Weltgrößtes Netzwerk bietet ab sofort Videochat. Auch Google hat dieses Instrument auf seiner Plattform installiert. Kampf um Mitglieder.

Hamburg. "Nice", schreibt MamunZz ShadowZz, "Excelente", schwärmt Gustavo A Os, "cool", freut sich Karen Ranzenbach. Erst vor wenigen Stunden hat Facebook seinen Videochat aktiviert. Zahlreiche Freunde hat das neue Instrument in der weltweiten Facebook-Gemeinde aber jetzt schon. Kurz die Software installiert, ein kleines Kamerasymbol angeklickt, schon öffnet sich ein Fenster, in dem man seinen Facebook-Freund sieht. Das Gespräch läuft so ab wie beim Telefonieren, nerviges Tippen fällt weg, dazu kann man sich live anlächeln und auf das Smiley-Symbol verzichten.

Der gemeinsam mit dem Internettelefon-Spezialisten Skype entwickelte Videochat-Dienst werde in den kommenden Wochen für alle Nutzer verfügbar sein, kündigte Facebook gestern an. Interessierte Mitglieder können die Funktion auch sofort für sich freischalten, wenn sie auf die Adresse www.facebook.com/videocalling gehen. Auch ihre Freunde, die sie anrufen, können dann sofort die Funktion nutzen.

Facebook gelingt mit dem Videochat ein weiterer großer Schritt zur weltumspannenden Kommunikationszentrale. 750 Millionen Mitglieder zählt das Netzwerk inzwischen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ließ diese Zahl gestern übrigens ganz nebenbei fallen, als er den Videochat vorstellte. "Wir haben das bisher nicht verkündet, weil wir es nicht für so relevant hielten." Schließlich werde es in Zukunft nicht mehr darum gehen, wer die meisten Nutzer hat, sondern wie nützlich man für sie wird.

Gestern stellte der Harvard-Absolvent gleich noch eine weitere Funktion vor: Facebook-Nutzer haben künftig die Möglichkeit, mit mehreren Freunden gleichzeitig im Textmodus zu chatten. Damit könne man zum Beispiel besser Ausflüge oder andere Termine absprechen. Facebook habe an den Neuerungen ein halbes Jahr lang gearbeitet, in den kommenden Wochen und Monaten werde es weitere Ankündigungen geben. Laut dem Technologieblog "TechCrunch" arbeitet Facebook etwa an einer eigenen Plattform für den App-Download, mit der das Netzwerk mit Apple konkurrieren könnte.

Zuckerberg hatte schon vor Jahren seine Vision skizziert: Facebook als "soziale Schicht", die das gesamte Leben seiner Mitglieder durchzieht. Kommunikation unter Freunden, Film- oder Restaurant-Empfehlungen, Modegeschmack - das alles sind Themen, bei denen sich die Menschen intensiv miteinander austauschen, dafür brauchen sie eine Gemeinschaft, sagt Zuckerberg, auch im Internet. Mit seiner zweiten Grundthese - die Menschen wollen immer mehr Privates öffentlich machen - eckte der heute 26-Jährige hart bei Datenschützern und auch bei den eigenen Kunden an und lernte, geduldiger zu werden.

Eine Funktion, die Facebook-Freunde automatisch über Produktkäufe eines Nutzers im Internet informierte, wurde nach einem Aufschrei unter den Mitgliedern schnell wieder gekappt. Aber auch die zahlreichen Bedenken in Sachen Privatsphäre können die Internetfans nicht abhalten: Allein in Deutschland haben sich 20 Millionen Menschen ein Profil auf Facebook gegeben - mit Namen, Geschlecht, Geburtstag, Foto und beliebig vielen weiteren Infos wie zu Religion, sexueller Orientierung oder zum Beziehungsstatus.

Das äußerst rasante Wachstum von Facebook, seine Machtfülle als Inhaber von Milliarden wertvoller Informationen über seine Mitglieder feuern den Wettbewerb der sozialen Netzwerke an wie nie zuvor. Denn nach Xing, StudiVZ oder Twitter versucht es jetzt auch Google mit einer eigenen Facebook-Alternative. Das Netzwerk Google+ ist bisher zwar nur für eine begrenzte Zahl von Teilnehmern freigeschaltet, bietet aber ebenfalls Videotelefonie. Außerdem setzt der Suchmaschinenbetreiber bei seinem Netzwerk auf eine bessere Kontrolle über die Privatsphäre. Die Mitglieder können ihre Kontakte von Anfang an in verschiedene "Kreise" einsortieren - etwa Freunde, Verwandte, Kollegen - und einschränken, wer was von ihren Fotos oder Mitteilungen sehen kann. Allerdings stößt Google spät zur Netzwerk-Party dazu: Schließlich spricht die Zahl der Facebook-Nutzer für sich. Und in der Testphase von Google+ ist ausgerechnet Mark Zuckerberg bisher der populärste Nutzer.

