Der Bundesgerichtshof verurteilt die Deutsche Bank wegen Zinswetten zu 540.000 Euro Schadenersatz. Jetzt wird eine Klagewelle erwartet

Hamburg. Mit einem weiteren Urteil hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Aufklärungspflichten der Banken bei komplizierten Finanzprodukten erhöht. Wer sich nicht daran hält, muss für den entstandenen Schaden haften. Das hat jetzt die Deutsche Bank erfahren. Der BGH verurteilte den Branchenprimus zu rund 540 000 Euro Schadenersatz plus Zinsen an ein mittelständisches Unternehmen, das mit einer von der Bank empfohlenen Zinswette hohe Verluste eingefahren hatte (Az.: XI ZR 33/10). Das Urteil gilt als richtungsweisend, da auch andere Banken ähnliche Produkte an Firmen und Kommunen verkauft hatten. Hamburg ist aber nicht betroffen. "Wir haben zu keiner Zeit unsere Zinsrisiken mit solchen Produkten gemanagt", sagt Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde, dem Abendblatt.

Bundesweit sollen die Banken sogenannte Zins-Swaps an 500 Unternehmen und 200 öffentliche Einrichtungen verkauft haben. Die Kunden wollten sich gegen langfristig steigende Zinsen absichern. Doch da sich die Zinsen anders entwickelten als vorgesehen, blieben Kommunen und Firmen auf hohen Verlusten sitzen. Experten schätzen den entstandenen Schaden auf insgesamt knapp eine Milliarde Euro.

Das musste auch der Hersteller von Toilettenzubehör Illes erfahren. Der Firma war das Geschäft im Jahre 2005 von der Deutschen Bank empfohlen worden. Die Prognose lautete, dass sich die Differenz zwischen dem Zwei-Jahres-Zinssatz und dem Zehn-Jahres-Zinssatz künftig voraussichtlich deutlich ausweiten werde. Der Vertrag erwies sich für die Firma aber als Verlustgeschäft, weil sich ab Herbst 2005 die Zinsdifferenz anders entwickelte als prognostiziert. Denn die langfristigen Zinsen stiegen nicht.

Nachdem die Klage des Unternehmens in den Vorinstanzen gescheitert war, kam der Bankensenat des BGH zu einem ganz anderen Ergebnis. Die Bank habe ihre Beratungspflicht verletzt, weil sie nicht darüber aufklärte, dass der eingegangene Vertrag zu Beginn für das Unternehmen 80.000 Euro im Minus stand. Diese Summe hätte durch die Zinswette erst ausgeglichen werden müssen, bevor die Firma einen Euro Gewinn hätte machen können. Der bewusst strukturierte negative Marktwert sei Ausdruck eines schwerwiegenden Interessenkonfliktes der Bank, urteilten die Richter. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Deutsche Bank das Anlagegeschäft bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet hat. Im Gegensatz zum Kunden sicherte sich die Bank ab und machte ihren Schnitt auf jeden Fall.

Denn die Bank habe ihr Risiko aus dem Geschäft gleich an einen Dritten weitergegeben. Die weitere Entwicklung des Geschäfts konnte der Bank gleichgültig sein, weil sie durch dieses Gegengeschäft bereits ihre Kosten gedeckt und ihren Gewinn erzielt hat, urteilten die Richter. Die Aufklärung des Kunden müsse gewährleisten, dass dieser "im Wesentlichen den gleichen Kenntnis- und Wissensstand hat wie die ihn beratende Bank". "Die Bereitschaft der Banken zu Vergleichen wird sich nach diesem Urteil in ähnlich gelagerten Fällen deutlich erhöhen", sagt der Anlegerschutzanwalt Klaus Nieding dem Abendblatt. Er vertritt 60 Fälle von Kommunen und Firmen mit einer Gesamtschadenssumme von 180 Millionen Euro. Allein acht Fälle sind noch beim BGH anhängig.

Im Anlegerschutz zeichne sich mit diesem Urteil "ein Quantensprung" ab. Es sei von der schriftlichen Urteilsbegründung abhängig, ob die Aufklärung über Kostenstrukturen auch für andere Finanzprodukte gelte. Denn auch bei Rentenversicherungen oder Bausparverträgen startet der Sparer mit einem negativen Betrag, weil erst die Provisionen für den Vertrieb und andere Kosten abgetragen werden müssen.

Bei Wissenschaftlern stieß die Entscheidung des Gerichts auf Verwunderung. "Hier geht es nicht um Privatanleger, da darf man erwarten, dass die Risiken von Finanzterminkontrakten verstanden werden", sagt Dirk Schiereck von der TU Darmstadt. Es bestehe die Gefahr, dass bestimmte Finanzprodukte gar nicht mehr angeboten werden und immer dann, wenn Termingeschäfte für den Kunden nicht gut laufen, die Gerichte angerufen werden. Auch Nieding sieht die Möglichkeit, dass bestimmte Produkte vom Markt verschwinden. "Die Anforderungen an die Risikoaufklärung sind so groß, dass sich der Aufwand dafür nicht mehr rechnet."

Die Deutsche Bank prüft nach dem Urteil, inwieweit künftig "mit Blick auf den Faktor Risiko der Umfang der Beratung erweitert wird", sagt ein Sprecher des Geldinstituts. Eine Klageflut werde nicht erwartet, da viele Verfahren schon rechtskräftig entschieden seien. Außerdem habe man für offene Fälle eine angemessene Risikovorsorge getroffen. Während des Verfahrens hatte der Anwalt der Deutschen Bank noch gewarnt, ein Urteil gegen die Bank könne eine zweite Finanzkrise auslösen. Die Richter ließen sich davon aber nicht beeindrucken.

Zur Info: Kompliziertes Geschäft mit teurem Ausgang

Problem: Viele Kommunen werden von der Zinslast ihrer Schulden erdrückt. Da ein Abbau der Schulden meist ausscheidet, haben sie auf Beratung der Banken hin zu komplexen Finanzprodukten gegriffen, um ihre Zinslast zu senken.

Produkt: Für einen bestehenden langfristigen Kredit wurden feste Zinsen vereinbart. Wenn diese Zinsen dann zu hoch erscheinen, kann der Zinssatz für einen bestimmten Zeitraum in einen variablen Zins getauscht werden. Das nennt man Zins-Swap (engl. Für Tausch). Im ersten Jahr ist der Zinssatz meist sehr günstig. Dann richtet er sich nach der Differenz zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen.

Knackpunkt: Üblich ist, dass kurzfristige Zinsen niedrig und langfristige Zinsen deutlich höher sind. Auf diesem Prinzip bauen die Zinswetten auf. Steigt die Differenz, gewinnt der Kunde, sinkt sie, verliert der Kunde.

Verlauf: Als die meisten Geschäfte abgeschlossen wurden, war der Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen gering. Experten erwarteten eine Angleichung auf Normalmaß.

Ergebnis: Doch es kam nicht zu einer Ausweitung der Zinskonditionen, sondern durch die Finanzkrise stiegen die kurzfristigen Zinsen auf ein Rekordniveau, während die langfristigen noch sanken. Damit führten die Zinswetten für die Kunden zu Verlusten.