Hamburg hat die meisten Fehltage in Deutschland wegen psychischer Erkrankungen. Krankenkassen fordern zu mehr Gesundheitsschutz auf

Hamburg. Meist fängt die Krankheit schleichend an. Man schläft nachts nicht mehr durch, ist morgens schlapp und schweißgebadet und fühlt sich am Arbeitsplatz ausgegrenzt. Stress und auch Angst im Job nehmen zu. Am Ende steht dann oft die Diagnose Depression oder eine andere psychische Krankheit. Nach dem Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK hat sich die Zahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland seit 1998 nahezu verdoppelt. "Jeder vierten Frau und jedem achten Mann werden einmal im Leben psychische Probleme attestiert", sagt Hans-Peter Unger, Chefarzt vom Zentrum für seelische Gesundheit an der Asklepios-Klinik in Harburg. Für den Gesundheitsreport haben die DAK und das IGES-Institut die Krankschreibungen von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten ausgewertet.

Drei Tage war 2010 jeder Hamburger im Schnitt wegen psychischer Störungen erkrankt, heißt es in einer gestern ebenfalls vorgestellten Studie der Techniker Krankenkasse (TK). Damit liegt die Hansestadt bundesweit an der Spitze. "Psychische Krankheiten verursachen eine längere Arbeitsunfähigkeit als andere Leiden. Die Diagnose wird heute aber von den Ärzten in der Stadt früher erkannt. Die Patienten gehen auch schneller als in der Vergangenheit zum Arzt, weil Depressionen nicht mehr so stark stigmatisiert werden", sagt Unger. Außerdem verfüge die Hansestadt inzwischen über ein gut ausgearbeitetes psychosomatisches Behandlungssystem. "Bei leichten Problemen sind wir in der Stadt überversorgt, bei schweren Störungen allerdings noch unterversorgt", so der Mediziner.

In vier von fünf Betrieben leiden Beschäftigte unter hohem Druck

Leidtragende sind nicht nur die Patienten, sondern die gesamte Volkswirtschaft. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes verursachen psychische Erkrankungen Gesamtkosten in Höhe von knapp 30 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Grund für die Erkrankungen ist am Arbeitsplatz zu finden, hat das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden. "In vier von fünf deutschen Betrieben stehen Beschäftigte ständig unter hohem Zeit- und Leistungsdruck, die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren gewachsen", heißt es in einer Studie des Instituts. In 84 Prozent der deutschen Betriebe gebe es Mitarbeiter, die dauerhaft unter hohem Zeit- und Leistungsdruck arbeiten.

Rechnet man alle Krankschreibungen in Deutschland zusammen, so liegen laut der Techniker Krankenkasse junge Arbeitnehmer in der Spitzenposition. Sie sind doppelt so häufig krankgeschrieben wie ihre älteren Kollegen. Die 15- bis 25-Jährigen fehlen demnach durchschnittlich zweimal pro Jahr. Ältere Beschäftigte blieben im Mittel nur einmal jährlich zu Hause. Allerdings nehme die Ausfalldauer mit steigendem Alter zu. Während eine Krankschreibung unter den jüngsten Beschäftigten zwischen 15 und 19 Jahren knapp sechs Tage dauert, sind es bei den über 55-Jährigen schon fast 19 Tage.

Der Hauptgrund dafür seien schwerere Erkrankungen mit zunehmendem Alter. "Krankheiten wie Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Beschwerden und psychische Störungen, die erfahrungsgemäß sehr langwierig sind, treten bei älteren Erwerbstätigen häufiger auf", sagt TK-Expertin Gudrun Ahlers. "Allerdings stellen wir auch bei jüngeren Beschäftigten in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg von Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen fest." Neben gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt spiele die Unsicherheit durch befristete Arbeitsverträge bei Erkrankungen junger Menschen eine Rolle.

Unternehmen sollen Gesundheit ihrer Mitarbeiter fördern

Die DAK befragte zudem 3000 Erwerbstätige zwischen 18 und 29 Jahren. Rund 60 Prozent der jungen Arbeitnehmer haben demnach das Gefühl, mehr leisten zu können, als im Job verlangt wird. Eine lang anhaltende Unterforderung könne auch Stress verursachen.

Für die deutsche Wirtschaft sei es angesichts des demografischen Wandels und der sinkenden Zahl qualifizierter Fachkräfte wichtig, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter langfristig zu fördern, so die TK. Schon seit Jahren ist der Krankenstand in Deutschland wohl auch aus Furcht der Beschäftigten vor einem Jobverlust niedrig. Die TK kommt 2010 bundesweit auf eine Quote von 3,3 Prozent bei ihren Versicherten. Bei der DAK sind es 3,4 Prozent bundesweit und 3,2 Prozent in Hamburg.