Skandale beflügeln die Biobranche. Experten erwarten wegen hoher Nachfrage Preisanstieg. Der Eigenanbau reicht nicht aus.

Hamburg. Wegen der jüngsten Skandale um Gammelfleisch, Dioxin im Tierfutter oder auch Analogkäse greifen immer mehr Verbraucher zu Bio-Lebensmitteln. "In den ersten drei Monaten dieses Jahres hatten Deutschlands Biofachhändler nach ersten Schätzungen ein Umsatzplus von 20 Prozent", sagte Gerald Wehde, Sprecher vom größten deutschen Erzeugerverbund Bioland, dem Abendblatt.

Damit kehrt die Branche zu ihrer Dynamik vor der Krise zurück. 2009 stagnierte der Umsatz der Branche noch und im vergangenen Jahr legte er nur um zwei Prozent auf 5,9 Milliarden Euro zu. Natürlich hat auch Wehde nicht die Illusion, dass dieser Aufwärtstrend im gesamten Jahr anhalten wird. "Aber der Umsatzanstieg für 2011 wird höher ausfallen als im vergangenen Jahr", prophezeit er. Schließlich gehörten Gesundheit und eine gesunde Lebensweise inzwischen zu den großen Trends in der Gesellschaft.

Die Verbraucher müssen sich nach Einschätzung des Münchener Ifo-Instituts wegen der erwarteten höheren Nachfrage nach Biowaren auf höhere Kosten gefasst machen. "Die Preise, die mit der Ausweitung des Angebots in Supermärkten und Discountläden in den vergangenen Jahren gesunken waren, ziehen jetzt wieder an", sagte der Ifo-Experte Matthias Balz, ohne Details zu nennen. Die Bio-Branche in Deutschland beschäftigt inzwischen direkt und indirekt rund 180 000 Mitarbeiter. Vor allem der Bio-Fachhandel und der Lebensmitteleinzelhandel profitieren mit hohen Zuwachsraten von der steigenden Kaufbereitschaft der Deutschen. So auch die Handelskette Alnatura. "Das erste Quartal dieses Jahres war erfolgreich. Auch wir wuchsen im zweistelligen Bereich", sagte Alnatura-Sprecherin Stefanie Neumann. Das Unternehmen, das gerade sein viertes Hamburger Geschäft im Uni-Viertel eröffnet hat, will auch in Zukunft an dem Wachstum teilhaben. Dieses Jahr plant Alnatura, die Zahl seiner bislang bundesweit 61 Filialen auf 70 zu erhöhen.

Die Branche lebt vor allem von treuen Kunden, die auch Preise akzeptieren, die über denen konventionell erzeugter Lebensmitteln liegen. "Diese Gruppe hat auch während der Finanzkrise zu ökologischen Lebensmitteln gegriffen. Das ist ein Grund, warum wir 2009 kein Umsatzminus hatten, während beispielsweise in Großbritannien das Geschäft um 13 Prozent zurückging", sagt Wehde. Nach einer Studie der Universität Kassel machen diese Stammkäufer zwar nur 22 Prozent der Gesamtkunden aus, sie konsumieren aber 77 Prozent der im Handel gekauften Bioprodukte. Die restlichen 88 Prozent der Käuferschicht sind Gelegenheitskunden, die sich hin und wieder in die Bioabteilungen der Handelsketten verirren. "Die gilt es nun zu gewinnen", sagt der Bioland-Experte.

Nicht nur die Nachfrage nach ökologisch einwandfreien Eiern, Fleisch oder Gemüse stieg, sondern auch die Anbauflächen. So erhöhte sich im vergangenen Jahr die Zahl der Betriebe in der Öko-Landwirtschaft und -Tierzucht um 5,4 Prozent auf 22 200, die Anbaufläche in Deutschland übersprang erstmals die Marke von einer Million Hektar, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) .

Der Bioexperte Wehde bezeichnet den Zuwachs zwar als erfreulich, aber immer noch als zu gering. "Die Nachfrage steigt rasanter als die nutzbaren Flächen", sagt der Bio-Experte. Die Folge ist, dass Produkte aus dem Ausland importiert werden müssen. Laut Balz kommt bereits jedes zweite in Deutschland verzehrte Produkt aus anderen Ländern.

Das Wachstumspotenzial der Branche in Deutschland ist weiter groß. Zwar hat sich die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in den vergangenen zehn Jahren schon mehr als verdreifacht, aber der Marktanteil ist mit knapp vier Prozent am gesamten Lebensmittelumsatz immer noch niedrig. Die Deutschen gaben nach einer Studie des BÖLW 2009 im Durchschnitt 70,70 Euro pro Kopf und Jahr für Bio-Nahrung aus, die Dänen 138,80, die Schweizer 132,80 und die Österreicher 103,90 Euro, sagte Balz: "Die Zeiten, in denen Bio-Käufer als Müsli- und Körnersonderlinge bezeichnet wurden, gehören längst der Vergangenheit an."