetteten gegen die Gemeinschaftswährung.

Experten halten es für durchaus plausibel, dass jetzt das Pfund ins Visier genommen wird. "Großbritannien ist ein relativ kleines Land, es ist viel einfacher, gegen das Pfund zu spekulieren als gegen den Euro oder gegen den Dollar", sagt Jonas Dovern, Geschäftsführer des Wirtschaftsforschungsinstituts Kiel Economics, dem Abendblatt. Dies sehen womöglich die Griechen mit einer gewissen Schadenfreude, denn schließlich ist London der Sitz mancher Investoren, die als potenzielle Spekulanten in Frage kommen.

"Es gibt aber eine Form der Spekulation, die nur vorweg nimmt, was früher oder später ohnehin kommt, indem sie absehbare Probleme erkennt und nutzt", gibt Rolf Drees, Leiter des Analyseteams bei der WGZ Bank, zu bedenken. Nach seiner Einschätzung kann sich das Pfund noch spürbar weiter abschwächen. Fachleute müssen nicht lange nach Erklärungen dafür suchen. "Die Wirtschaftsdaten für Großbritannien sind schlecht", sagt Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann, "das Land ist im vierten Quartal gerade einmal mit einer schwarzen Null beim Bruttoinlandsprodukt aus der Krise herausgekommen."

Für die Schwäche des Inselstaats gibt es ein ganzes Bündel von Ursachen. So macht der Finanzsektor, der unter der Bankenkrise schwer gelitten hat, mehr als sieben Prozent der gesamten britischen Wirtschaftsleistung aus, in der Hauptstadt London liegt die Quote sogar bei rund einem Viertel.

Die Angelsachsen hätten es lange Zeit geschafft, allen anderen einzureden, ihr Wirtschaftssystem sei überlegen, weil der starke Fokus auf Finanzdienstleistungen mehr Wohlstand schaffe, heißt es in Bankenkreisen in Deutschland. Diese Einstellung rächt sich nun: Angesichts immenser Rettungspakete liegt auch das für die USA erwartete Haushaltsdefizit 2010 oberhalb von zehn Prozent. "Außerdem sind die Häuserpreise in Großbritannien vor der Krise kräftig gestiegen, dann aber drastisch zurückgefallen", so Intelmann. Dieser Effekt belastet nun den privaten Konsum schwer.

Während Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich von wieder zunehmenden Exporten profitieren kann, tun sich die Briten damit schwerer. "Dort hat man die industrielle Basis in den zurückliegenden Jahren sehr vernachlässigt, in wichtigen Sektoren sind die Unternehmen kaum mehr wettbewerbsfähig", sagt Drees. Auch die Infrastruktur, etwa das Eisenbahnnetz, sei in einem schlechteren Zustand als in vielen anderen europäischen Ländern.

Als eigentlichen Auslöser für den aktuellen Schwächeanfall des britischen Pfunds sehen etliche Experten aber die politische Situation. Im Mai steht die Unterhaus-Wahl an - und in jüngsten Umfragen deutet sich an, dass Premierminister Gordon Brown und seine Labour Party keine absolute Mehrheit erhalten werden. "Diese Nachrichten haben eine neue Phase der Verunsicherung eingeläutet", sagt Intelmann. "An den Märkten fragt man sich, ob eine schwache Regierung in der Lage sein wird, die nötigen Sparanstrengungen durchzusetzen, um die Verschuldung wieder in den Griff zu bekommen."

Dennoch sei Großbritannien im Hinblick auf die Defizitproblematik nicht wirklich mit Griechenland zu vergleichen, sagt Dovern. Anders als die Griechen, die schon bis Mai allein 20 Milliarden Euro refinanzieren müssen, seien die Briten mit vergleichsweise langen Laufzeiten verschuldet. "Zudem hat Großbritannien den Vorteil, seine Währung abwerten zu können", so Dovern. Und schließlich sei der absolute Schuldenstand gemessen an der Wirtschaftskraft noch immer weit niedriger als in Griechenland, wo diese Kenngröße im Jahr 2010 voraussichtlich auf 123 Prozent klettern wird.

Entscheidend sei aber letztlich etwas anderes, meint Dovern: London hat einfach einen völlig anderen Ruf als Athen, wenn es um die Verlässlichkeit als Schuldner geht.