Hamburg/Brüssel. Die Schuldenkrise in Europa flammt wieder auf: Portugal dürfte nach Irland das nächste Euro-Land sein, das unter den EU-Rettungsschirm flüchten muss. Erst kurz vor Beginn des entscheidenden EU-Gipfels in Brüssel zur Euro-Reform war Portugals Ministerpräsident José Sócrates zurückgetreten, weil er das von Brüssel verordnete Sparpaket zu Hause nicht durchsetzen konnte.

Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs ließen sich von den schlechten Nachrichten jedoch nicht irritieren. Sie beschlossen gestern Abend ein historisches Maßnahmen-Paket, um den Euro abzusichern. So muss Berlin allein 22 Milliarden Euro in den neuen Rettungsfonds für klamme Euro-Staaten einzahlen. Über die Bedingungen wurde bis in die Nacht hinein gefeilscht.

Fest steht: Künftig werden Defizitsünder strenger bestraft. Zudem wollen die 17 Euro-Länder ihre Wirtschaftspolitik abstimmen. Zudem soll der Rettungsschirm für bedrohte Staaten auf 440 Milliarden Euro vergrößert und zu einer dauerhaften Einrichtung ausgebaut werden. Von 2013 an wird es einen neuen Rettungsfonds mit einem Volumen von 700 Milliarden Euro geben.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt mahnt zur Besonnenheit. "Es besteht kein Anlass, die politische Lage in Portugal zu dramatisieren", sagte er dem Abendblatt. "Die aktuelle Situation ist sogar eine Chance, den notwendigen Konsolidierungskurs durch Neuwahlen absichern zu lassen." Nur wenn es gelinge, die öffentlichen Haushalte in allen EU-Staaten zu sanieren, könne Europa im globalen Wettbewerb erfolgreich sein, so Hundt. "Für Portugal gilt das ganz besonders."

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur neuen Lage in der Euro-Schuldenkrise.

Warum steckt Portugal in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage?

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von nur 67 Prozent des EU-Durchschnitts gehört Portugal zu den ärmsten Ländern in der Euro-Zone. Die Portugiesen haben wie die Griechen mehr konsumiert, als sie sich leisten können. Die Sparrate der Bevölkerung ist nur halb so hoch wie im Durchschnitt der EU-Länder. Damit gibt es auch kaum Spielraum, mit Ersparnissen die eigenen Budgetdefizite zu finanzieren.

Portugal gilt seit zehn Jahren als wachstumsschwach und hat mit 83 Prozent einen deutlich höheren Gesamtschuldenstand am Bruttoinlandsprodukt als Spanien, das auf 64,4 Prozent kommt", sagt Rolf Schneider, Leiter der Konjunkturabteilung bei der Allianz. Das Land ist stark abhängig vom Tourismus, bei dem die Produktivität nicht so einfach gesteigert werden kann. Außerdem habe das Land nur zögerlich Strukturreformen in Angriff genommen, so Schneider. "Mit dem Eintritt der osteuropäischen Länder in die EU ist Portugal auch nicht mehr so gefragt als günstiger Produktionsstandort", sagt er. Dennoch sei die Skepsis, die dem Land entgegengebracht werde, übertrieben.

Wie hoch sind die Zinsen, die Portugal für neues Geld zahlen muss?

Will sich Portugal für zehn Jahre Geld am Kapitalmarkt leihen, müssen 7,80 Prozent Zinsen gezahlt werden. "Das sind Konditionen, die das Land auf Dauer nicht tragen kann", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse. "Die Zinsen für unsere Auslandsschuld werden auf dem hohen Niveau bleiben oder weiter steigen", befürchtet der Präsident des portugiesischen Bankenverbandes, António de Sousa. Zum Vergleich: Deutschland muss nur 3,2 Prozent Zinsen zahlen. Insgesamt müsse das Land in diesem Jahr rund 20 Milliarden Euro am Kapitalmarkt neu aufnehmen, davon allein im nächsten Monat 4,3 Milliarden Euro, sagt Intelmann. "Es ist zu erwarten, dass das Land bald den Rettungsschirm der EU in Anspruch nehmen wird."

Verschärft das Problem in Portugal die Euro-Krise?

Die Entwicklung in Portugal kommt nicht überraschend, da sich der Widerstand der Opposition im Parlament gegen das vierte Sparpaket innerhalb von elf Monaten abgezeichnet hat. Die Gemeinschaftswährung brach gegenüber dem Dollar nicht ein. Eine Verschärfung der Euro-Krise ist zunächst nicht zu erwarten, denn "es besteht auch ein Eigeninteresse der anderen Euro-Länder, Portugal nicht pleitegehen zu lassen", sagt Christoph Weil von der Commerzbank. Die Ansteckungsgefahren für andere Länder wären zu groß.

Besteht die Gefahr, dass die Krise auf Spanien überspringt?

Die Spanier hatten im Nachbarland Portugal bisher eine Art Schutzwall gesehen. Wenn dieser Damm nun wegbricht, steht Spanien im Kampf gegen die Krise an vorderer Front und muss sich der Angriffe der Spekulanten erwehren. Madrid versichert, die Lage in Portugal werde auf Spanien keine Auswirkungen haben. Auch Experte Intelmann sieht das Land auf gutem Weg. "Mit gut fünf Prozent muss Spanien deutlich niedrigere Zinsen als Portugal zahlen." Zudem sinke das Außenhandelsdefizit und die Produktivität steige. Ein Risikofaktor sind aber die spanischen Banken, die unter faulen Krediten aus dem Bauboom leiden und eng mit Portugal verflochten sind. So halten die spanischen Geldinstitute ein Drittel der portugiesischen Auslandsschulden.

Welche Kosten kommen auf Deutschland zu?

Zusätzliche Lasten kommen auf Deutschland zunächst nicht zu, da eine Erweiterung des Rettungsschirms ohnehin beschlossen wurde. Danach müssen von Deutschland 168 Milliarden Euro an Garantien und 22 Milliarden Euro als Bareinlage zur Verfügung gestellt werden. Wenn Länder ihre Schulden beim Rettungsfonds nicht zurückzahlen können, verwandeln sich die Garantien in echte Zahlungen. Klar ist, dass die Euro-Zone den Weg einer Transferunion eingeschlagen hat.