100 Milliarden Euro an Wert vernichtet. Angst vor Konjunktureinbruch und Schuldenkrise

Hamburg. Die Lage am deutschen Aktienmarkt verschärft sich immer mehr. Die Sorge um eine deutliche Eintrübung der Konjunktur weltweit setzte dem Deutschen Aktienindex (DAX) am siebten Tag in Folge zu. Das wichtigste deutsche Börsenbarometer mit 30 international ausgerichteten Unternehmen sank gestern um 3,4 Prozent auf 6415 Punkte.

Die Verluste der vergangenen Tage habe den Kurswert der 30 Firmen um knapp 100 Milliarden Euro geschmälert. Dies entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung von Neuseeland. Der DAX erreichte ein neues Jahrestief und hat allein seit Wochenanfang rund 850 Punkte verloren. Nach dem Erdbeben in Japan im Frühjahr war der Markt ebenfalls abgestürzt, doch damals betrug das Minus nur 500 Punkte innerhalb von zwei Tagen, bevor es dann wieder nach oben ging - allein das zeigt schon, dass die Lage diesmal wesentlich dramatischer ist.

"Die Reaktion der Börse ist sicher etwas übertrieben, aber gleichzeitig zeigt sich, dass sich die Lage grundlegend geändert hat", sagt Matthias Thiel vom Hamburger Bankhaus M.M.Warburg & CO. "Die vielen Konjunkturindikatoren zeigen, dass sich die Erwartungen der Wirtschaft weltweit verschlechtert haben." Das betreffe die dynamischen Schwellenländer ebenso wie die USA und Europa. Noch rechnen die meisten Experten damit, dass die Gewinne der DAX-Konzerne im nächsten Jahr erneut um 13 Prozent steigen werden. "Das halte ich für zu ambitioniert", sagt Thiel. Er rechnet damit, dass die Überschusserwartungen reduziert werden. Erste Korrekturen nach unten hat es bereits gegeben.

Auch Jean-Claude Trichet sorgte für Verunsicherung an den Märkten. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) befürchtet, dass die Wirtschaft im Euro-Raum ins Stocken gerät, was auch die Staatsschuldenkrise verschärfen würde. Das zeigt sich an den Renditen italienischer Staatsanleihen. Nach der Rede Trichets, der den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB bestätigte, waren sie zwar kurzzeitig wieder unter sechs Prozent gesunken. Wenig später lagen sie jedoch wieder bei mehr als 6,2 Prozent. Würde das Land jetzt neue Schulden aufnehmen, wäre das der zu zahlende Zinssatz für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit. Anfang Juli waren es noch weniger als fünf Prozent. "Die Rettung Griechenlands hat für Italien und Spanien keine Entspannung gebracht", sagt Thiel. Sollten die Zinsen auf diesem Niveau verharren, werde sich die Staatsschuldenkrise weiter verschärfen. Wie weit der DAX noch fallen kann, vermag er nicht zu sagen.

Doch die Gefahr droht nicht nur von steigenden Renditen. Inzwischen droht der gesamte Markt für Staatsanleihen zu kollabieren, und das, obwohl der Markt für italienische Staatstitel der drittgrößte der Welt ist. "Die Nachfrage war zeitweise äußerst dünn", sagt Patrick Legland, Chefstratege für festverzinsliche Anlagen bei der Société Générale. "Wenn Investoren fürchten müssen, dass sie ihre Anleihen nur noch mit Mühe verkaufen können, dann werden sie sie aber wahrscheinlich auch gar nicht erst kaufen", sagt er.

Unterdessen verstärkt die Politik ihre Bemühungen zur Beruhigung der Lage. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso biss in Berlin mit seinem Vorschlag auf Granit, den inzwischen 440 Milliarden Euro schweren Krisenfonds EFSF weiter aufzustocken. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Staaten forderte Barroso die Regierungen zu einer "raschen Überprüfung aller Elemente des EFSF" auf: Die Regierungen müssten sicherstellen, dass der Fonds "über die Mittel verfügt, um Ansteckungsgefahren zu bekämpfen". Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums wies die Idee Barrosos zurück und warnte davor, eine Debatte aus der Zeit vor dem Krisengipfel neu zu beleben.