Zu Besuch bei Otto Heinrich Steinmeier. An einem Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint

Hamburg. Die Bezeichnung "Unikat" hat ja gern etwas Verschrobenes, Schrulliges, doch falscher könnte man bei Herrn Steinmeier nun wirklich nicht liegen. Hamburgs ältester Kaffee-Agent Herr Otto Heinrich Steinmeier, 81 Jahre jung und seit 1949 im Geschäft, ist ein hanseatischer Kaufmann guter alter Schule. Ein Unikat, eher wohl ein liebenswert altmodischer Solitär. Ein Gentleman, der seinem Besuch freundlich die Frage nach den Mitbewerbern korrigiert: "Wir sagen Kollegen." Mit einer kleinen feinen Kunstpause vor "Kollegen". Einer, der mit routinierter Selbstverständlichkeit über den spitzen Stein stolpert und der über seine Branche mit jahrzehntelang gereiftem Respekt spricht. "In unserem Kaffeehandel herrscht eine Atmosphäre, bei der Tradition und Fairness die Menschen verbunden haben. Deshalb geht man hier auch nicht freiwillig raus."

Hier, das ist das Kontorhaus Pickhuben 6, mitten in der Speicherstadt. Wenige Meter Luftlinie entfernt, in den Konfektionswürfeln der HafenCity, mögen Firmen zu finden sein, deren Produkte und Dienstleistungen von hochtourigen Jungspunden vor allem aus warmer Luft gefertigt werden. Die säen nicht, die ernten nicht, und das Internet oder sonst wer irgendwo ernährt sie trotzdem, warum auch immer.

Herr Steinmeier ist da anders, ganz anders. In seinem Kontor ist die Uhr stehen geblieben, die sich um Pickhuben 6 herum immer hektischer dreht. Kaffee ist Welthandelsgut Nummer zwei, nach Öl, sagt Herr Steinmeier mit viel Stolz in der Stimme. Längst ist Kaffee aber auch ein Spekulationsobjekt, mit dem gezockt wird, dass einem bei der Achterbahnfahrt der Preise schwindlig werden kann. Doch das alles ist draußen, ganz woanders. Eine völlig andere Welt.

Hinter Herrn Steinmeiers Schreibtisch residiert eine mächtige Schrankwand Marke Gelsenkirchener Barock, auf dem sattgrünen Tresor steht ein Transistorradio aus der Nachkriegszeit. Seine letzte Sekretärin sei mit 81 gestorben, das sei nun auch schon wieder 20 Jahre her. Selbst ist hier seitdem der Mann, was auch seine Vorteile hat: "Mich entlässt keiner. Hier fällt auch kein böses Wort. Und sollte man mit irgendjemand mal Differenzen haben, dann geh ich da nicht wieder hin." So einfach kann das sein.

Wo andere Firmenchefs heutzutage eine Lounge Area haben, um den Kunden in coolem Chrom und Leder mit High Potential Small Talk zu narkotisieren, steht bei Herrn Steinmeier gemütliches Wohnzimmermobiliar. Auf dem Tisch grüßt der Firmenwimpel und ein Hapag-Lloyd-Schornstein-Aschenbecher. Maritimes in Öl hängt an der Wand. Erinnerungsstücke an eine Zeit, in der Kaffee noch ein Schluck Luxus war, Lebensart bedeutete und dem Herrn und der Dame von Welt ein verdientes Päuschen vom Alltag versprach. Jeden Moment geht die Tür auf und Ludwig Ehrhard, in Zigarrenqualm gehüllt, kommt hinein und erklärt einem bei einem doppelten Cognac mal eben das Wirtschaftswunder, denkt man sich, im Lehnsessel versunken.

Kaffeehandel ist ein "Persönlichkeitsgeschäft", sagt Herr Steinmeier. Die Internet-Buben in der HafenCity würden ihn bei so einem Wort ungläubig ansehen. In deren Stamm-Cafés hat der Kaffee-Agent noch nie einen Fuß gesetzt. Warum auch? "Der Pappbecher für drei Euro mit einem Keks dabei, das ist es nicht." Mehr zu sagen verbietet ihm die Höflichkeit seiner Branche. Eine Tasse frisch aufgebrühte Handelsware bekommen wir bei ihm aber nicht. Geht nicht, wegen des Röstkaffee-Aromas, das den Rohkaffee beeinträchtigen könnte. Die Tagesdosis Koffein bekommt Herr Steinmeier eh bei seiner Laufkundschaft, berichtet er, bevor er schmunzelnd hinzufügt: "Wir haben nur Alkohol im Büro." Persönlichkeitsgeschäft, schon klar.

