Nach vielen Problemen wurde die Boeing 787 mit drei Jahren Verspätung ausgeliefert. Europäer starten erst im Jahr 2013 mit Konkurrenzmodell.

Hamburg. Es war einer der wenigen planmäßig eingehaltenen Termine in der Geschichte des Dreamliners: Gestern hat Boeing den ersten Langstreckenjet des neuen Typs 787 an seinen Kunden übergeben - so wie seit einem Monat vorgesehen. Die japanische Fluglinie All Nippon Airways nahm in Seattle die erste der von ihr bestellten 55 Maschinen in Empfang. Die Erleichterung war dem Dreamliner-Programmchef Scott Fancher anzumerken. "Jetzt, da das Flugzeug fertig zur Auslieferung ist, kann das ganze Team feiern", sagte er.

Doch dieser Tag hätte schon vor mehr als drei Jahren kommen sollen. Endlose Probleme plagten die Entwicklungs- und Testphase, die Entwicklungskosten dürften dadurch von ursprünglich geplanten 5,8 Milliarden Dollar nach einem Bericht der "Seattle Times" auf mehr als 15 Milliarden Dollar gestiegen sein, hinzu kommen Verluste durch Strafzahlungen und Preisnachlässe.

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"Bei allen Geburtswehen markiert die Erstauslieferung dieses Flugzeugs aber einen der seltenen Generationssprünge in der Luftfahrt", sagte der Hamburger Branchenexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt. "Im Hinblick auf die Technik, die Wirtschaftlichkeit und den Passagierkomfort ist die 787 revolutionär." Denn sie ist das erste Verkehrsflugzeug, bei dem Rumpf und Flügel nicht mehr aus Metall, sondern aus leichteren und dennoch festeren Kohlefaserwerkstoffen bestehen. Daher soll der Dreamliner 20 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen als ein konventioneller Jet vergleichbarer Größe. Zudem können die Fenster durch die stabilere Außenhaut größer sein als bei bisherigen Flugzeugen, und der Luftdruck in der Kabine ist höher als gewohnt. Er entspricht dem Druck auf einer Höhe von 1800 Metern über dem Meeresspiegel anstatt der üblichen 2400 Meter.

Der Preis für diese Fortschritte war für Boeing jedoch immens. "Man hat versucht, zwei Schritte auf einmal zu gehen", erklärte Großbongardt. "Außer dem neuen Material hat man ein radikal verändertes Produktionsverfahren eingeführt." So hat der US-Konzern einem weltweiten Netz von Zulieferern die Verantwortung für die Entwicklung und Fertigung großer Baugruppen übertragen: Die Flügel stammen aus Japan, die zentralen Rumpfteile kommen aus Italien. Doch die Zusammenarbeit klappte nicht so wie geplant, was immer wieder zu Verzögerungen führte. "Wir werden niemals wieder so große Arbeitsanteile ausgliedern wie bei der 787", versprach Jim Albaugh, Chef der Boeing-Verkehrsflugzeugsparte.

Das ändert nichts daran, dass die Amerikaner beim Dreamliner noch vor erheblichen Herausforderungen stehen: Der Flieger muss sich erst einmal im Liniendienst bewähren, außerdem gilt es, die Produktion auf die vorgesehene Rate von zehn Maschinen pro Monat hochzufahren. Hinzu kommt: Schon jetzt sind mehr als 40 Jets fertiggestellt, von denen mehr als 30 aber "umfangreiche Nachbesserungen" benötigen, so Großbongardt: "Das ist ein Albtraum für das Unternehmen."

Angesichts der Pannenserie habe Boeing die einmalige Chance verpasst, den Rivalen Airbus im Markt der mittelgroßen Langstreckenflieger weit hinter sich zu lassen. "In diesem Segment herrscht zwischen den beiden nun ungefähr Gleichstand", meint der Experte. Zwar ist die Erstauslieferung des ebenfalls aus Kohlefaser gebauten Airbus A350 erst für Ende 2013 geplant und aktuell hat die 787 im Rennen um die Kundenaufträge die Nase mit einem Auftragsbestand von 821 zu 567 Jets vorn, doch auch die etablierte A330 verkauft sich weiter ordentlich.

Vor allem aber macht die A350 den Amerikanern aus einem anderen Grund erheblich zu schaffen: Airbus hat die aus drei Typen bestehende Modellfamilie so dimensioniert, dass ihr Spitzenmodell auch der aus den 1990er-Jahren stammenden Boeing 777 Konkurrenz machen wird. Besonders deren Variante 777-300ER mit 365 Passagierplätzen und einer Reichweite von 14 690 Kilometern habe derzeit auf dem Markt praktisch eine Alleinstellung und sei für den Hersteller daher entsprechend lukrativ. Boeing muss sie nun einer gründlichen Verjüngungskur unterziehen, damit sie gegen die eine Generation modernere A350 eine Chance hat.

Schwierige Jahre stehen dem US-Konzern aber auch beim Dreamliner noch bevor. Manche Branchenkenner gehen davon aus, dass er wegen der erheblichen Kostenüberschreitungen nicht vor dem Jahr 2020 einen Gewinn für Boeing einfliegen wird. Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler allerdings hofft, dass die 787 ein Erfolg wird: "Gerade für einen Markt wie Hamburg bietet diese neue, besonders wirtschaftliche Generation mittelgroßer Jets eine Chance auf mehr Langstrecken-Direktflüge."