Die letzten Handwerker ihres Gewerks. Jörn Eggerstedt führt die traditionsreiche Sattlerei in Nienstedten bereits in vierter Generation.

Hamburg. Die Crème de la Crème der norddeutschen Reiter gehört zu seinen Kunden: Der preisgekrönte Thomas von Samson vom Gut Anakenenhof bei Pinneberg, Uwe Sauer, Olympiasieger vom Lindenhof in Seeth-Ekholt bei Elmshorn oder Martin Christensen vom Tannenhof - sie alle zählen zur Elite der deutschen Dressurreiter, verbringen täglich Stunden im Sattel und verlassen sich auf die Erfahrung von Jörn Eggerstedt. Der Sattler aus Nienstedten strahlt nicht nur die Ruhe aus, die für die Arbeit mit Pferden hilfreich ist, sondern kann auch auf eine mehr als 100-jährige Tradition seines Handwerksbetriebs zurückblicken.

Sein Urgroßvater Julius Eggerstedt hat bereits 1891 eine Sattlerei am Marktplatz in Nienstedten gemeinsam mit seiner Frau Anna gegründet. "Damals spielten Naturmaterialien wie Leinen und Wolle für die Füllung des Sattels noch die Hauptrolle", weiß Jörn Eggerstedt über die Zeit, als Pferde noch das Straßenbild in Hamburg beherrschten. Der Gründer fertigte vor allem Zaumzeug für Kutschen, die Reiter kauften bei ihm aber auch Kandaren und Trensen. 1904 zog Julius Eggerstedt mit dem Betrieb in die Georg-Bonne-Straße, das Eckhaus, in dem sein Urenkel bis heute ein Ladengeschäft betreibt und die Reiter berät.

Zwar ist der alte Kohleofen aus der Werkstatt verschwunden, dafür sind die Werkzeuge weitgehend die gleichen geblieben. Auf dem Arbeitstisch liegen Nähahlen, Sattlernadeln und intensiv nach neuem Leder duftende Riemen und Gurte. An der Wand hängen die Sättel, auf angeklebten Zetteln hat Eggerstedt die Wünsche der Kunden notiert: Hier muss eine neue Strippe für den Gurt angenäht werden, dort soll der Chef ein neues Kopfeisen einbauen, Stütze für den vorderen Teil des Sattels, der hinter dem Widerrist des Pferdes auf dessen Breite und Neigung angepasst werden muss. Die Anfertigung neuer Sättel lohnt sich nicht mehr, daher lebt Eggerstadt vornehmlich von den Reparaturen und Anpassungen der Produkte großer Hersteller wie Passier.

Auch wenn die Werkstatt wie ein Relikt aus vorindustrieller Zeit anmutet, in der Manufakturen statt Fabriken die Städte beherrschten - die Arbeitsweise des Sattlers hat sich seither stark verändert. "Heute sind die Kunden Sportprofis, früher statteten wir die Militärpferde aus", sagt Eggerstedt.

Das Umfeld, in dem der 41-Jährige arbeitet, wird dadurch auch immer exklusiver: die Dressurpferde, denen Eggerstedt das Leben einfacher macht, erreichen schnell Werte von 90 000 Euro, und Kunden wie der Hamburger Polospieler Thomas Winter reisen bei dieser auch für die Tiere sehr anstrengenden Sportart gleich immer mit einer ganzen Reihe von Pferden von Turnier zu Turnier. Inzwischen verlangt auch der Beruf des Sattlers einiges an Mobilität: Während seine Vorfahren noch die Wagen für die benachbarte Elbschloss-Brauerei in Schuss hielten und etliche Kunden einfach vorbeigeritten kamen, ist Jörn Eggerstedt heute fast täglich in den renommierten Ställen ganz Norddeutschlands unterwegs. Wenn ein Sattel drückt, sieht der Profi am lebenden Objekt am besten, wo die Schwachstellen der Auflage sind. Er tastet den Rücken des Pferdes ab und polstert den Sattel entsprechend auf. "Sonst drohen Verspannungen und die Leistungsfähigkeit des Pferdes leidet erheblich."

Das Gespür für das Wohlbefinden der Reittiere hat sich Eggerstedt im Laufe seines Berufslebens angeeignet. Zunächst lernte er Reitsport- und Autosattler bei der Firma Weinhold, wurde anschließend 1989 Bundessieger im Autosattlerhandwerk. Neben seinem Vater arbeitete er zwischen 1991 bis 2001 als Geselle im elterlichen Betrieb, der von Generation an Generation gegeben worden war. 2001 stieg er dann als Mitinhaber in die heutige Reitsportsattlerei ein.

Während sich in heutiger Zeit etliche Sattler auf Arbeiten für Cabrios oder Boote spezialisiert haben, gibt es im Norden nur noch einige wenige Reitsportsattler. Obgleich Eggerstedt neben den Aufträgen aus dem Pferdesport auch noch Arbeiten für den Fitness-, Friseur- oder medizinischen Bereich erledigt und Gürtel für die Hamburger Modemarke Thomas I-Punkt fertigt, hält er die wirtschaftliche Zukunft seines Berufs für unsicher.

Ob es sich in ein paar Jahren noch lohnt, von Hand Leder zu nähen, während große Sattelhersteller günstig in Asien produzieren lassen, ist dabei nur die eine Frage. Auch die Nachfolge in der Firma steht noch in den Sternen. Eggerstedts Tochter Jolina verbringt zwar viel Zeit in der Werkstatt. An ihre berufliche Zukunft denkt sie dabei aber wahrscheinlich noch nicht. Sie ist erst drei Jahre alt.