Immer mehr Manager steigen in den Ring und lernen dabei eine Menge für ihren Beruf. So auch Ronald Röthling, Geschäftsführer einer Reederei.

Hamburg. Einfach mal den Kopf freibekommen. Und auf einem gepflegten Golfplatz abschlagen oder sich am Ruder einer schicken Segelyacht mit den Naturgewalten messen - Ronald Röthling kennt die typischen Sportarten der Reichen und Schönen nicht nur vom Zuschauen. Der Geschäftsführer einer Reederei leistet sich in seiner knappen Freizeit immer mal gerne kleine Auszeiten auf dem Green oder beim Wassersport. Doch so richtig in seinem Element ist der Diplom-Kaufmann nur beim Boxen.

"Die Anstrengung, aber auch das Natürliche, das Martialische, der Kampf Mann gegen Mann machen den Sport für mich so reizvoll", sagt der Hamburger, der mit Gattin und seiner kleinen Tochter im idyllischen Rosengarten wohnt. Gerade ist er nach einem Kampf aus dem Ring gestiegen und hat den Kopfschutz abgenommen. Die Ledermaske soll die Männer vor schweren Verletzungen schützen. Blutende Nasen gibt es zwar hin und wieder, aber ein blaues Auge wäre schon ziemlich peinlich, wenn die Sportler am nächsten Tag in Anzug und schwarzen Budapestern in ihren Konferenzräumen, Chefetagen und Sozietäten auftauchen: Röthling trainiert im "white collar boxing club", dem Hamburger Verein für Managerboxen (white collar steht im Englischen für weißer Kragen).

Inhaber Tim Albrecht hat in seinem Ring schon so mancher Persönlichkeit aus dem Hamburger Wirtschaftsleben auf die Beine geholfen. "Wir haben hier Banker, Hoteliers, Steuerberater und Anwälte, ein sehr angenehmes Publikum", sagt der Box- und Fitnesstrainer, der den Klub nach einigen Startschwierigkeiten mit anderen Betreibern inzwischen als Alleininhaber führt. Die Mitgliedschaft kostet 49 bis 79 Euro im Monat, dafür können die Sportler zweimal in der Woche trainieren.

Dass die Mitglieder sich in dem edlen Ambiente mit Ledercouches, Holzfußböden und einem Kamin nicht auf die nächste Schlacht nach der Disco vorbereiten, sondern beim fairen Sport unter sich sein wollen, schätzt auch Reedereichef Röthling am "white collar boxing club". "Das sind alles Leute mit anständigen Berufen, die mit beiden Beinen im Leben stehen", sagt der 34-Jährige, "und in manchen anderen Boxklubs gehört man jenseits der 30 Jahre schnell zu den Rentnern". Zumal ab dieser Altersgrenze in dem Sport ohnehin keine öffentlichen Wettkämpfe mehr erlaubt sind.

Die Schüler von Tim Albrecht profitieren in ihrem Beruf davon, dass sie durch das Boxen mehr Selbstbewusstsein bekommen. Außerdem hilft der Sport dabei, Aggressionen abzubauen, für die es in der von strengen Verhaltensregeln geprägten Geschäftswelt kaum Ventile gibt.

Der Hamburger "white collar boxing club" war bei seiner Gründung 2007 bundesweit Vorreiter des Managerkampfsports, geht aber ursprünglich auf eine längere Tradition des Boxens für Manager zurück. Seit Ende der 1980er-Jahre im legendären Gleason's Gym in Brooklyn ein Rechtsanwalt und ein Literaturdozent ihren Streit im Ring klärten, ist das Kämpfen mit den Fäusten salonfähig geworden. Zudem haben renommierte Profivorbilder den Sport schlagartig aus der Schmuddelecke herausgeholt: Mit Wladimir Klitschko hat es schließlich ein Akademiker mit Doktortitel an die Weltspitze geschafft, und auch Henry Maske galt als Kämpfer mit Stil und Niveau.

Inzwischen komplettieren Managerboxklubs das Sportangebot jeder deutschen Großstadt und melden durchschlagende Erfolge. Und auch immer mehr klassische Kampfsportanbieter und Fitnessstudios werben um Boxer aus Chefetagen. Von den 24 Boxvereinen in Hamburg bieten zwei Drittel auch Fitnessboxen für Manager an, weiß Trainer Olaf Jessen. Der ehemalige Präsident des Hamburger Amateurboxverbands hat die Sportart in der Hansestadt für neue Zielgruppen geöffnet, begeistert auch immer mehr Frauen und Kinder und kooperiert in seinem Hankook-Sportcenter mit der Schulbehörde und dem Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern, dem Weißen Ring. "Der Sport ist seriöser geworden und einfach hip", sagt Jessen. Firmen wie der Norddeutsche Rundfunk oder die Produktionsgesellschaft Die Fernsehmacher bieten Boxen bereits für ihre Belegschaften an, auch der Betriebssportverband der Hansestadt engagiert sich im Fitnessboxen.

Von den bundesweit 807 im Deutschen Boxsportverband (DBV) organisierten Klubs bieten ungefähr 30 Vereine das Managerboxen an, schätzt Alexander Mazur vom DBV. Der CSC Frankfurt mit etlichen Bankern sei sogar einmal Deutscher Mannschaftsmeister geworden. "Das Managerboxen ist unbedingt zu begrüßen", sagt Mazur. Die neuen Mitglieder unterstützten die Vereine. Und das Boxen werde durch diesen Trend stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Trainer Tim Albrecht sieht klare Parallelen zwischen Boxring und Büroalltag, vergleichbare Herausforderungen, die den Sport für Manager so attraktiv machen. "Ich muss risikobereit sein und aus meiner Komfortzone herauskommen, um mich in den Ring zu trauen", sagt Albrecht. Schlechte Vorbereitung oder mangelnde Disziplin würden unmittelbar bestraft, wie im Wirtschaftsleben. Gleichzeitig erscheinen aber auch die Gegensätze zwischen Sport und Geschäftswelt als schlagende Argumente für boxende Manager. "Nichts entscheiden müssen, einmal eine Stunde lang den Anweisungen des Trainers folgen, anstatt immer selbst den Ton anzugeben", das ist für Röthling ein Grund, sich nach Feierabend beim Boxen auszutoben. Und einfach mal den Kopf freizubekommen.