Nach dem Negativurteil der Rating-Agentur S&P droht eine weitere Abwärtsspirale

Hamburg. Die Welt schaut nach der historischen Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit gebannt auf die Reaktion der Finanzmärkte. Nach der rasanten Talfahrt der internationalen Börsen in der vergangenen Woche besteht die Sorge, dass der Verlust der Top-Bonität der flauen Konjunktur in den USA weiter schaden und die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel reißen könnte. Immerhin wankt mit den Vereinigten Staaten ein wesentlicher Eckpfeiler des globalen Finanzsystems.

EZB signalisiert Kauf von spanischen und italienischen Staatsanleihen

Neben Telefonkonferenzen von Vertretern der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G7 und G20) richteten sich die Hoffnungen vor allem auf die Europäische Zentralbank (EZB), die auf dieser Seite des Atlantiks am ehesten zur Beruhigung der übernervösen Investoren beitragen könnte. Gestern am späten Abend signalisierte die EZB den Kauf von italienischen und spanischen Staatsanleihen. Die Bank wolle ihr Anleihenkaufprogramm "aktiv umsetzen", teilte EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nach einer mehrstündigen Telefonkonferenz in Frankfurt am Main mit. Damit soll den angeschlagenen Anlegern das Signal gegeben werden, dass die Euro-Zone ihre Investitionen absichert. Der Ankauf ihrer Anleihen könnte Rom und Madrid Luft verschaffen, bis ein erweiterter europäischer Rettungsfonds geschaffen ist. Die EZB begrüßte die Sparmaßnahmen und Reformankündigungen der beiden Länder und drang auf eine "entschlossene und zügige" Verwirklichung. Die EZB-Spitze begrüßte ausdrücklich die gemeinsame deutsch-französische Erklärung dazu. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy bekräftigten darin ihr Engagement, die Beschlüsse des EU-Sondergipfels von Ende Juli "vollständig umzusetzen". Dabei war unter anderem der Aufkauf von Altschulden am Sekundärmarkt für 20 Milliarden Euro durch den Euro-Rettungsschirm EFSF festgelegt worden.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Tom Mayer, rechnet für heute dennoch mit weiteren Kurseinbrüchen an den Börsen. "Schlechte Nachrichten sind immer unangenehm für Märkte", sagte Mayer der "Bild am Sonntag". Er erwarte zwar nicht einen weltweiten Börsencrash, aber: "Es könnte Verluste geben." Mit einem Ausverkauf von US-Staatsanleihen rechnet der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn.

Als Erste reagierten gestern die Börsen im Nahen Osten auf die Herabstufung der US-Bonität. In Dubai brach der Leitindex kurzzeitig um mehr als fünf Prozent ein, und auch andere Börsen in der Golfregion öffneten mit Verlusten. In Israel wurde der Handelsstart verschoben, nachdem der Leitindex TA-25 zuvor um mehr als sechs Prozent gefallen war.

Die Rating-Agentur Standard & Poor's (S&P) hatte am späten Freitagabend Ortszeit den USA die Bestnote "AAA" entzogen und die Bonität auf "AA+" herabgestuft. Die Agentur begründete dies mit dem jüngsten Schuldenabkommen. Die angepeilten Einsparungen reichten zur Konsolidierung nicht aus. Außerdem wurde die Berechenbarkeit der US-Politik infrage gestellt. Die anderen großen US-Rating-Agenturen Moody's und Fitch halten bislang an der Bestnote für die USA fest.

Rating-Agentur kritisiert das politische Hickhack um die Schuldenbremse

"Die Politik am Rande des Abgrunds in den vergangenen Monaten zeigte klar, dass Amerikas Führung und politische Entscheidungsfindung weniger stabil, effektiv und berechenbar ist, als wir angenommen haben", urteilte S&P. Nach wochenlangem Tauziehen hatten sich Demokraten und Republikaner auf eine Erhöhung des Schuldenlimits von derzeit 14,3 Billionen Dollar verständigt. Dies soll mit Sparmaßnahmen in Höhe von rund 2,5 Billionen Dollar einhergehen. S&P hält hingegen Einsparungen in Höhe von vier Billionen Dollar für notwendig.

Herabstufung dürfte die USA rund 100 Milliarden Dollar zusätzlich kosten

Konsequenz eines schlechteren Ratings können höhere Zinsen für die Aufnahme frischen Geldes sein: Die USA müssten dann neben der Tilgung ihrer riesigen Schulden zusätzlich eine wachsende Zinslast schultern. Das könnte die Finanzierungskosten für den Staat um etwa 100 Milliarden Dollar steigern. Diese Entwicklung dürfte längerfristig auch in einen allgemeinen Zinsanstieg in den USA münden und so zulasten der Verbraucher gehen, die am Markt Kredite aufnehmen. Sie aber tragen die Wirtschaftsleistung der größten Volkswirtschaft zu 70 Prozent und konsumieren traditionell gern auf Pump. Daher stellen die höheren Zinsen auch eine Gefahr für die ohnehin flaue Konjunktur in den Vereinigten Staaten dar.

Die Regierung von US-Präsident Barack Obama reagierte verärgert auf die Herabstufung. Aus Regierungskreisen hieß es, man sei der Ansicht, dass die Analyse der Rating-Agentur "fundamentale Fehler" aufweise. Sie habe sich um zwei Billionen Dollar verrechnet. Standard & Poor's wies das zurück.

Größter Gläubiger China kritisiert "Schuldensucht" der USA

Ungewöhnlich scharfe Kritik an den USA kam aus China. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua schrieb: "Amerika muss für seine Schuldensucht und das kurzsichtige politische Gezerre bezahlen." Als größter Gläubiger Amerikas habe China jedes Recht zu verlangen, "dass die USA ihre strukturellen Schuldenprobleme in den Griff bekommen und die Sicherheit chinesischer Dollar-Anlagen sicherstellen". Gigantische 1,15 Billionen Dollar hat das Reich der Mitte in US-Schatzanleihen investiert. Außerdem stellte Peking die führende Rolle des Dollars infrage. Es müsse über Alternativen zum Dollar als Reservewährung nachgedacht werden.

Streit um Aufstockung des Rettungsschirms flammt wieder auf

Im Windschatten des US-Schuldendebakels streitet die EU schon wieder über die Instrumente zum Kampf gegen die Euro-Schuldenkrise. Heftigen Gegenwind spürt vor allem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der eine Überprüfung aller Elemente des Rettungsschirms EFSF einschließlich dessen finanzieller Ausstattung verlangt hatte. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Barroso vor, er habe mit seinen Äußerungen zu einer Aufstockung des Euro-Rettungsschirms die Märkte verunsichert. "Die Krise wird durch das, was Barroso sagt, eher beschleunigt", sagte Gabriel im ZDF. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok rügte: "Brüssel hat in dieser Woche nicht geschickt reagiert, weil es die Nerven verloren hat."