Erste Werke schließen wegen Lieferengpässen. Opel stoppt Produktion in Eisenach. Elektroantriebe wegen Atom-Diskussion auf dem Prüfstand.

Hamburg. Die Katastrophe hat Japans Industrie weitgehend lahmgelegt. In vielen Fabriken herrscht gespenstische Ruhe. Wo noch produziert wird, lähmen Stromausfälle oder eine versiegende Wasserversorgung die Fertigung. Die Belegschaften sind ausgedünnt, weil die Mitarbeiter sich um ihre Familien kümmern. Der Stillstand in der drittgrößten Industrienation bremst jedoch auch die internationale Wirtschaft - auch in Deutschland.

Die wohl größte Sorge herrscht dabei in der Autoindustrie. Die Papiere von VW, BMW oder Daimler verloren in den vergangenen Tagen alle an Wert. Kaum eine Branche ist so stark mit Japan verflochten, so sehr auf japanische Spezialitäten wie Speicherchips angewiesen oder erarbeitet gemeinsam mit Konzernen wie Toyota oder Nissan Lösungen für alternative Antriebe.

Opel muss wegen Teilemangels bereits ein Werk in Eisenach schließen und ist damit der erste deutsche Hersteller, der vor den Engpässen kapituliert. Der Mutterkonzern GM macht sein Werk in Louisiana für eine ganze Woche dicht. Auch der weltgrößte Nutzfahrzeughersteller Daimler stoppt die Produktion - in elf Werken seiner Tochter Mitsubishi Fuso mit 13 000 Mitarbeitern. Lkw-Vorstand Andreas Renschler äußerte sich besorgt: "Die Folgen der Katastrophe für den japanischen Markt und die globale wirtschaftliche Verflechtung sind noch nicht abzusehen." Auch VW-Chef Martin Winterkorn kann Lieferengpässe in den nächsten Wochen nicht ausschließen. Porsche bekommt sogar ein komplettes Getriebe aus dem Inselstaat.

Die großen deutschen Hersteller teilen die Sorgen mit ihren Zulieferern - in Deutschland sitzen mit Bosch und Continental gleich zwei Konzerne, die zu den weltweit größten der Branche gehören und mehrere Hunderttausend Mitarbeiter beschäftigen. Bosch produziert in Japan an 36 Standorten mit 8000 Beschäftigten und zählt dort 350 Sublieferanten. Conti aus Hannover unterhält in der Region sieben Werke. Beide Firmen haben Notfallteams berufen. "Wir produzieren nur in eingeschränktem Maße, haben Probleme durch die Stromabschaltungen, können aber frühestens nächste Woche sagen, wie stark wir durch die Lage betroffen sind", sagte Christoph Zemelka von Bosch dem Abendblatt. Auch die Conti leidet unter Bandstillständen, vor allem bei japanischen Halbleiterlieferanten.

Insbesondere die Elektronik in den Fahrzeugen, mit ihren Chips, Schalttafeln oder Batterien aus japanischer Produktion, macht die Verflechtung der Industrie mit den fernöstlichen Produzenten so kritisch. "Es wird weitere Versorgungsengpässe geben, insbesondere wenn das Verstrahlungsproblem zunimmt", warnte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Zu Verzögerungen könne es auch kommen, wenn zukünftig Importe aus Japan auf mögliche Strahlung untersucht werden müssten. Verschärft wird die Notlage, weil die Zulieferindustrie schon jetzt an der Kapazitätsgrenze produziert, betonte Stefan Bratzel von der FH Bergisch Gladbach.

Schließlich treffen die Naturkatastrophen und die Atomunfälle in Japan die Autoindustrie in einer Phase der kräftigen konjunkturellen Erholung. In China, Russland und den USA herrscht Hochbetrieb bei den Autohändlern, und selbst in Europa, wo die Vertriebsexperten nach Auslaufen der Abwrackprämien eine Kaufflaute befürchteten, gibt es ein leichtes Plus bei den Verkäufen.

VW gibt sich angesichts der Verkaufserfolge bei seinem Ziel, Toyota als weltgrößten Hersteller bald zu überrunden, so selbstbewusst wie nie. Und nicht nur die fatale Situation in dem ostasiatischen Land, sondern auch die millionenfachen Rückrufe, die den Konkurrenten geschwächt haben, bringen VW in eine gute Position für das Überholmanöver. Toyota will seine Endmontage in der Heimat erst Mitte der kommenden Woche wieder öffnen, und selbst in den USA drosselt der Konzern die Fertigung.

Nicht nur das Kräfteverhältnis zwischen deutschen und japanischen Autobauern wird sich durch die entsetzlichen Ereignisse verschieben. Auch der Anlauf der Branche in Richtung alternativer Antriebe wird womöglich gebremst. Schließlich sind in Japan mit Toyota, Denso oder Panasonic etliche Konzerne führend bei Antriebs- oder Batterie-Lösungen für die Mobilität der Zukunft. "Die Entwicklung von Technologien für Hybrid- und Elektroautos kann durch die Japan-Katastrophe zurückgeworfen werden", sagte Dudenhöffer. Und falls die Stromversorgung durch Atomkraftwerke in etlichen Ländern auf dem Prüfstand steht, dürfte auch die Diskussion um den Nutzen von Elektrofahrzeugen wieder an Fahrt gewinnen. Schließlich können diese nur dann klimafreundlich fahren, wenn der Strom sauber erzeugt wird.