Deutsches Defizit bei 3,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Damit ist das Maastricht-Ziel um 0,3 Prozentpunkte verfehlt worden.

Hamburg. Auch Deutschland ist wieder ein Schuldensünder, jedenfalls nach den Maßstäben des Maastricht-Vertrags der Europäischen Union: Im Jahr 2010 betrug das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit 3,3 Prozent der Wirtschaftsleistung, nach den sogenannten Maastricht-Kriterien sind höchstens 3,0 Prozent zulässig.

Trotz der außergewöhnlich starken Konjunktur lag das Finanzierungsdefizit bei 82 Milliarden Euro, wozu der Bund mit knapp 58 Milliarden Euro deutlich mehr beitrug als die Länder und die Gemeinden. Sonderbelastungen wie die Konjunkturpakete, das Kurzarbeitergeld und die Bankenrettung trieben die Schulden hoch.

Im Vergleich zu einigen anderen Euro-Ländern schneidet Deutschland allerdings noch vergleichsweise gut ab. In Griechenland, Portugal und Spanien ist die Defizitquote zwei- bis dreimal so hoch. Irland weist sogar ein Haushaltsloch von 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Zuletzt hatte Deutschland den Maastricht-Grenzwert im Jahr 2005 überschritten, damals belief sich das Minus ebenfalls auf 3,3 Prozent. Im Krisenjahr 2009 waren es 3,0 Prozent.

Für 2011 rechnet die Bundesregierung zwar nur noch mit einer Neuverschuldung von 2,5 Prozent, und auch die Bundesbank geht davon aus, dass "ein spürbarer Rückgang der Defizitquote Richtung zwei Prozent" möglich ist. In einigen Jahren wird aber auch dies noch zu viel sein. Denn nach den Bestimmungen der sogenannten Schuldenbremse, die seit 2009 im Grundgesetz verankert ist, ist dem Bund vom Jahr 2016 an - von gewissen Ausnahmen wie zum Beispiel Naturkatastrophen abgesehen - nur noch ein Defizit von 0,35 Prozent des BIP gestattet, die Länder dürfen von 2020 an gar keine Schulden mehr machen.

Unter Volkswirten gehen die Auffassungen über dieses Instrument weit auseinander. "Die Schuldenbremse wäre ein guter Exportartikel", sagt Thorsten Polleit, Chefvolkswirt für Deutschland bei Barclays Capital, dem Abendblatt mit Blick auf die aktuellen Probleme im Euro-Raum. "Es wäre wünschenswert, wenn der Staat überhaupt keine Schulden mehr aufnimmt." Polleit hält eine Regelung, die in der Verfassung festgeschrieben wird, schon deshalb für sinnvoll, "weil sonst der Anreiz, auf Kosten künftiger Generationen zu leben, für Regierende wie für Regierte unwiderstehlich ist".

Anders sieht das Rudolf Hickel, Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen. Zwar hält auch er es für notwendig, dass die Staatsschulden langfristig reduziert werden. Er befürchtet aber, dass mit einer strikten Schuldenbremse auch die Möglichkeiten, Zukunftsvorsorge zu betreiben, eingeschränkt werden: "Wir vererben kommenden Generationen ja nicht nur die Schulden, sondern auch das damit finanzierte Vermögen, etwa in Form besserer Lebensbedingungen hinsichtlich der Ökologie."

Nach Auffassung von Hickel werden mit der Schuldenbremse aber auch Konjunkturschwankungen nicht hinreichend berücksichtigt. Zwar ist im Gesetzestext sinngemäß die Rede davon, dass in schlechten Zeiten mehr Schulden aufgenommen werden dürfen und dies bei hohem Wirtschaftswachstum wieder ausgeglichen werden muss. "Bisher weiß aber niemand, wie dies berechnet werden soll", so Hickel.

"Es sollte eine Möglichkeit geben, in Rezessionsphasen die Kreditaufnahme auszuweiten", meint auch Matthias Thiel, Volkswirt bei M.M.Warburg & CO in Hamburg. Allerdings bewege man sich dabei auf einem schmalen Grat. Polleit dagegen nimmt eine radikale Position ein - er hält konjunkturbedingte Abweichungen von der Schuldenbremse für verzichtbar.

Auch wenn ihre konkrete Ausgestaltung noch aussteht, gibt es in Fachkreisen bereits Zweifel daran, ob die ehrgeizigen Vorgaben realistisch sind. "Wenn wir nicht einen lang anhaltenden Aufschwung bekommen - an den ich nicht glaube -, wird man die Kriterien nicht einhalten können", sagt Hickel. Polleit ist etwas optimistischer: "Die Verankerung in der Verfassung gibt Anlass zur Hoffnung, dass man sich daran hält." Doch auch er ist sich nicht zu 100 Prozent sicher: "Mein Geld würde ich darauf nicht verwetten."