Der Hauptgeschäftsführer des Reederverbandes, Ralf Nagel, spricht über die aktuelle Wirtschaftskrise, Lohnzuschüsse und Piratenangriffe.

Hamburg. Für die deutschen Reeder trüben sich die Aussichten wieder ein. Die Weltwirtschaft lahmt, die Transportpreise geraten unter Druck, die Treibstoffkosten steigen. Gleichzeitig sollen Zuschüsse des Bundes sinken. Das Abendblatt sprach mit Ralf Nagel, dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), über eine drohende Ausflaggungswelle, eine zielgenaue Förderung für in Deutschland ausgebildete Offiziere und einen wirksamen Schutz gegen Piraten.

Hamburger Abendblatt: Herr Nagel, die hohen Schulden der Staaten und der schwache Dollar bremsen die Konjunktur. Jetzt folgte der Börsencrash. Steht die Schifffahrt vor der nächsten Krise?

Ralf Nagel: Nein, die internationale Seeschifffahrt hat eine gute Zukunft. Die Weltbevölkerung nimmt zu, der Wunsch nach Wohlstand und Gesundheit in bisher weniger entwickelten Regionen wächst und wird nachfragewirksam. Die Räume, in denen produziert und konsumiert wird, verändern sich. Und es steht der Anspruch der Weltgemeinschaft, diese Entwicklung so zu gestalten, dass sie nicht zulasten künftiger Generationen geht. Ich bin zuversichtlich, dass die deutschen Reedereien für die Herausforderungen sehr gut aufgestellt sind.

Bis 2015 kommen weitere 162 Riesenfrachter in Fahrt, die mehr als 10 000 Standardcontainer (TEU) laden können. Werden nicht allein durch diese riesige Kapazität die Frachtraten auf ein Niveau gedrückt, das für viele Reeder nicht mehr auskömmlich is t?

Nagel: Zunächst einmal sind die vielen großen neuen Frachter gut für die Konsumenten und die Umwelt. Der Transport des einzelnen Gutes wird billiger, wenn auf einem Schiff mehr transportiert wird. Außerdem wird die Umwelt weniger belastet. Die deutschen Reeder haben in den vergangenen Jahren sehr besonnen neue Schiffe bestellt.

Die Bundesregierung will bei Schiffen unter deutscher Flagge die Zuschüsse zu den Lohnnebenkosten für 2011 halbieren und zögert bei der Hilfe gegen Piraten. Fühlen sich die Reeder von der Regierung noch gut vertreten?

Ralf Nagel: Die Entscheidung der Regierung war zumindest überraschend, selbst für den Maritimen Koordinator der Bundesregierung. Das Parlament hat jetzt geholfen, dass in letzter Sekunde wenigstens für 2010 ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt wurden.

Ist damit alles gut?

Nagel: Nein. Mit den jetzt bereitgestellten Mitteln können lediglich die Anträge für 2010 bedient werden. Tatsächlich steht für 2011 aber nur noch ein Drittel der benötigten Fördersumme bereit.

Das bedeutet, dass der Kostennachteil unter deutscher Flagge für die Reeder größer wird ...

Nagel: ... und weiterhin eine Ausflaggungswelle droht. Der vor allem durch die höheren Personalkosten verursachte Kostenunterschied zwischen einem Frachter unter deutscher und ausländischer Flagge beträgt durchschnittlich 450 000 Euro. Bisher hat der Bund die Hälfte dieser Summe getragen. Jetzt zieht er sich davon zurück.

Welche Folgen hat das?

Nagel: Das Maritime Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung deutscher Seeleute hat damit einen Riss bekommen. Wenn es bei der Haltung des Bundes bleibt, gibt es künftig schlechtere Perspektiven für deutsche Seeleute. Die Reeder haben dagegen bislang alle ihre Ausbildungsversprechen eingehalten. Zwar gibt es bisher keine Entscheidung darüber, ganze Flotten wieder unter ausländische Flaggen zu stellen. Aber wenn sich nichts ändert, werden spätestens im Oktober Entscheidungen fallen. Vorratsbeschlüsse dafür liegen bereits in der Schublade.

Lässt sich noch gegensteuern?

Nagel: Wir schlagen vor, zumindest für dieses und das nächste Jahr die Fördersumme des Bundes konstant zu lassen und die Zeit zu nutzen, die Gelder zielgerichteter einzusetzen.

Wie?

