Streik am Abend abgesagt. 400 000 Reisende waren stundenlang im Ungewissen

Hamburg. Statt Urlaubsvorfreude Zittern bis in den Abend: Ein beispielloses juristisches Tauziehen um den ersten flächendeckenden Fluglotsen-Streik in Deutschland hat gestern Hunderttausende Reisende in Atem gehalten. Viele von ihnen wollten mit ihren Familien in die Sommerferien starten, doch bis 20.35 Uhr blieb unklar, ob die Flugzeuge tatsächlich wie geplant abheben konnten.

Dann die erlösende Nachricht: Die Fluglotsen sagten den für heute geplanten Streik ab. Der Verhandlungsführer der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), Dirk Vogelsang, sagte, man habe sich wegen der fortgeschrittenen Zeit zu diesem Schritt entschlossen. Weder Passagiere noch Flughäfen oder Airlines sollten nachts im Ungewissen gelassen werden.

Die GdF wollte an diesem Donnerstag zwischen 6 und 12 Uhr den gesamten deutschen Luftraum lahmlegen, um eine Lohnerhöhung durchzusetzen. Allein auf dem Hamburger Flughafen hätten dann 145 Maschinen mit rund 14 500 Fluggästen weder starten noch landen können. In ganz Deutschland wären etwa 400 000 Reisende von dem Ausstand betroffen gewesen.

Um dies zu vermeiden, zog der Arbeitgeber, die Deutsche Flugsicherung (DFS), vor Gericht - und konnte am späten Mittwochnachmittag einen ersten Erfolg erzielen. Das Arbeitsgericht Frankfurt verbot den Streik per einstweiliger Verfügung. Doch die Gewerkschaft ging zunächst in Berufung. Die Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht wurde für 21.30 Uhr angesetzt. Eine Entscheidung wäre möglicherweise erst weit nach Mitternacht gefallen. Dies, so die GdF, habe den Ausschlag für die Aussetzung des Streiks gegeben. Ob ein neuer Termin angesetzt wird, blieb zunächst unklar. Ein Sprecher sagte lediglich: "Unabhängig vom noch anstehenden Urteil wird es auch mit Sicherheit keine Arbeitskampfmaßnahme am Freitag geben."

Auch ohne Streik sei der wirtschaftliche Schaden bereits groß, sagte DFS-Arbeitsdirektor Jens Bergmann. Fluglinien wie Condor, TUI oder Air Berlin hatten sich darauf vorbereitet, im Falle eines Ausstands Flüge nach Möglichkeit später oder schon früher starten zu lassen. Bei TUI wären nach eigenen Angaben 144 Flüge betroffen gewesen; der Reiseveranstalter hatte für den Streikfall bereits einen Ersatzflugplan ausgearbeitet. Politiker kritisierten die Streikdrohung der Fluglotsen scharf. "Sich ausgerechnet eine Hauptferienreisewoche herauszupicken, um einen solchen Streik durchzuführen, ist eine Aktion auf dem Rücken vieler Urlauber", sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU).

Die GdF will um 6,5 Prozent erhöhte Gehälter für die Fluglotsen durchsetzen, die schon jetzt durchschnittlich 10 000 Euro im Monat verdienen. Der Arbeitgeber bot 3,2 Prozent mehr an und eine Einmalzahlung. Neben der Besoldung geht es auch um fundamentale Veränderungen - etwa Arbeitsbedingungen oder die Eingruppierung von Mitarbeitern. Vor dem Arbeitsgericht monierte die Arbeitgeberseite zahlreiche Forderungen der Gewerkschaft als nicht zulässig, weil sie Manteltarifvereinbarungen berührten. Die Fluglotsen verlangen zum Beispiel, dass neue Mitarbeiter schon nach sechs Monaten ein Recht auf einen besser dotierten Aufgabenbereich haben sollen.