Der neue Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, Gunther Bonz, über Versäumnisse, Verkehrsprojekte und das Risiko eines Dauerstaus.

Hamburg. Der Hamburger Senat will in den kommenden Monaten einen neuen Plan für die mittelfristige Entwicklung des Hamburger Hafens vorlegen. Nach der Weltwirtschaftskrise wurde deutlich, dass die wachsenden Gütermengen auf den vorhanden Straßen und Schienen nur noch mit Mühe bewegt werden können. Die Planungs- und Bauzeiten für neue Verkehrswege aber sind lang. Obendrein sind viele Finanzierungsfragen nicht geklärt.

Kaum jemand in der Stadt kennt den Hafen so wie Gunther Bonz, 55. Von 2004 bis 2008 war er als Staatsrat in der Wirtschaftsbehörde maßgeblich an der Hafenentwicklung beteiligt. Seit 2009 arbeitet er als Generalbevollmächtigter der Eurogate-Gruppe. Im Oktober wurde er als Nachfolger von HHLA-Chef Klaus-Dieter Peters zum Präsidenten des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH) gewählt. Dem Abendblatt gab er sein erstes ausführliches Interview in dieser Funktion.

Hamburger Abendblatt: Herr Bonz, Hamburg steckt mitten in der Diskussion über den Ausbau des Hafens. Derweil steigt der Umschlag weiter an, dieses Jahr auf voraussichtlich rund neun Millionen Standardcontainer (TEU). Kollabiert der Hafen durch seinen eigenen Erfolg?

Gunther Bonz: Der Hafen wird zwar nicht kollabieren, aber es gibt eine klare Begrenzung beim Wachstum, falls nichts geschieht. Ohne neue Verkehrswege droht bei zwölf bis 13 Millionen TEU der Verkehrsinfarkt.

Haben die Hamburger Senate, egal ob von der CDU oder SPD geführt, in den vergangenen Jahren geschlafen?

Nicht nur sie. Es ist ein bundesweites Problem. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wurde viel zu spät erkannt, dass die Infrastruktur für Ost-West- statt wie bisher für Nord-Süd-Verkehre hergerichtet werden muss. Deutschland hat obendrein das Problem zu langer Planungszeiten, wie etwa die mehr als 30 Jahre bei der Hafenquerspange. Hinzu kommt, dass die vorhandenen Eisenbahnlinien und Straßen seit 20 Jahren nicht genügend unterhalten werden. Die Infrastruktur ist zum Teil marode. Der Hafen darf nicht kaputtgespart werden.

Wie weit sind die Planungen für die Hafenquerspange, die die Autobahnen A 1 und A 7 verbinden soll?

Geplant wird derzeit die sogenannte Südtrasse, die über 9,4 Kilometer auf Hamburger Stadtgebiet von der künftigen A-26-Anschlussstelle an der A 7 über die Süderelbe, den Kattwykdamm und Hohe Schaar zur A 1 bei Stillhorn führen soll. Mit Planfeststellungsverfahren, Finanzierung und Bau werden für dieses Projekt mindestens acht Jahre notwendig sein. Das ist für Hamburg zu lange. Anders gesagt: Hamburg wird seine Möglichkeiten im Hafen nicht nutzen können, weil die angelieferten Container oder auch Anlagen aus dem Maschinenbau nicht rechtzeitig abtransportiert werden können.

Damit gerät der Hafen in eine Sackgasse. Oder gibt es einen Ausweg?

Die südliche Querung der Elbe und des Hafens ließe sich in Stufen ausbauen. Der erste Schritt sollte die Kattwyk-Hubbrücke betreffen. Hier müssten der Eisenbahn- und der Straßenverkehr getrennt werden. Die Straße ließe sich dann unter der Süderelbe hindurchführen. Der erste Schritt dieser Lösung wäre für 200 Millionen Euro zu haben und würde ein Nadelöhr entschärfen. Denn bisher müssen die Züge auf die Lkw warten und umgekehrt. Und fährt ein Schiff unter der Brücke hindurch, geht oben gar nichts mehr.

Und die große Lösung?

Das wäre der vierspurige Ausbau der Straßen für rund 700 Millionen Euro. An den Kosten müsste sich der Bund beteiligen.

Wie sieht es mit dem ständigen Engpass auf der Köhlbrandbrücke aus?

Die Brücke wird seit 30 Jahren stärker beansprucht, als man vorher erwartet hat. Die Fahrbahn ist saniert, jetzt geht es um die Betonpfeiler. Aber die Brücke wird durch die immer größeren und höheren Schiffe auch zur Begrenzung für den Schiffsverkehr. Künftig werden die größten Frachter nicht mehr unter der Köhlbrandbrücke nach Altenwerder hindurchfahren können. Die müssen dann am Burchardkai der HHLA oder beim CTH (Eurogate) abgefertigt werden. Die Schiffe kommen aber nur, wenn die Container auch ihren Weg in das Hinterland finden.