Seine Korrespondenz mit dem auf 2011 datierten Rest der Welt verfasst Herr Steinmeier nicht am Computer, sondern auf einer Adler-Schreibmaschine Baujahr 1949. Fünf gleichaltrige Reserve-Adler, nach und nach von Kunden überlassen, warten im Büroschrank darauf, zum Einsatz zu kommen. Sie warten schon sehr lang. Die Adler ist so solide, wie sie schwer ist. Farbbänder gibt es beim Fachhändler des Vertrauens an der Brandstwiete. Die zwei einzigen Zugeständnisse ans späte 20. Jahrhundert sind neben dem Telefon das Fax, zu dem sich Steinmeier durchgerungen hat, und ein Pager, der über Kursschwankungen auf dem Laufenden hält. Mehr muss nicht sein. Geht auch so. Das Internet und andere Neumodigkeiten sitzt Steinmeier hier beim Vermitteln zwischen Ex- und Importeuren einfach aus.

Seine Geschäftspartner sind über die ganze Welt verstreut. Irgendwo ist immer Ernte. Irgendwer verlädt immer die Bohnen, die für ihn die Welt bedeuten, in Säcke und danach in die 20 Tonnen fassenden Container, mit denen Steinmeier seit 1954 bei J. G. Paul Böckmann sein Geld verdient, seit 1980 ist er Alleininhaber und sein einziger Mitarbeiter. Dass seine Provision ausgerechnet am Dollarkurs hängt, gut, es gäbe gerade deutlich Angenehmeres. Doch auf die Frage, wie die Geschäfte so laufen, kommt von ihm kein Jammern und Klagen, sondern ein gediegenes "Auskömmlich, ich bin zufrieden". Er sei zwar verärgert über die momentane Börsentalfahrt, "aber Aktien werden ja nicht alt-erntig. Die erholen sich auch wieder".

Wir sitzen und sinnieren so vor uns hin. Über die richtige Kaffeezubereitung - Handmühle, was sonst, Karlsbader Filter, was sonst. Über den Kontrast der neogotischen Backsteinpracht der Speicherstadt zur HafenCity-Ästhetik. "Wir waren hier gar nicht erbaut", kommentiert Steinmeier die Nachbarschaft. Bei ihm, wo jeder Fensterrahmen Hand- und deswegen Maßarbeit war, ist es "anheimelnd", bei den neuen Nachbarn, das andere, das ist "kalt. Glas, Stein und dazu Beton. Es ist zweckdienlich", findet Steinmeier, "aber schöner ist dieses."

Schön ist auch, wie sehr sein Herz an bleibenden Werten hängt. Stolz zeigt er die Fotos seines "Gutbrod Superior". Er hat noch fünf weitere Oldtimer, doch zur Arbeit fährt er nach drei Tassen Frühstückskaffee aus den Walddörfern lieber "mit der Hochbahn".

Wir haben für unseren Besuch einen ruhigen Tag erwischt, der Pager brummt nicht, das Fax faxt nichts. Zeit genug, um die Blechdosen im Regal zu bestaunen, in denen Steinmeier die vielen Warenproben verstaut, mit denen er seine Kunden besucht. "Hamburger Terminkaffee" steht darauf, rot-weiß, das Stadtwappen in der Mitte. Auch die Dosen sind Unikate, Sammlerstücke, Souvenirs der Terminkaffeebörse, die 1956 in Hamburg eingerichtet, nach einem Jahr aber schon wieder geschlossen wurde. Herr Steinmeier ist der Letzte, der sie noch verwendet, um darin Warenproben zur Begutachtung zu präsentieren. Er ist in vielerlei Hinsicht der Letzte.

Als dann doch das Telefon klingelt, könnte es Bolivien sein, scherzt Steinmeier, die stehen da nun gerade auf. Es ist aber doch jemand anderes. Zeit genug also, um auch noch die kleinen Kaffeepflanzen zu bestaunen, die Herrn Steinmeiers Kaffeedosen-Regal zieren. Selbstgezogen, leicht schwächelnd. Das Klima, das kalkhaltige Wasser machen sie fertig. Kaffeepflanzen sind Sensibelchen. Am größten Strauch hängt nur eine einzige Frucht. Ein Solitär, wie Otto Heinrich Steinmeier, der einmal Pastor werden wollte. "Den letzten Arbeitstag bestimmt der liebe Herrgott", sagt er zum Abschied.