Nagel: Möglich wäre, die Fördergelder auf zwei leitende Mitarbeiter anstatt wie bisher auf fünf zu beschränken. Für die Zuschüsse infrage kommen der Kapitän, der 1. Offizier und der leitende Ingenieur.

Dann wären unter deutscher Flagge nur noch zwei Arbeitsplätze an Bord für Deutsche reserviert?

Nagel: Ohnehin werden Schiffe im internationalen Verkehr mit einer Führungscrew von fünf EU-Europäern gefahren. Deutsche Reeder besetzen ihre Schiffe in der Praxis mit einem deutschen Kapitän und einem weiteren deutschen leitenden Offizier. Das hat keine Kostengründe, sondern ist eine Folge davon, dass es nicht genug deutsche Seeleute gibt. Da die weiteren Offizierspositionen durch Ausländer aus der EU besetzt werden, fließen die Fördergelder an andere europäische Staatsbürger. Das kann nicht der Sinn der Zuschüsse zu den Lohnnebenkosten sein.

Wie soll das verändert werden?

Nagel: Die Fördergelder sollten künftig an eine Ausbildung in Deutschland gebunden sein. Dann kommen sie zum Großteil deutschen Seeleuten oder anderen an deutschen Einrichtungen ausgebildeten europäischen Seeleuten zugute. Und es wäre ein Anreiz für ausländische Interessenten, sich in Deutschland ausbilden zu lassen.

Auch die Bürokratie für die deutsche Flagge soll vereinfacht werden. Warum?

Nagel: Weil es aberwitzig ist, dass ein Reeder mit mehr als zehn Ämtern sprechen muss, wenn er Schwarz-Rot-Gold hissen will. Genauso unmöglich ist es, dass ein Ausländer auf einem Schiff unter deutscher Flagge ein Arbeitsvisum benötigt, damit aber nicht in Deutschland an Land gehen darf, um seine Firma zu besuchen. Dafür braucht der Seemann eine separate Genehmigung. Da muss etwas passieren.

Neben der Diskussion über die Zuschüsse zu den Lohnnebenkosten ist auch die über den Schutz deutscher Schiffe gegen Piraten nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung prüft, ob sie die Beschäftigung von privaten Sicherheitsleuten über Gesetze absichern kann. Eine gute Idee?

Nagel: Zunächst einmal sind bewaffnete Kräfte an Bord zum jetzigen Zeitpunkt der wirksamste Schutz gegen Piraten. Wir brauchen gerade im Indischen Ozean und am Horn von Afrika mehr von ihnen. Der Schutz von Leib und Leben ist auf See genau wie an Land eine hoheitliche Aufgabe. Dies ist auch im Seerechtsübereinkommen völkerrechtlich zwingend vorgeschrieben. Die Reeder haben dabei immer gesagt, dass sie bereit sind, für den Schutz durch Polizei oder Marine zu zahlen.

Hans-Joachim Otto, der Maritime Koordinator der Regierung, geht aber davon aus, dass der Staat hier überfordert ist ...

Nagel: Uns ist klar, dass nicht alle der jährlich 1700 Passagen von deutschen Reedern durch das Krisengebiet abgesichert werden können. Deshalb müssen wir eine Risikoanalyse aufstellen. Bekannt ist, dass vor allem langsame Schiffe, die nur wenig aus dem Wasser ragen, gern angegriffen werden. Es muss ein Konzept für einen effektiven Schutz her. Bisher verzichten das Verteidigungs- und das Innenministerium aber weitgehend auf unsere Mitarbeit. Verständlich ist das nicht.

Was hält der Verband nun von privaten Sicherheitskräften?

Nagel: Mehr als ein Drittel der Reedereien setzt sie schon ein. Aber es bleibt bei einer rechtlichen Grauzone, die leicht von der Bundesregierung aufgelöst werden könnte.

Um welche Grauzone geht es?

Nagel: Man kann nie sicher sein, wie verlässlich die privaten Sicherheitskräfte am Ende tatsächlich sind. Was ist, wenn einer durchdreht und Piraten verletzt oder erschießt? Für alle Handlungen an Bord hat der Kapitän die letzte Verantwortung. Ihm muss geholfen werden. Daher brauchen wir für Deutschland ein Zertifizierungsverfahren ähnlich jenen in Frankreich, Spanien oder auch in Dänemark. Der Maritime Koordinator muss im September sagen, was wann geschieht. Es geht hier schließlich um Menschen, die um ihr Leben und ihre Gesundheit fürchten müssen.