Schon bei den neun Millionen Containereinheiten (TEU), die dieses Jahr erreicht werden, stößt die Infrastruktur des Hafens an Grenzen. Wie sollen in Hamburg unter solchen Bedingungen je 15 oder gar 25 Millionen TEU im Jahr umgeschlagen werden - und dazu noch wachsende Gütermengen neben dem Container?

Eine Steigerung auf bis zu 25 Millionen Containereinheiten im Jahr ist allein mit den heute schon arbeitenden Terminals zu machen. Altenwerder, Burchardkai, Tollerort und CTH-Eurogate können dafür in den kommenden Jahren schrittweise ausgebaut werden. Der drohende Engpass besteht eben bei den Hinterlandanbindungen. Wir müssen dringend vorsorgen, damit die Kapazitäten von Straßen- und Schienenverbindungen an das erhoffte Wachstum des Hafens angepasst werden.

Wie soll das geschehen?

Der Senat will einen Generalverkehrsplan erarbeiten lassen, um die gesamte Infrastruktur von Straße und Schiene in der Stadt mit einbeziehen zu können. Bis dieser Plan vorliegt, wird Zeit vergehen. Allerdings dürfen unterdessen die akut nötigen Maßnahmen nicht zurückgestellt werden. Die Durchlässigkeit der Autobahn A 7 muss erhöht, die Planungen für die Hafenquerspange müssen beschleunigt werden. Zudem braucht die Kornweidenbrücke einen Ausbau für einen durchgehend zweigleisigen Bahnverkehr.

Wo liegt der Engpass bei der A 7?

Nach einhelliger Meinung der Hafenwirtschaft wäre bei Stellingen ein Ausbau von sechs auf acht Spuren erforderlich. Dort ist ja auch der "Autobahndeckel" für den Lärmschutz vorgesehen. Der Hamburger Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) allerdings hat erst im Oktober in einem öffentlichen Erörterungstermin bezweifelt, dass dort Ausbaubedarf herrscht. Das läuft konträr zur Verkehrspolitik des Senats, der die Anbindung des Hafens ans Hinterland deutlich verbessern will.

Welches sind die großen Verkehrsprojekte auf Straße und Schiene, die Hamburg für die kommenden Jahrzehnte eine Art Befreiungsschlag bringen würden?

Wir brauchen die Hafenquerspange. Wir brauchen die sogenannte Y-Trasse, das ist eine verbesserte Anbindung Hamburgs und Bremens beim Eisenbahn-Güterverkehr in Nord-Süd-Richtung. Und es muss eine weitere Straßen- und Schienenquerung in Nord-Süd-Richtung östlich von Hamburg bei Geesthacht geben. Letztere ist allein schon deshalb nötig, um den wachsenden Verkehr aus Skandinavien durch die geplante Fehmarnbelt-Querung auffangen zu können. Allerdings darf es bei der Hafenquerspange keine Vorfestlegungen geben. Die Umweltbehörde will ein Umweltschutzgebiet auf der Elbinsel Wilhelmsburg schaffen. Das könnte neue Konflikten schüren.

Seit Jahren gibt es Streit darüber, ob und wie die Wasserwege im Hafen selbst besser genutzt werden könnten, um Container von Überseeschiffen auf Zubringer - die sogenannten Feeder - und Binnenfrachter umzuladen. Warum ist Hamburg bei den Wassertaxis für Güter nicht schon längst viel weiter?

Diese Wassertaxis, die es ja schon gibt, bieten Ausbaupotenzial, aber nur begrenzt. Entscheidend könnten die Straßentransporte im Hafen reduziert werden, wenn es ein eigenes Terminal für Binnen- und Feederschiffe gäbe. Vor allem nachts könnten dann über die Hafenbahn Container von den Überseeschiffen auf einer eigenen Anlage für den Weitertransport elbaufwärts oder in den Ostseeraum zusammengefasst werden. Das brächte große Entlastung bei den Lastwagenverkehren im Hafen.

Wo könnte ein solcher Transitterminal gebaut werden?

Wahrscheinlich als Teil des künftigen Zentralterminals Steinwerder im Zentrum des Hafens. Dort wäre eine ideale Lage. Rotterdam, unser wichtigster Konkurrenzhafen, macht mit einem solchen Terminal für den Transitverkehr seit Jahren sehr gute Erfahrungen.