Norddeutsche Forschungsinstitute wollen Wachstumsprognosen senken. Abschwächung bei Export erwartet. Aktienmarkt kommt nicht zur Ruhe.

Hamburg. Für Aktienbesitzer war es eine schwarze Woche. Fünf Tage lang kannten die Kurse nur eine Richtung: abwärts. Innerhalb einer Woche verlor der Deutsche Aktienindex (DAX) mehr als 1000 Punkte oder 14 Prozent. Auch am Freitag konnten die Anleger nur kurz aufatmen. Positive US-Arbeitsmarktdaten hellten die Stimmung nur vorübergehend auf. Am Ende schloss der DAX mit 6236 Punkten. Gegenüber dem Vortag ist das erneut ein Minus von 2,8 Prozent. Unterdessen versucht die Politik, die Märkte zu beruhigen. EU-Währungskommissar Olli Rehn schließt eine Aufstockung des europäischen Rettungsschirms (EFSF) nicht mehr aus. Das hatte zuvor schon EU-Kommissionspräsident Barroso ins Gespräch gebracht.

Der Börsencrash hat inzwischen erste Auswirkungen auf die Wirtschaft. Konjunkturforscher überlegen, ihre Wachstumsprognosen für 2011 nach unten zu korrigieren. Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen zur aktuellen Krise an den Finanzmärkten.

Ist jetzt der Aufschwung in Deutschland in Gefahr?

Generell ist die Gefahr einer weltweiten Rezession gestiegen. "Wenn es dazu kommt, wird sich auch Deutschland von dieser Entwicklung nicht abkoppeln können", sagt der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Joachim Scheide. Der Konjunkturexperte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Jörg Hinze, sieht die deutsche Konjunktur zwar generell auf einer soliden Basis. Sollten die USA als weltweit wichtigste Wirtschaftsmacht jedoch in die Rezession abgleiten, werde die gesamte Welt die Folgen spüren - auch Deutschland. Angesichts der dramatischen Entwicklung an den Aktienmärkten überlegen beide norddeutschen Wirtschaftsinstitute, ihre gerade erst heraufgesetzten Prognosen für das deutsche Wirtschaftswachstum wieder nach unten zu korrigieren. "Es sieht so aus, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wieder nach unten zeigt", sagt Scheide. Die Commerzbank hat ihre Prognose zum Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2011 bereits von 2,5 Prozent auf zwei Prozent gesenkt.

Welche Auswirkung haben die Turbulenzen auf deutsche Exporte?

"Wegen der schwierigen weltwirtschaftlichen Lage wird sich die Zunahme der deutschen Ausfuhren auf sieben bis neun Prozent abschwächen", prognostiziert Jens Nagel vom Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). Betroffen seien vor allem die exportorientierten Maschinenbauer, Autohersteller sowie die chemische Industrie. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres hatten die Zuwächse noch bei 19 Prozent gelegen. "Sollte es allerdings zu einer Rezession in den USA kommen, sind alle Vorhersagen Makulatur", meint Nagel.

Welche Ereignisse haben die tagelangen Kursstürze ausgelöst?

Mit der Schuldenkrise in Europa und den USA schienen sich die Märkte abgefunden zu haben, denn trotz dieser seit Monaten schwelenden Ereignisse erreichte der DAX Anfang Mai mehr als 7500 Punkte. Auch sich verschlechternde Konjunkturaussichten wurden lange Zeit ignoriert. Als aber dann am Montag ein wichtiger Einkaufsmanagerindex der USA schlechter ausfiel als erwartet, drehte die Stimmung komplett. "Ein solches für Außenstehende schwer nachvollziehbares Verhalten ist für die Börse nicht ungewöhnlich", sagt Uwe Lang, Herausgeber eines Börsenbriefs. Da die Märkte stark vernetzt sind, werden sofort alle Börsenplätze weltweit von einem solchen Stimmungsumschwung erfasst. "Die Computerprogramme, die zum Handel von Aktien genutzt werden, verstärken das noch", sagt Finanzexperte Wolfgang Gerke. "Bei Unterschreitung bestimmter Kurse werden die Aktien automatisch verkauft." Nach Gerkes Einschätzung hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schließlich "das Fass zum Überlaufen gebracht". Er hatte, nur wenige Tage nachdem ein Rettungspaket für Griechenland geschnürt wurde, eine Aufstockung des Euro-Rettungsfonds gefordert und die Börsen stark verunsichert. "Der Mann sollte über seinen Rücktritt nachdenken", sagt Gerke.

Wie werden sich die Aktienmärkte künftig entwickeln?