Das ist Google+

"Man steht zu unterschiedlichen Leuten in unterschiedlichen Beziehungen", erläuterte der für Softwareentwicklung zuständige Google-Manager Vic Gundotra bei der Vorstellung des neuen Netzwerks. Im richtigen Leben teile man das eine mit Freunden von der Uni, anderes mit den Eltern - "und fast nichts mit dem Chef", argumentierte er. "Das Problem ist, dass heute jeder im Web den Stempel ,Freund' aufgedrückt bekommt und das Teilen von Inhalten unter diesem Freundschaftsbrei leidet."

Mit diesem Seitenhieb bezog sich Gundotra offenbar darauf, dass viele Facebook-Nutzer Schwierigkeiten haben, ihre Nachrichten nur an bestimmte Gruppen von Menschen zu richten. Dafür kann man zwar auf Facebook die sogenannten Gruppen einrichten, es ist aber unklar, wie viele Menschen diese Funktion nutzen. Bei Google können die eigenen Kontakte nun in sogenannte Circles (Kreise) eingeteilt werden. Familie, Arbeitskollegen, Gourmets oder HSV-Fans - jeder kann seine Bekannten und Verwandten so kategorisieren, wie er möchte. Auf Basis dieser Schubladen entscheidet der Nutzer dann, welche Informationen er mit wem teilt.

Grundsätzlich muss man ein Google-Konto besitzen, um den neuen Dienst zu nutzen. Die ersten Kontakte für das persönliche Beziehungsgeflecht empfiehlt Google+ dann auf Basis des Adressbuchs von Google Mail und anderer im Kontaktmanager gespeicherter Datensätze. Ein direkter Import von Facebook ist aber nicht möglich.

Eine weitere, neue Funktion ist "Sparks" (Funken), eine Art integrierter Lieferdienst von Neuigkeiten zu bestimmten Themen. Der Nutzer gibt Begriffe wie "Fotografie" oder "Handball" in eine Suchmaske ein, erhält dann automatisch passende Nachrichten und kann sich mit seinen Freunden über diese Themen unterhalten. Hier kann Google mit seinen bestehenden Angeboten YouTube und News bereits auf eine Fülle von Inhalten zurückgreifen.

Von Skype abgeguckt wurde ein Videochat namens "Hangouts", an dem bis zu zehn Mitglieder des neuen Netzwerks teilnehmen können. Daneben gibt es noch eine Gruppenchatfunktion ohne Video namens "Huddle", die vor allem für den Informationsaustausch unterwegs gedacht ist.

Google versucht schon mindestens seit 2009, soziale Netzwerkdienste aufzubauen. Bislang aber ohne nennenswerten Erfolg. Dazu gehört auch der Dienst Buzz, der dem E-Mail-Angebot von Google angegliedert ist. Buzz führte aber dazu, dass die Nutzer mit anderen E-Mail-Kontakte teilten, bei denen sie das gar nicht wollten. Google willigte deshalb schließlich ein, dass der Datenschutz von unabhängiger Seite jedes Jahr überprüft wird. Ein weiterer Versuch im Bereich soziale Vernetzung, Google Wave, wurde im vergangenen August wieder eingestellt. Das Angebot stieß nicht auf genügend Interesse.

Was die Erfolgsaussichten des neuen Dienstes angeht, sind sich die Experten noch uneins. Google+ steht zunächst nur einer begrenzten Anzahl von Testern zur Verfügung, wann es allgemein freigegeben wird, war zunächst nicht klar.

Auf viel Lob stößt im Internet die grafische Gestaltung des neuen Dienstes. Hatten beim gescheiterten Google Buzz sogar Experten Mühe, sich in der komplexen Oberfläche zurechtzufinden, kommt Google+ nun sehr aufgeräumt und intuitiv daher. Kontakte lassen sich beispielsweise durch ein einfaches Anfassen mit der Maus zu einem bestimmten Freundeskreis hinzufügen.

Das Blog TechCrunch hat auch schon herausgefunden, "warum Google+ so gut aussieht": Andy Hertzfeld, der vor über 30 Jahren die Benutzeroberfläche des ersten Apple Macintosh gestaltete, arbeitet seit 2005 für Google und durfte bei dem neuen Dienst erstmals sichtbar seine Akzente setzen.

Die Analystin Charlene Li von der US-Marktforschungsgesellschaft Altimeter Group erklärte, die Gruppenfunktion sei sehr interessant. Denn das sei einer der Punkte, der sie bei Facebook störe. Google+ wirke wie eine natürliche Ergänzung zu Googles Mail-Dienst, über den schon Millionen Menschen Dinge mit anderen teilten. Lou Kerner von Wedbush Securities glaubt hingegen nicht, dass Google in direkte Konkurrenz zu Facebook treten will. Mit 700 Millionen Nutzern weltweit habe Facebook das Rennen schon gewonnen. Google wolle die eigenen Angebote aber sozialer machen.

(Bob Geisler)