Bezirksleiter Küste Meinhard Geiken spricht im Interview über die schwierige Lage von Auszubildenden, Leiharbeitern und Werften.

Hamburg. Die Zahl der Mitglieder bei der IG Metall steigt wieder - auf Bundesebene und an der Küste. Das betrifft auch junge Mitglieder, für die die Gewerkschaft eine unbefristete Übernahme nach der Ausbildung fordert. Beim Gewerkschaftstag in Karlsruhe geht es seit gestern und in den nächsten Tagen um die Strategie für die kommenden vier Jahre. Das Abendblatt sprach mit Meinhard Geiken, dem Bezirksleiter Küste.

Abendblatt: Herr Geiken, die Leiharbeit ist das wichtigste Arbeitsmarktthema beim bundesweiten Gewerkschaftstag der IG Metall in Karlsruhe. Die Kritik an der Branche ist scharf. Warum?

Meinhard Geiken: Weil die Zahl von knapp einer Million Beschäftigten deutlich macht: Die Mitarbeiter werden nicht nur geholt, um Spitzen in der Produktion abzudecken

Dagegen ist noch nichts zu sagen...

Geiken: ... aber die Unternehmen setzen eben Leiharbeiter ein, um die Löhne zu drücken. Die Betroffenen werden meist schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft, haben kürzere Kündigungsfristen oder werden von den Leiharbeitsfirmen nur für wenige Monate eingestellt. Wer Leiharbeiter ist, hat einen niedrigeren sozialen Status. Viele erhalten keinen Kredit von Banken oder werden bei der Wohnungssuche abgewiesen.

Stellt sich die IG Metall generell gegen die Leiharbeit?

Geiken: Sie abzuschaffen, ist wohl eine Illusion. Wir könnten uns damit abfinden, wenn sie begrenzt wäre, nur für Auftragsspitzen genutzt und gleiche oder gar bessere Bedingungen als bei den Stammbelegschaften geboten würden. Das ist in Dänemark der Fall. Dort werden die Leiharbeiter von den Firmen als qualifizierte Fachleute angesehen und honoriert.

Auch beim Flugzeugbauer Airbus ist die Leiharbeit im Konflikt um den Zukunftstarifvertrag ein Thema. Ist der Flugzeugbauer mit gleicher Bezahlung der Leiharbeiter ab dem vierten Monat und der stetigen Übernahme dieser Kräfte nicht ein Musterknabe?

Geiken: Das sehen wir nicht so, weil bei Airbus in einigen Bereichen weit über 30 Prozent der Beschäftigten Leiharbeiter sind und dies zum Teil seit Jahren. Wer aber länger als zwei Jahre in einem Betrieb ist, wird ständig gebraucht. Deshalb fordern wir, diese Mitarbeiter zu übernehmen.

Zurück zu den jungen Menschen. Wird von den Firmen an der Küste genug ausgebildet und werden die Lehrlinge später übernommen?

Geiken: Weder das eine noch das andere geschieht. Von 400 000 Arbeitslosen in den Küstenländern sind fast zehn Prozent jünger als 25 Jahre. Nur etwas mehr als ein Drittel der Industriebetriebe unserer Branche bildet aus. Und nach der Ausbildung werden viele nur für ein Jahr eingestellt, weil dies der Tarifvertrag vorschreibt. Nicht tarifgebundene Firmen stellen die Ausgebildeten oft gar nicht ein. Aber alle beschweren sich über den Fachkräftemangel.

Soll bei der Ausbildung in der nächsten Tarifrunde im kommenden Jahr nachgebessert werden?

Geiken: Wir fordern, künftig alle Auslerner unbefristet zu übernehmen. Dazu sollen Jugendliche, denen das Lernen schwerfällt, eine Zusatzqualifikation über ein Jahr und eine damit verbundene feste Zusage für eine Lehrstelle erhalten.

Im April 2011 sind die Löhne in der Metall- und Elektroindustrie um 2,7 Prozent gestiegen. In einigen Monaten wird neu verhandelt. Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage im Norden und welche Forderung lässt sich daraus ableiten?