Die Lage wird unsicher bleiben, "bis die Staatsschuldenkrise eingedämmt ist", sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Nach seiner Einschätzung kann das durch eine erneute Aufstockung des Rettungsfonds oder die Ausgabe gemeinsamer Staatsanleihen erreicht werden. "Es gibt dann keine Peripherieanleihen wie zum Beispiel aus Griechenland oder Portugal mehr, gegen die sich das Misstrauen der Anleger richten könnte." Für den Rest des Jahres wird sich der DAX in einer Spanne zwischen 6000 und 7600 Punkten bewegen, erwartet die Commerzbank.

Lohnt es jetzt noch, sich von seinen Aktien zu trennen?

"In panikartigen Situationen wie jetzt sollen Privatanleger nicht handeln", rät Gerke. Wer sich von seinen Papieren trennen will, kann dafür die kommende Erholungsphase nutzen. "Nach den Kursstürzen seit Montag ist eine Erholung überfällig", sagt Uwe Lang. Nach der Erholung rechnet er aber mit neuen Tiefs an der Börse. "Die Phase der Unsicherheit wird sicherlich zwei, drei Monate andauern", glaubt Lang.

Kann man jetzt günstig in den Aktienmarkt einsteigen?

Das lohnt sich nur für eine kurzfristige Spekulation auf die Erholung des DAX. Dazu kauft man den gesamten Index mithilfe eines ETF-Fonds auf den DAX, um ihn nach der Erholung wieder zu verkaufen. Denn mit weiteren Schocks für den Aktienmarkt muss gerechnet werden, erwartet Krämer. Für langfristige Anleger besteht deshalb keine Eile, jetzt schon wieder in den Aktienmarkt einzusteigen. Zwar sind die deutschen Aktien günstig bewertet. und "die Unternehmen verfügen auch noch über einen hohen Auftragsbestand, aber die Perspektiven haben sich verschlechtert", sagt Andreas Rees, Chefvolkswirt der HypoVereinsbank. "Da die Börse gern übertreibt, können sich auch noch günstigere Kurse ergeben", sagt Gerke.

Welches sind derzeit noch sichere Anlagemöglichkeiten?

Eine sichere Alternative zum Aktienmarkt ist das Tages- oder Festgeldkonto. Die Verzinsung liegt bei Anbietern wie der Volkswagen Bank oder der ING-DiBa bei 2,5 Prozent. Für ein einjähriges Festgeld bieten die IKB direkt und die Bank of Scotland drei Prozent Zinsen. Damit kann zumindest die Inflationsrate ausgeglichen werden. Reale Wertzuwächse sind nicht möglich. Deutsche Staatsanleihen bringen auch kaum noch Zinsen, und die hochverzinsten Papiere von Griechenland, Spanien oder Portugal sind zu riskant.

Sollte man jetzt noch in Gold investieren?

Die Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg des Goldpreises auf 1800 bis 2000 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) bis zum Jahresende. "Angesichts negativer Realzinsen verpassen Anleger nichts, wenn sie in Gold investieren, das keine Zinsen abwirft", sagt der Hamburger Fondsmanager Nico Baumbach. "Wir raten zu einem Anteil von Edelmetall im Depot von fünf bis zehn Prozent. Für pessimistische Anleger kann auch ein Anteil von 15 Prozent sinnvoll sein." Solange die Staatsschuldenkrise ungelöst bleibt und die Notenbanken nicht deutlich die Zinsen anheben, bleiben die Aussichten für Gold günstig.

Können die Verbraucher vom fallenden Ölpreis profitieren?

Der Ölpreis gilt als Fieberkurve der Wirtschaft. Eine hoher Preis spricht für eine boomende Konjunktur. Mit der Eintrübung der Wachstumsaussichten hat sich auch der Ölpreis verbilligt. Benzin, Diesel und Heizöl müssen also günstiger werden. Davon geht der Hamburger Energie Informationsdienst (EID) aus. "Schließlich ist der Preis für die für Europa wichtige Sorte Brent allein in dieser Woche um zehn Dollar gefallen", sagt EID-Chefredakteur Rainer Wiek. Am Freitag lag der bundesweite Durchschnittspreis bei Superbenzin bei 1,58 Euro und bei Diesel bei 1,44 Euro. Wiek erwartet, dass die Preise an den Tankstellen und für Heizöl jetzt weiter sinken. Beim Kauf von Heizöl sei aber zu bedenken, dass der zuletzt verlangte Preis für 100 Liter von mehr als 80 Euro (bei der Abnahme von 3000 Litern) ohnehin schon relativ hoch gewesen sei.