Thilo Bode fordert Ausstieg der Deutschen Bank aus Zockerei mit Nahrungsmitteln. Europa brauche strenge Kontrolle der Agrarrohstoffmärkte.

Hamburg. Die Fakten sind erdrückend. Weltweit leiden fast eine Milliarde Menschen an Hunger. Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an den Folgen der Unterernährung. Gleichzeitig steigen die Preise für Agrarrohstoffe wie Mais, Weizen oder Reis stark an - in den vergangenen elf Jahren um rund 150 Prozent. Allein im Jahr 2010 verteuerten sich die Nahrungsmittel um ein Drittel, wodurch weitere 40 Millionen Bürger zusätzlich in die Armut gestürzt wurden.

Für manche Menschen in Afrika oder Asien ist schon der Kauf einer Handvoll Weizen oder Reis ein Luxusgut und unerschwinglich. Als zentrale Ursache für den Hunger haben die Vereinten Nationen in ihrem jüngsten Ernährungsbericht vor allem die starken Preisschwankungen ausgemacht und als Gegenmittel mehr Transparenz auf den Lebensmittelmärkten gefordert.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch geht in einer aktuellen Analyse noch einen Schritt weiter. Foodwatch macht für den Preisanstieg vorrangig die weltweite Spekulation mit Agrarrohstoffen verantwortlich. Investmentbanken wie die Deutsche Bank und Goldman Sachs, aber auch Versicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen machten sich durch ihre Investitionen an den Rohstoffbörsen mitschuldig an den Hungersnöten in den ärmsten Ländern der Welt, so der Vorwurf. Die Preise stiegen vor allem durch Termingeschäfte, sogenannte Futures. Produzent und Käufer schließen dabei Verträge ab, um eine zukünftige Warenlieferung zu vorher festgelegten Preisen zu garantieren. Durch Investmentbanken sei dieses grundsätzlich sinnvolle Marktinstrument jedoch zur Perversion verkommen, heißt es in dem Report "Die Hungermacher", der von dem Finanzexperten Harald Schumann verfasst und gestern vorgestellt wurde. Allein bis Ende März 2011 hätten Kapitalanleger 600 Milliarden Dollar in Wetten mit Rohstoffen investiert und so eine künstliche Nachfrage geschaffen, welche die Preise steigen lässt.

Stellvertretend für die Finanzbranche nehmen die Verbraucherschützer den Chef der Deutschen Bank ins Visier. "Die Banken kassieren Gebühren und können mit ihren hoch spekulativen Wetten nur gewinnen, während die Risiken andere tragen - vor allem die Ärmsten der Armen, die ihr Essen nicht mehr bezahlen können. Josef Ackermann trägt als oberster Bankenlobbyist und Deutsche-Bank-Chef damit auch eine persönliche Verantwortung dafür, dass Menschen Hunger leiden", kritisiert Thilo Bode, Foodwatch-Geschäftsführer. Zugleich fordert Bode eine Abkehr von Investments zur reinen Spekulationszwecken: "Die unverantwortliche Zockerei im globalen Rohstoff-Kasino muss durch klare Spielregeln eingedämmt werden." In einem offenen Brief an Ackermann fordert Foodwatch konkrete Schritte. So sollte die Deutsche Bank mit gutem Beispiel vorangehen und aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln aussteigen. Gleichzeitig solle sich die "gesamte Bankenlobby nicht gegen eine effektivere staatliche Regulierung widersetzen". Verbunden mit der Kritik ist auch eine E-Mail-Aktion an den Vorstandschef unter dem Motto "Hände Weg vom Acker, Mann!".

Handlungsbedarf sieht Foodwatch aber auch bei der europäischen Politik, die die Rohstoffbörsen strenger regulieren müssten. Rohstoffmärkte haben laut Foodwatch keinen volkswirtschaftlichen Nutzen. Anders als Investitionen in Aktien dienten sie nicht der Vermittlung von Kapital an Unternehmen oder Staaten für produktive Zwecke. Vielmehr handele es sich allein um Wetten auf die Wertentwicklung der gehandelten Rohstoffe. Wirklich wichtig seien diese Termingeschäfte traditionell nur für Bauern und Lebensmittelproduzenten, um deren Preise für künftige Geschäfte abzusichern und damit für Anbieter und Abnehmer kalkulierbarer zu machen. Foodwatch fordert deshalb die Politik auf, institutionelle Anleger - wie Versicherungen - vom Handel mit Rohstoffderivaten auszuschließen und die Zahl der spekulativen Warenterminverträge auf 30 Prozent aller Futures zu begrenzen.

Die Deutsche Bank wies die Vorwürfe unterdessen zurück. Preissteigerungen und Schwankungen bei Agrarrohstoffen seien vorrangig auf Wetterereignisse, die steigende Nachfrage aus den Schwellenländern wie China und Indien, ein verändertes Ernährungsverhalten sowie den steigenden Bedarf an Biodiesel zurückzuführen, argumentiert das Geldinstitut.

Auch der Rohstoffexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Leon Leschus, sieht die Schuld nicht allein bei Spekulanten. "Damit macht man es sich zu einfach. Die Spekulation an den Märkten verstärkt zwar die Preisschwankungen, doch zentral wird die Richtung der Entwicklung durch fundamentale Gründe bestimmt." Für Leschus sind unter anderem die steigende Weltbevölkerung, der zunehmende Fleischkonsum, für den mehr Futtermittel angebaut werde müssen, Ernteausfälle und höhere Ölpreise für den Preisanstieg verantwortlich. Ein generelles Verbot von Spekulationsgeschäften sei kaum durchsetzbar, da diese von notwendigen Absicherungsgeschäften von Unternehmen schwer zu unterscheiden seien.

Frankreichs Staatspräsident erfährt durch Foodwatch im Nachhinein hingegen Rückenstärkung: Nicolas Sarkozy hatte schon zu Jahresbeginn vor den schädlichen Auswirkungen der Finanzspekulationen auf den Rohstoffmärkten gewarnt: "Wenn wir nichts tun, dann riskieren wir Hungerrevolten in den armen Ländern und schlimme Folgen für die Weltwirtschaft."