Geiken: Die Auftragslage ist gut. Viele Betriebe stellen neue Mitarbeiter ein. Aber wegen der sich möglicherweise erneut abzeichnenden Finanzkrise kann sich dies schnell ändern. Deshalb wollen wir unsere Forderung so spät wie möglich stellen, um die Lage realistisch einschätzen zu können.

Die Teuerung lag in den vergangenen Monaten stets höher als zwei Prozent. Muss bei einem Abschluss nicht wenigstens eine Drei vor dem Komma stehen?

Geiken: Einmalzahlungen wie 2010 reichen nicht. Löhne und Gehälter müssen so steigen, dass die Teuerung aufgefangen wird und für die Beschäftigten zusätzlich noch etwas übrig bleibt.

Im Schatten der guten Konjunktur ist die Beschäftigung auf den Werften mit 16 000 auf einen neuen Tiefstand gesunken. Ist das Ende des deutschen Schiffbaus absehbar?

Geiken: Die Werften sind nicht am Ende. Bei Spezialschiffen sind sie wettbewerbsfähig. Aber die Regierung muss dies auch mit einer Politik unterstützen, die gegen die subventionierte Konkurrenz aus China, Korea oder Vietnam hilft. Dazu gehört, die Banken dazu zu ermuntern, Kredite und Bürgschaften für Neubauten zu übernehmen.

Die größte Hoffnung der Werften beruht derzeit auf Offshore-Aufträgen. Wie realistisch ist sie?

Geiken: Das ist schwer abzuschätzen. Aber eines ist klar: Was derzeit an Schiffen für die Errichtung von Förder- oder Umspannplattformen auf See vorhanden ist, reicht nicht aus. Das gilt auch für Kabelleger und Schiffe, die Personal und Ausrüstung transportieren können. Die Werften sollten mit den Anlagenbauern zusammenarbeiten, um gegenüber den Energiekonzernen als Kunden auf Augenhöhe zu kommen. Die Regierung sollte zudem darauf dringen, dass die Versorgungsunternehmen einen Teil ihrer Aufträge im Land vergeben. Schließlich profitieren sie von staatlichen Fördermitteln.

In Hamburg steht eine Entscheidung über den Verkauf von Blohm + Voss aus. Ist es richtig, ein Traditionsunternehmen einem Finanzinvestor anzuvertrauen? Wie schätzt die IG Metall Küste das Angebot der Bremer Lürssen-Werft ein?

Geiken: Weder Lürssen noch der britische Finanzinvestor sind bisher auf uns zugekommen. ThyssenKrupp ist als Besitzer von Blohm + Voss in der Verantwortung. Der Konzern muss sich an seine Prinzipien halten und die besten Bedingungen für die Beschäftigten und die Standorte aushandeln. Wichtig für uns und die Betriebsräte ist, dass Standorte und Arbeitsplätze erhalten bleiben.

In den vergangenen Jahren hat die IG Metall stets Mitglieder verloren. Hält der Trend an?

Geiken: Nein, denn erstmals seit 20 Jahren hat sich 2011 die Zahl der Mitglieder erhöht. Sie liegt jetzt bei 2,3 Millionen und hat damit per August um 4000 gegenüber 2010 zugenommen. Bis zum Jahresende könnte das Plus bei 15 000 liegen. Auch im Bezirk Küste mit rund 176 000 Mitgliedern werden wir am Jahresende zulegen. Die Wende ist auch darauf zurückzuführen, dass die IG Metall die Verwaltungsstellen vor Ort gestärkt hat. Dorthin sind 20 Millionen Euro für mehr Personal geflossen, das an anderer Stelle eingespart wurde.

Gilt der Trend auch für die jungen Mitglieder?

Geiken: Ja, weil unsere Themen wie Übernahme nach der Ausbildung, weniger Leiharbeit, Weiterbildung und unser Ja zu den erneuerbaren Energien junge Menschen ansprechen. Mit mehr als 200 000 Mitgliedern unter 25 Jahren ist die IG Metall zur größten deutschen Jugendorganisation geworden.