Soziales Netzwerk Xing wächst trotz starker Konkurrenz kräftig. Firmenchef Groß-Selbeck will den Standort Hamburg stärken.

Hamburg. Es ist einer der großen Erfolge der jüngeren Wirtschaftsgeschichte der Stadt: Vor knapp zehn Jahren von dem Hamburger Lars Hinrichs gegründet, wagte Xing 2006 den Schritt an die Börse, wuchs zu Deutschlands mitgliederstärkstem Businessnetzwerk heran, ist seit einigen Wochen im TecDAX gelistet und gehört damit zu den 30 größten börsennotierten Technologieunternehmen bundesweit.

Doch die Wachstumsstory ist damit noch nicht zu Ende: Im nächsten Jahr will die Internetfirma, die ihren Mitgliedern über individuelle Profile ein umfangreiches Netzwerk bietet, 100 Arbeitsplätze schaffen. "Der Großteil entsteht in der Zentrale in Hamburg", sagt Stefan Groß-Selbeck. Damit würde die Zahl der Jobs bei Xing allein in der Hansestadt auf mehr als 400 wachsen.

+++ Das Abendblatt-Interview mit Xing-Gründer Groß-Selbeck +++

Groß-Selbeck steht seit Anfang 2009 an der Spitze der Firma, die am Gänsemarkt über der Stadtbäckerei sitzt, dem Betrieb der Eltern des Gründers Lars Hinrichs. Kontakte zu Hinrichs beschränken sich heute auf Freundschaften zu Mitarbeitern - der mehrfach ausgezeichnete Unternehmer ist aus der Firma ausgestiegen und hat vor zwei Jahren seine Anteile für 48 Millionen Euro an den Burda-Verlag verkauft. Mit Groß-Selbeck hat er einen würdigen Nachfolger gefunden. Der 44-Jährige war zuvor Deutschland-Chef bei Ebay. Unter ihm entwickelte sich Deutschland zum größten Ebay-Markt außerhalb der USA.

Die wachsenden Nutzerzahlen im Netz, die Ebay immer mehr Verkäufer und Käufer bringen und Facebook zum Ersatz für das wirkliche Leben werden lassen, beflügeln auch Xing. Die Hamburger vernetzen weltweit gut elf Millionen Menschen auf ihrer Plattform. "Wir sehen auch für die Zukunft noch viel Potenzial, um unser Mitgliederwachstum fortzusetzen", sagt Groß-Selbeck insbesondere mit Blick auf den deutschsprachigen Raum. Hier zählt Xing mehr als fünf Millionen Nutzer.

Ein Blick auf die Vernetzung der Gesellschaft untermauert seine Hoffnung: Inzwischen sind gut 82 Prozent der deutschen Haushalte an das Internet angeschlossen. Eine beeindruckende Zahl, auf den ersten Blick. Allerdings liegt Deutschland damit im internationalen Vergleich erst auf Platz sieben. In den Niederlanden erreicht das Internet eine Durchdringung der Haushalte von gut 90 Prozent, in den skandinavischen Ländern und auch in Japan liegt dieser Wert ebenfalls höher als in Deutschland. Zudem geben aktuell noch 62 Prozent der Deutschen an, nicht versiert zu sein im Umgang mit dem Internet.

Xing hat sein Wachstum weitgehend auf Deutschland, die Schweiz und Österreich konzentriert und ist damit auf die Entwicklung der digitalen Gesellschaft in diesen Ländern angewiesen. Versuche der Firma, sich international, etwa in China, zu etablieren, haben sich als zu kostspielig erwiesen. Nur in der Türkei und Spanien konnte sich Xing außerhalb des deutschsprachigen Raums etablieren.

Die Konzentration auf einen überschaubaren Markt hat Xing eine Finanzstärke beschert, die all diejenigen Lügen straft, die bei Internetfirmen noch immer an den Crash der Branche vor zehn Jahren denken. Im Februar schüttet Xing 20 Millionen Euro an die Aktionäre aus. Ein Beweis dafür, wie "nachhaltig und renditestark Xing bereits ist", sagte erst jüngst Markus Silbe, Analyst von Close Brothers Seydler Research.

Zwar ist Xing neben anderen sozialen Netzwerken ein kleiner Marktteilnehmer: Facebook erreicht 800 Millionen Mitglieder und soll 100 Milliarden Euro wert sein. Daneben engagiert sich der US-Konzern Google, der täglich eine Milliarde Suchanfragen auf seiner Seite zählt, ebenfalls im Markt der sozialen Netzwerke: Mit Google+ versucht die Firma aus Kalifornien, den Netzwerken mit einer eigenen Plattform die Mitglieder abzujagen. Allerdings profitiert Xing mit seiner Konzentration auf berufliche Kontakte von einer Entwicklung, die seine Konkurrenten in manchen Ländern bereits ausbremst: Wenn bei Facebook der Chef die Barbesuche seiner Angestellten anschauen und die 16-jährige Tochter ihren Urlaubsflirt nicht mehr vor der Mutter verheimlichen kann, weil sich auch die Elterngeneration auf der Seite tummelt, wird es für viele Nutzer langsam mulmig. In den internetaffinen Niederlanden etwa soll die Wachstumskurve von Facebook bereits abflachen.

Xing dagegen baut die Instrumente für die berufliche Nutzung weiter aus und konzentriert sich voll auf diese Nische, in der nur die US-Firma LinkedIn als nennenswerter Konkurrent der Hamburger gilt. "Dabei erschließen wir auch neue Erlösquellen", sagt Groß-Selbeck. Zwar erzielte das Unternehmen nach wie vor 70 Prozent des Umsatzes von 16,6 Millionen Euro im dritten Quartal mit den zahlenden Premiummitgliedern. Diese geben für besondere Funktionen wie Suche und "Besucher meines Profils" bei Xing gut fünf Euro im Monat aus.

Dafür können sie Jobs finden, aber auch Mitarbeiter, Aufträge oder Geschäftsideen. Ein Wachstumsbringer bei Xing sind aber auch Firmen, die Personal suchen. Im dritten Quartal erzielte Xing in diesem Bereich ein Umsatzplus von 60 Prozent auf gut drei Millionen Euro. Geldquellen für Xing sind dabei Stellenanzeigen der Unternehmen. Aber auch kostenpflichtige Suchhilfen für Firmen, die auf diesem Weg passende Kandidaten finden wollen.

In den nächsten Monaten macht sich Xing sein Netzwerk nun selber zunutze, um die 100 neuen Mitarbeiter zu suchen: Xing-Mitglieder, die als Beruf Softwareentwickler, Produkt- oder Qualitätsmanager angegeben haben, dürften mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Stellenangebot stoßen. Vielleicht sitzen sie dann schon bald im Xing-Büro und genießen den Blick auf den Gänsemarkt.